Trotz massiver Fehler bei der Mengenermittlung forderte der Gerüstbauer die volle Kündigungsvergütung Gerüstbau bei entfallenem Abbau vom Auftraggeber in Berlin. Das Gericht strich die falschen Flächenansätze, bestätigte den Anspruch jedoch mit einem pauschalen 30-Prozent-Abzug für den entfallenen Abbau.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Wie prüft man eine Gerüstbau-Schlussrechnung richtig?
- Welche Regeln gelten für die Abrechnung von Gerüstarbeiten?
- Wann sind Abzüge bei der Gerüst-Rechnung berechtigt?
- Berechtigt eine fehlende Freistellungsbescheinigung zum Zahlungsstopp?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie kann ich Gerüst-Doppelzählungen in der Schlussrechnung erkennen und korrigieren?
- Wie viel darf ein Gerüstbauer bei Kündigung der Arbeiten für den entfallenen Abbau berechnen?
- Wann genau endet die zahlungspflichtige Mietzeit für ein Gerüst nach der Freigabe-Meldung?
- Kann ich die Zahlung einer Gerüstrechnung wegen einer fehlenden Freistellungsbescheinigung stoppen?
- Ist meine Gerüstbau-Schlussrechnung automatisch unwirksam, wenn die Aufmaßblätter unübersichtlich sind?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 21 U 16/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Kammergericht Berlin
- Datum: 18. November 2025
- Aktenzeichen: 21 U 16/25
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Werkvertragsrecht, Bauvertragsrecht (VOB), Steuerrecht
- Das Problem: Ein Gerüstbauunternehmen forderte von seinem Kunden die Begleichung der Schlussrechnungen für zwei Bauvorhaben. Der Kunde weigerte sich, da er die Rechnungen wegen fehlerhafter Flächenangaben und zu langer Mietzeiten für unprüfbar hielt. Außerdem wurde ein Leistungsverweigerungsrecht wegen einer angeblich fehlenden Steuerfreistellungsbescheinigung geltend gemacht.
- Die Rechtsfrage: Waren die Schlussrechnungen des Gerüstbauers korrekt und nachvollziehbar? Wenn der Abbau des Gerüsts wegfällt, weil ein neuer Kunde den Vertrag übernimmt, wie muss der Gerüstbauer seine Vergütung dann berechnen?
- Die Antwort: Die Klage war überwiegend erfolgreich, der Zahlungsanspruch wurde aber gekürzt. Das Gericht korrigierte fehlerhafte Doppelzählungen der Gerüstflächen und reduzierte die berechnete Mietdauer. Bei Wegfall der Abbauleistung ist ein pauschaler Abzug von 30 Prozent des Grundpreises als ersparte Aufwendung angemessen.
- Die Bedeutung: Bauunternehmen müssen ihre Aufmaße und Schlussrechnungen extrem präzise führen und Doppelzählungen vermeiden. Bei Gerüstbauverträgen muss die Frist für die abrechenbare Überlassung nach Freigabe durch den Kunden genau beachtet werden.
Wie prüft man eine Gerüstbau-Schlussrechnung richtig?
Ein Streit um Gerüstarbeiten an zwei Berliner Immobilien zeigt exemplarisch, wie schnell sich vermeintlich klare Bauverträge in komplexe Abrechnungskonflikte verwandeln können. Vor dem Kammergericht Berlin (Urteil vom 18.11.2025, Az. 21 U 16/25) standen sich ein Gerüstbauunternehmen und dessen Auftraggeberin gegenüber. Es ging um viel Geld: Ursprünglich forderte das Gerüstbauunternehmen knapp 200.000 Euro für Arbeiten in der S-Straße und der O-Straße. Die Auftraggeberin weigerte sich jedoch beharrlich, die Schlussrechnungen zu begleichen.

Der Konflikt entzündete sich an klassischen Streitpunkten des Baurechts. Die Auftraggeberin bemängelte, dass die Rechnungen aufgrund chaotischer Aufmaßblätter gar nicht prüfbar seien. Zudem seien Flächen doppelt berechnet, Mietzeiten zu lang angesetzt und Nachträge ohne Auftrag in Rechnung gestellt worden. Besonders spannend wurde es beim zweiten Projekt in der O-Straße: Hier schied die Auftraggeberin vorzeitig aus dem Vertrag aus, und das Gerüst blieb für einen Nachfolger stehen. Das Gericht musste klären, ob und wie viel Geld dem Gerüstbauer zusteht, wenn er das Gerüst gar nicht mehr abbauen muss. Der Fall liefert eine Blaupause für die korrekte Abrechnung nach VOB.
