LG Heilbronn – Az.: 11 O 248/20 – Urteil vom 03.09.2021
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird bis zum 30.03.2021 auf 6.270,00 Euro, für den Zeitraum danach auf 2.401,41 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Nachforderung des Umsatzsteueranteils aus Werklohn aus abgetretenem Recht.
Die Beklagte ist ein Bauträgerunternehmen. Sie schloss mit der ……… (Zedentin) im Jahr 2010 einen Vertrag zur Erneuerung der Dachabdichtung am Hotel ……… in ………. Die Leistungen wurden durch die Zedentin fristgerecht und mangelfrei erbracht und von der Beklagten abgenommen. Die Zedentin stellte der Beklagten am 14.02.2011 und 25.02.2011 zwei Abschlagsrechnungen sowie am 03.03.2011 eine Schlussrechnung über den Netto-Auftragswert in Höhe von insgesamt 33.000 Euro. Vereinbart war, dass die anfallende Umsatzsteuer nach dem damals geltenden sog. Reverse-Charge Verfahren (§ 13b Abs. 2 S. 2 UStG a.F.) direkt von der Beklagten an das Finanzamt entrichtet werden sollte. Die Zedentin und die Beklagte gingen davon aus, dass die Beklagte Steuerschuldnerin der Umsatzsteuer ist. Die Beklagte bezahlte an die Zedentin den Rechnungsbetrag und führte vereinbarungsgemäß per Saldo eine Umsatzsteuer in Höhe von 2.401,41 Euro ab.
Mit Urteil vom 22.08.2013 (Az. V R 37/10) entschied der Bundesfinanzhof, dass das Reverse-Charge Verfahren auf die Erbringung von Bauleistungen keine Anwendung finde, wenn es sich bei dem Leistungsempfänger um einen Bauträger handele. Die Beklagte stellte daraufhin am 17.10.2014 gegenüber dem Finanzamt Öhringen im Rahmen eines Einspruchs einen Antrag auf Rückerstattung der abgeführten Umsatzsteuer in Höhe von 2.401,41 Euro. Das Verfahren endete mit Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10.10.2018, Az. 12 K 119/17, in dessen Folge mit Änderung der Umsatzsteuerbescheide am 10.01.2019 eine Erstattung der abgeführten Umsatzsteuer erfolgte, von der ein Anteil in Höhe von 2.401,41 Euro – also in voller Höhe des von der Beklagten abgeführten Umsatzsteuerteils – auf den streitgegenständlichen Anspruch entfiel.
Mit Schreiben vom 20.08.2019 informierte das für die Beklagte zuständige Finanzamt ……… das für die Zedentin zuständige Finanzamt ……… über den Vorgang.
Ende November 2019 übersandte die Zedentin der Beklagten korrigierte Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer, deren Höhe in der Summe 6.270 Euro betrug. Am 02.12./10.12.2019 trat die Zedentin die streitgegenständliche Umsatzsteuer in Höhe von 6.270 Euro an den Kläger ab und informierte die Beklagte über den Wechsel der Steuerschuldnerschaft.
Die Beklagte war in Höhe von 61,7 % der Steuerlast, mithin in Höhe von 3.868,59 Euro, vorsteuerabzugsberechtigt. Die verbleibende Umsatzsteuerzahllast betrug 2.401,41 Euro.
Die Beklagte zahlte die verbleibende Umsatzsteuer nicht.
Der Kläger behauptet, mit Schreiben vom 13.09.2019 sei die Zedentin über den Wechsel der Steuerschuldnerschaft informiert und zu dem Verfahren hinzugezogen worden. Die Zedentin sei darüber informiert worden, dass sie gemäß § 14 UstG verpflichtet sei, korrigierte Rechnungen auszustellen, die u.a. die Angabe des anzuwendenden Steuersatzes sowie des Nettobetrags der Rechnung, welcher der Umsatzbesteuerung zugrunde lag, enthalten musste. Darüber hinaus sei über die Möglichkeit der Abtretung der streitgegenständlichen Umsatzsteuer nach § 27 Abs. 19 UstG und dass diese eine Wirkung an Zahlungs statt entfalte, informiert worden.