Welche Regeln gelten für die Abrechnung von Gerüstarbeiten?
Um diesen Fall zu verstehen, muss man die rechtliche Zwitterstellung von Gerüstbauverträgen kennen. Sie sind sogenannte Gemischttypische Verträge. Der Aufbau und der Abbau sind werkvertragliche Leistungen – hier schuldet der Unternehmer einen Erfolg, nämlich ein stehendes bzw. verschwundenes Gerüst. Die Zeit dazwischen, die sogenannte Vorhaltezeit, ist mietvertraglicher Natur.
Geregelt wird dies im Detail durch die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) und speziell durch die VOB/C, hier die ATV DIN 18451 für Gerüstarbeiten. Diese technischen Normen bestimmen exakt, wie Flächen gemessen werden und wann die Mietzeit endet. Ein zentraler Paragraph für den Streit in der O-Straße ist zudem § 648 BGB. Dieser regelt die „Große Kündigungsvergütung“. Wenn ein Besteller einen Werkvertrag kündigt oder – wie hier – das werkvertragliche Element des Abbaus entfällt, darf der Unternehmer trotzdem die vereinbarte Vergütung verlangen. Er muss sich allerdings das anrechnen lassen, was er sich durch den Wegfall der Arbeit spart.
Wann sind Abzüge bei der Gerüst-Rechnung berechtigt?
Das Kammergericht Berlin musste die Schlussrechnungen Position für Position sezieren. Dabei folgte es einer strengen Logik, die für jeden Bauherren und Handwerker lehrreich ist. Zunächst stellte sich die grundlegende Hürde der Prüfbarkeit.
Ist eine unübersichtliche Rechnung automatisch unwirksam?
Die Auftraggeberin versuchte zunächst, die Zahlung komplett zu verweigern, indem sie die Prüffähigkeit der Rechnungen bestritt. Sie argumentierte, die beigefügten Aufmaßblätter seien unverständlich und widersprüchlich. Das Gericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht. Zwar mögen die Unterlagen auf den ersten Blick verwirrend gewirkt haben, doch im Prozess legte der Gerüstbauer detaillierte Aufmaßblätter vor, die Fassadenbezeichnungen, Längen und Höhen enthielten. Für die Richter war entscheidend, dass ein sachkundiger Dritter anhand dieser Daten die Mengenberechnung nachvollziehen kann. Nur weil eine Rechnung kompliziert oder fehlerhaft ist, ist sie nicht automatisch unprüfbar. Fehler in der Berechnung führen lediglich zu einer inhaltlichen Korrektur, nicht zur formellen Unwirksamkeit.
Darf man Gerüstflächen doppelt berechnen?
Genau diese inhaltliche Korrektur nahm das Gericht beim Bauvorhaben S-Straße massiv vor. Hier zeigte sich, wie wichtig eine präzise Kontrolle der Aufmaßblätter ist. Der Gerüstbauer hatte eine Fläche von über 6.800 Quadratmetern abgerechnet. Das Gericht hielt dies für unplausibel und rechnete selbst nach. Es multiplizierte schlicht die Fassadenlängen mit den angegebenen Höhen der einzelnen Gebäudeseiten (Nordost, Nordwest etc.) und kam auf lediglich rund 4.800 Quadratmeter.
Der Fehler des Unternehmens lag in der Art der Erfassung: In den Aufmaßblättern wurden dieselben Gerüstsegmente in verschiedenen Zeilen aufgeführt, um die sukzessive Höhenentwicklung darzustellen. Diese Zeilen wurden am Ende einfach addiert, was zu einer massiven Doppelzählung führte. Das Gericht strich rigoros alle zu viel berechneten Quadratmeter. Allein durch diesen Rechenfehler reduzierte sich die Forderung um über 17.000 Euro netto. Dies zeigt, dass die bloße Addition von Mengenansätzen in Aufmaßblättern ohne geometrische Plausibilitätsprüfung fatal sein kann.
Zählen die Tage nach der Freimeldung zur Mietzeit?
Ein weiterer Streitpunkt betraf die Mietdauer. Der Gerüstbauer hatte die Miete für die S-Straße bis zum 24. Juli 2023 (Kalenderwoche 29) berechnet. Die Auftraggeberin hatte das Gerüst jedoch schon am 11. Juli per E-Mail zur „Freigabe“ gemeldet. Hier griff das Gericht auf die ATV DIN 18451 zurück. Diese besagt, dass die Abrechnung der Gebrauchsüberlassung mit der Freigabe endet, frühestens jedoch drei Werktage nach Zugang der Mitteilung beim Auftragnehmer.
Da die E-Mail am Dienstag, den 11. Juli, einging, endete die zahlungspflichtige Vorhaltezeit mit Ablauf des Freitags, den 14. Juli. Die vom Gerüstbauer angesetzte Folgewoche war damit nicht mehr abrechenbar. Auch hier strich das Gericht die entsprechenden Mietpositionen. Dass das Gerüst faktisch noch stand, ist irrelevant, da die reine Abbaudauer bei Arbeitsgerüsten nicht als Mietzeit zählt.
Wie viel Geld gibt es bei entfallenem Abbau?
Der komplexeste Teil des Urteils betraf das Bauvorhaben O-Straße. Hier hatten sich die Parteien geeinigt, dass die Auftraggeberin aus dem Vertrag ausscheidet und ein Nachfolger das stehende Gerüst übernimmt. Für den ursprünglichen Gerüstbauer bedeutete dies: Er musste das Gerüst nicht abbauen. Dennoch stellte er 70 Prozent der vereinbarten Grundpositionen in Rechnung. Die Auftraggeberin empfand das als ungerecht, da der Abbau ja nun vom Nachfolger bezahlt werde.
Das Gericht stützte hier jedoch den Handwerker und wandte § 648 BGB an. Da der Abbau als werkvertragliche Leistung entfiel, stand dem Unternehmen die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zu. Der Gerüstbauer schätzte seine Ersparnis durch den weggefallenen Abbau pauschal auf 30 Prozent der Grundgebühr und forderte somit die verbleibenden 70 Prozent.
Das Gericht hielt diese Schätzung gemäß § 287 ZPO für absolut plausibel. Wichtig ist die Begründung: Angerechnet werden muss nur das, was an Arbeitskraft und Maschineneinsatz gespart wird. Dass das Gerüstmaterial nun an einen anderen Kunden weitervermietet wurde, spielt für die Anrechnung der ersparten Aufwendungen im Werkvertrag keine Rolle – das ist eine kapitalbezogene Einnahme, keine ersparte Arbeitskraft. Die pauschalen 30 Prozent Abzug für den nicht geleisteten Abbau waren angemessen, und die Auftraggeberin musste die knapp 140.000 Euro für dieses Projekt fast vollständig zahlen.
Berechtigt eine fehlende Freistellungsbescheinigung zum Zahlungsstopp?
Zum Schluss räumte das Gericht noch mit einem häufigen Missverständnis im Steuerrecht auf. Die Auftraggeberin wollte die Zahlung verweigern, weil angeblich keine aktuelle Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG vorlag. Dies hätte sie verpflichtet, 15 Prozent der Rechnungssumme direkt an das Finanzamt abzuführen, um eine Haftung für Bauabzugsteuer zu vermeiden.
Das Gericht stellte klar: Entscheidend für die Befreiung von der Bauabzugsteuer ist nicht, ob die Bescheinigung im Moment der Rechnungsstellung oder des Prozesses vorliegt, sondern ob sie zum Zeitpunkt der Gegenleistung (also der Zahlung) gültig ist bzw. vorlag. Da das Unternehmen eine bis Ende 2024 gültige Bescheinigung vorweisen konnte, bestand kein Leistungsverweigerungsrecht.
Im Ergebnis änderte das Berufungsgericht das Urteil der Vorinstanz nur teilweise ab. Die Beklagte muss nun insgesamt 172.624,96 Euro nebst Zinsen zahlen. Während die offensichtlichen Rechenfehler bei der S-Straße korrigiert wurden, blieb der Anspruch auf die „große Kündigungsvergütung“ für den nicht erfolgten Abbau in der O-Straße voll bestehen. Zudem muss die unterlegene Auftraggeberin 90 Prozent der gesamten Prozesskosten tragen.
Die Urteilslogik
Bauvertragspartner müssen selbst bei komplexen Großprojekten absolute Präzision in der Mengenermittlung walten lassen, da Fehler in der Abrechnung rigoros zu Lasten des Unternehmers korrigiert werden.
- Fehlerkorrektur statt Unwirksamkeit: Eine Schlussrechnung gilt als prüffähig, wenn ein sachkundiger Dritter die Mengenberechnung nachvollziehen kann, selbst wenn die beigefügten Aufmaßblätter zunächst fehlerhaft oder unübersichtlich erscheinen; inhaltliche Fehler führen lediglich zur Korrektur, nicht zur Ablehnung der gesamten Forderung.
- Anrechnung ersparter Aufwendungen: Kündigt der Auftraggeber das werkvertragliche Element (z. B. den Abbau eines Gerüsts), behält der Unternehmer den vollen Vergütungsanspruch, muss sich jedoch nur die konkreten Kosten für ersparte Arbeitskraft und Maschineneinsatz anrechnen lassen; die Möglichkeit der Wiederverwendung des Materials bei einem Nachfolger mindert den Zahlungsanspruch nicht.
- Begrenzung der Gerüst-Vorhaltezeit: Die zahlungspflichtige Überlassungsdauer eines Gerüsts endet verbindlich am dritten Werktag nach der offiziellen Freigabemitteilung des Auftraggebers, da der anschließende reine Abbauzeitraum nicht als Mietzeit zählt.
Verträge, die nach der VOB abgerechnet werden, erfordern eine geometrisch plausible Mengenberechnung, um Doppelzählungen zu vermeiden, da das Gericht die reinen Flächenansätze im Zweifel selbst nachrechnet.
Benötigen Sie Hilfe?
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Experten Kommentar
Wer bei Gerüstarbeiten meint, durch einen vorzeitigen Vertragsausstieg die Kosten für den Abbau zu sparen, wird hier eines Besseren belehrt. Der strategisch wichtigste Punkt ist die sogenannte Kündigungsvergütung: Selbst wenn der Abbau entfällt und das Gerüstmaterial direkt beim nächsten Auftrag eingesetzt werden kann, muss der ursprüngliche Kunde fast die volle Grundgebühr zahlen. Das Gericht stellt klar, dass nur die tatsächlichen, ersparten Arbeits- und Maschinenkosten angerechnet werden. Materialeinnahmen aus Folgeprojekten gehen den Auftraggeber nichts an – diese konsequente Trennung ist ein großer Schutz für jeden Handwerker bei der Abrechnung nach VOB.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie kann ich Gerüst-Doppelzählungen in der Schlussrechnung erkennen und korrigieren?
Viele Gerüstbauer neigen dazu, Segmente, die für die sukzessive Höhenentwicklung in verschiedenen Zeilen aufgeführt werden, mehrfach zu addieren. Sie erkennen die Doppelzählung durch einen einfachen geometrischen Plausibilitäts-Check. Vergleichen Sie die abgerechnete Gesamtfläche mit der tatsächlichen Hüllfläche des Gebäudes, also der Länge multipliziert mit der Höhe. Dies ist der schnellste und wirksamste Weg, um massive Überberechnungen sofort zu identifizieren.
Die Fehlerursache liegt meist im unübersichtlichen Aufmaß der Unternehmer. Anstatt die maximal mögliche geometrische Fläche einmalig zu bestimmen, erfassen manche Unternehmen dieselben Gerüstsegmente in mehreren Zeilen hintereinander. Diese einzelnen Posten sollen darstellen, wie das Gerüst in die Höhe aufgebaut wurde. Werden all diese Zeilen ohne Abgleich einfach summiert, entsteht eine völlig unplausible Gesamtfläche, die weit über das hinausgeht, was das Gebäude tatsächlich umhüllt.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel aus der Rechtsprechung: Das Kammergericht Berlin korrigierte eine Abrechnung rigoros, bei der die abgerechnete Fläche über 6.800 Quadratmeter betrug. Durch eine eigene Nachrechnung, welche die tatsächliche geometrische Fassadenfläche zugrunde legte, kamen die Richter auf lediglich 4.800 Quadratmeter. Das Gericht strich alle Flächen, die über diese geometrische Grenze hinausgingen. Allein dieser Rechenfehler reduzierte die Gesamtforderung um über 17.000 Euro.
Ziehen Sie die Baupläne heran und multiplizieren Sie die gemessenen Fassadenlängen mit der Gerüsthöhe, um sofort die maximal plausibel abrechenbare Quadratmeterzahl zu bestimmen.
Wie viel darf ein Gerüstbauer bei Kündigung der Arbeiten für den entfallenen Abbau berechnen?
Die Empörung über hohe Forderungen ist oft groß, wenn der Abbau entfällt und der Nachfolger das Gerüst übernimmt. Das Gesetz folgt hier jedoch dem Grundsatz der sogenannten „großen Kündigungsvergütung“. Nach § 648 BGB behält der Gerüstbauer seinen Anspruch auf die gesamte vereinbarte Vergütung. Dieser Anspruch reduziert sich nur um Aufwendungen, die der Unternehmer durch den Wegfall der Arbeit tatsächlich spart.
Der Abbau gilt als werkvertragliche Pflicht. Wenn Sie als Auftraggeber diesen Leistungsteil kündigen, ist der Gerüstbauer berechtigt, die volle Summe zu fordern. Abgezogen werden lediglich die ersparten Aufwendungen für den konkreten Arbeitsschritt. Dazu zählen die Kosten für die Arbeitskraft, den Maschineneinsatz und den Transport, nicht aber bereits getätigte Investitionen oder Verwaltungskosten. Gerichte halten einen pauschalen Abzug von 30 Prozent für den nicht durchgeführten Abbau häufig für angemessen und plausibel.
Nehmen wir an, der Gerüstbauer vermietet das stehende Material sofort an einen Nachfolgeunternehmer weiter. Diese Einnahmen mindern den ursprünglichen Werklohnanspruch nach § 648 BGB nicht. Hierbei handelt es sich um kapitalbezogene Einnahmen, da sie die bloße Weiterverwertung des Eigentums betreffen. Die gesparte Arbeitskraft für den Abbau bleibt davon unberührt. Eine Argumentation, die gesamte Grundgebühr müsse wegen der Weitervermietung entfallen, wird daher juristisch zurückgewiesen.
Fordern Sie eine dezidierte Aufstellung der ersparten Aufwendungen (Personal, Transport), um die Plausibilität der angesetzten Abzüge zu prüfen.
Wann genau endet die zahlungspflichtige Mietzeit für ein Gerüst nach der Freigabe-Meldung?
Es ist ärgerlich, wenn das Gerüst nach Abschluss Ihrer Arbeiten noch tagelang steht und weiter berechnet wird. Die Zahlungsverpflichtung richtet sich nicht nach dem faktischen Abbau, sondern nach der formellen Freigabe-Meldung. Der Gerüstbauer hat jedoch das Recht auf eine Kulanzfrist, um den Rücktransport zu organisieren. Die zahlungspflichtige Vorhaltezeit endet gemäß der maßgeblichen Norm frühestens mit Ablauf des dritten Werktages nach Zugang Ihrer Mitteilung beim Auftragnehmer.
Diese Regelung findet sich in der ATV DIN 18451, welche Bestandteil der VOB/C ist und die Ausführung von Gerüstarbeiten standardisiert. Diese Norm schützt den Auftragnehmer vor einem sofortigen Zwang zum Abbau und gibt ihm Zeit zur Disposition seiner Kapazitäten. Die zahlungspflichtige Vorhaltezeit endet demnach mit Ablauf des dritten Werktages, der auf den Tag des Zugangs Ihrer Freigabe-Mitteilung folgt. Dabei zählen Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage nicht als Werktage.
Nehmen wir an, Sie melden das Gerüst am Dienstag per E-Mail frei. Der erste Werktag ist Mittwoch, der zweite Donnerstag und der dritte Freitag. Die Mietzeit endet in diesem Fall mit Ablauf des Freitags. Steht das Gerüst tatsächlich noch bis zum darauffolgenden Montag, darf dieser zusätzliche Zeitraum nicht mehr in Rechnung gestellt werden. Die faktische Standzeit nach dieser Frist zählt nicht mehr als Mietzeit, sondern als die reine Abbaudauer des Unternehmens.
Überprüfen Sie das genaue Zugangsdatum Ihrer Mitteilung und streichen Sie alle darüber hinaus berechneten Mietpositionen sofort und schriftlich.
Kann ich die Zahlung einer Gerüstrechnung wegen einer fehlenden Freistellungsbescheinigung stoppen?
Die fehlende Freistellungsbescheinigung bietet Ihnen nur einen kurzfristigen Hebel, die Zahlung zu verweigern. Dieses Leistungsverweigerungsrecht ist nicht von Dauer, da der Gerüstbauer das Dokument jederzeit nachreichen kann. Entscheidend ist steuerrechtlich nicht der Zeitpunkt der Rechnungsstellung, sondern die Gültigkeit der Bescheinigung im Moment der tatsächlichen Überweisung.
Als Auftraggeber tragen Sie die Verantwortung, die Einhaltung der Bauabzugsteuer nach § 48b EStG sicherzustellen. Liegt die Bescheinigung nicht vor, müssen Sie 15 Prozent der Rechnungssumme direkt an das Finanzamt abführen. Nur so vermeiden Sie als Leistungsempfänger die Haftung für die Steuerschulden des Auftragnehmers. Der Gesetzgeber erlaubt Ihnen die Zahlungsverweigerung, um Sie vor diesem unmittelbaren Haftungsrisiko zu schützen, bis das notwendige Dokument vorgelegt wird.
Dieses Verweigerungsrecht entfällt sofort, sobald das Unternehmen eine gültige Bescheinigung vorlegt, selbst wenn dies erst während eines Gerichtsverfahrens geschieht. Gerichte betrachten die Bescheinigung als jederzeit nachlieferbaren Beleg, dessen Fehlen die Forderung nicht dauerhaft blockiert. Wenn die Freistellungsbescheinigung zum Zeitpunkt der Gegenleistung – also der Überweisung – gültig ist oder war, entfällt das Leistungsverweigerungsrecht rückwirkend. Sie müssen dann unverzüglich zahlen, um nicht in Zahlungsverzug zu geraten.
Prüfen Sie vor einer formellen Zahlungsverweigerung über das Portal des Bundeszentralamtes für Steuern, ob das Unternehmen aktuell eine gültige Freistellungsbescheinigung besitzt.
Ist meine Gerüstbau-Schlussrechnung automatisch unwirksam, wenn die Aufmaßblätter unübersichtlich sind?
Nein, die Gerüstbau-Schlussrechnung wird nicht automatisch ungültig, nur weil das beigefügte Aufmaß unübersichtlich oder kompliziert erscheint. Die Prüffähigkeit einer Rechnung hängt allein davon ab, ob ein sachkundiger Dritter die Mengenberechnung objektiv nachvollziehen kann. Basisdaten wie Längen, Höhen und eindeutige Fassadenbezeichnungen müssen hierfür enthalten sein.
Gerichte bewerten die Prüffähigkeit pragmatisch. Selbst wenn die Unterlagen auf den ersten Blick chaotisch oder verwirrend wirken, sind sie nicht sofort unprüfbar, solange die zugrundeliegenden geometrischen Daten vorhanden sind. Diese rechtliche Haltung verhindert, dass Auftraggeber die Zahlung mit dem pauschalen Argument der Form ablehnen können, nur weil sie die Auseinandersetzung über die tatsächlichen Inhalte scheuen.
Die Konsequenz mangelnder Übersichtlichkeit oder Rechenfehler ist daher nur eine inhaltliche Korrektur der Forderungshöhe. Sie können fehlerhafte Positionen aus der Gerüstrechnung streichen, aber Sie können nicht die gesamte Forderung formell für unwirksam erklären. Versuchen Sie dies, geraten Sie wahrscheinlich in Verzug, da Gerichte die Prüffähigkeit meist bejahen, wenn die Messdaten prinzipiell enthalten sind.
Markieren Sie widersprüchliche oder fehlende Längen- und Höhenangaben im Aufmaß und fordern Sie nur für diese spezifischen Punkte Klärung, statt die komplette Zahlung zu verweigern.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Bauabzugsteuer
Die Bauabzugsteuer ist eine besondere steuerliche Pflicht für Auftraggeber von Bauleistungen, 15 Prozent der Rechnungssumme direkt an das Finanzamt abzuführen, um die korrekte Steuerabführung des Auftragnehmers zu sichern. Der Gesetzgeber schützt den Staat damit vor Steuerhinterziehung im Baugewerbe und entlastet den Auftraggeber von der Haftung, sofern der Auftragnehmer eine gültige Freistellungsbescheinigung vorlegt.
Beispiel: Da die Gerüstfirma eine bis Ende 2024 gültige Freistellungsbescheinigung vorweisen konnte, hatte die Auftraggeberin kein Recht, die Zahlung unter Berufung auf die Bauabzugsteuer zu verweigern.
Ersparte Aufwendungen
Ersparte Aufwendungen sind alle Kosten, die einem Unternehmer durch den Wegfall einer vertraglich vereinbarten Leistung – etwa den Abbau des Gerüsts nach Kündigung – tatsächlich erspart bleiben. Juristen wenden dieses Prinzip an, um den Anspruch des Unternehmers auf die volle Vergütung um jenen Betrag zu mindern, den er sich durch den nicht mehr benötigten Einsatz von Personal, Material oder Transportmitteln spart.
Beispiel: Das Gerüstbauunternehmen musste sich die ersparten Aufwendungen für den entfallenen Abbau des Gerüsts anrechnen lassen, weshalb das Gericht die Gesamtforderung um pauschale 30 Prozent kürzte.
Gemischttypische Verträge
Juristen nennen einen Gemischttypischen Vertrag eine Vereinbarung, die Elemente aus mindestens zwei unterschiedlichen gesetzlichen Vertragstypen miteinander verbindet. Diese rechtliche Zwitterstellung ist notwendig, um alle Komponenten eines komplexen Geschäfts – hier die Erfolgsleistung (Aufbau) und die Gebrauchsüberlassung (Miete) – juristisch präzise zuordnen und abrechnen zu können.
Beispiel: Der Gerüstbauvertrag ist ein gemischttypischer Vertrag, weil der Auf- und Abbau werkvertraglichen Regeln folgt, während die Nutzungsdauer als mietvertragliche Vorhaltezeit gilt.
Große Kündigungsvergütung
Die Große Kündigungsvergütung nach § 648 BGB erlaubt es einem Werkunternehmer, nach einer Kündigung durch den Auftraggeber trotzdem die gesamte vereinbarte Vergütung zu verlangen. Dieses Prinzip sichert den Unternehmer finanziell ab, indem er zwar die Ersparnisse anrechnen muss, aber nicht darauf angewiesen ist, einen Nachfolgeauftrag zu finden, um seinen Gewinn zu erzielen.
Beispiel: Im Bauvorhaben O-Straße stützte das Gericht den Gerüstbauer, da ihm trotz des entfallenen Abbaus die große Kündigungsvergütung zustand, abzüglich der tatsächlich ersparten Aufwendungen.
Prüffähigkeit (der Schlussrechnung)
Die Prüffähigkeit ist die zentrale Anforderung im Baurecht, die sicherstellt, dass ein sachkundiger Dritter die Mengenberechnung einer Schlussrechnung objektiv nachvollziehen und rechnerisch überprüfen kann. Dieses Kriterium schützt den Auftraggeber vor willkürlichen Forderungen; solange die Rechnung nicht prüfbar ist, muss er die Zahlung nicht leisten, bis die Fehler korrigiert wurden.
Beispiel: Das Kammergericht Berlin bejahte die Prüffähigkeit der Rechnung, da der Gerüstbauer im Prozess detaillierte Aufmaßblätter mit Längen und Höhen nachreichte, die eine Nachvollziehbarkeit erlaubten.
Vorhaltezeit
Die Vorhaltezeit bezeichnet im Gerüstbaurecht die vertraglich vereinbarte Mietdauer, während der das Gerüst für den Auftraggeber zur Nutzung bereitsteht. Da diese Phase mietvertraglicher Natur ist, muss der Auftraggeber die vereinbarte Gebühr pro Tag oder Woche zahlen, bis er das Gerüst ordnungsgemäß freigemeldet hat und die gesetzliche Frist abgelaufen ist.
Beispiel: Obwohl das Gerüst faktisch noch stand, endete die zahlungspflichtige Vorhaltezeit bereits am Freitag, dem 14. Juli, da die Auftraggeberin das Gerüst fristgerecht zur Freigabe gemeldet hatte.
Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: 21 U 16/25 – Urteil vom 18.11.2025
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