Der Kläger habe gegen die Zedentin bestandskräftige Änderungsbescheide erlassen.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte schulde die Umsatzsteuer in Höhe von 2.401,41 Euro. Auf den Einwand der Festsetzungsverjährung komme es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht an. Zudem entstehe zwischen der zu zahlenden Umsatzsteuer und dem Rückerstattungsantrag der Beklagten ein Zusammenhang i.S.d. § 171 Abs. 14 AO. Die Festsetzungsverjährungsfrist sei daher gehemmt. Zudem sei der Einwand treuwidrig, wenn die Beklagtenseite auf eigenen Antrag die Umsatzsteuer zurückerhalte, gleichzeitig aber keine Zahlung mehr geschuldet sei.
Zunächst hatte der Kläger Zahlungsklage in Höhe von 6.270 Euro erhoben. Auf den Hinweis der Beklagten zu ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung in Höhe eines Betrags von 3.868,59 Euro hat der Kläger seine Klage mit Schriftsatz vom 30.03.2021 in dieser Höhe unter Verwahrung gegen die Kostenlast zurückgenommen.
Der Kläger beantragt daher zuletzt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.401,41 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.02.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, es bestehe kein Anspruch des Klägers aus ergänzender Vertragsauslegung des streitgegenständlichen Werkvertrags, da im vorliegenden Fall keine Gefahr der Inanspruchnahme bestehe. Ein etwaig ergangener Umsatzsteuerbescheid gegenüber der Zedentin sei jedenfalls rechtswidrig, da Festsetzungsverjährung vorliege. Die Festsetzungsfrist sei auch nicht gehemmt worden, da es nach der formellen Rechtsgrundtheorie auf den Festsetzungstag der Änderungsbescheide (10.01.2019) ankomme.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll aus der öffentlichen Sitzung vom 23.07.2021 samt den dortigen richterlichen Hinweisen sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlangen vollumfänglich verwiesen und Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 2.401,41 Euro aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Das Gericht stellt klar, dass es die Frage, ob grundsätzlich ein Anspruch der Zedentin gegen die Beklagte aus ergänzender Vertragsauslegung der streitgegenständlichen Werkverträge bestehen könnte, bejaht und sich – im Interesse der Rechtssicherheit und der einheitlichen Handhabung der auf diese Praxis der Finanzverwaltung ausgerichteten Verträge – damit der ständigen Rechtsprechung zu dieser Thematik anschließt (Anschluss an BGH, Urteil vom 17. Mai 2018, Az. VII ZR 157/17; OLG Stuttgart, Urteil vom 01.12.2020, Az. 10 U 211/20 m.w.N.). Das erkennende Gericht hat keine Zweifel daran, dass es sich an dieser durch den Bundesgerichtshof getroffenen Entscheidung zu orientieren und ihr zu folgen hat.
2. Gleichwohl scheitert vorliegend ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten aber daran, dass ein solcher Anspruch auch bei Durchführung der ergänzenden Vertragsauslegung nicht besteht.
Die erfolgreiche Durchsetzung eines Anspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten aus § 27 Abs. 19 UStG bedarf eines Steuerbescheids des Klägers gegenüber der Zedentin oder zumindest einer Steueranmeldung der Zedentin nach § 168 AO. Denn die Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) sind die Steuerbescheide, durch die steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden. Die Steueranmeldungen (§ 168 AO) stehen den Steuerbescheiden gleich (§ 218 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1, Satz 2 AO).
Der Kläger legt einen solchen Steuerbescheid oder eine solche Steueranmeldung aber nicht substantiiert dar. Er behauptet lediglich, es seien bestandskräftige Änderungsbescheide gegenüber der Zedentin ergangen (Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.03.2021, S. 5, Bl. 64 d.A.). Hierüber hat sich die Beklagte in zulässiger Weise gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklärt. Zum Beweis der Tatsache, dass bestandskräftige Änderungsbescheide ergangen sind, hat der Kläger Zeugenbeweis angeboten. Hierbei berief er sich auf die Zeugin ……… und den Zeugen Dr. ………. Bei dem isolierten Beweisantritt durch Zeugenbeweis handelt es sich allerdings um untaugliche Beweismittel. Denn der Kläger hat nicht ausreichend dargelegt, warum diese Zeugen Auskünfte zu der zu beweisenden Behauptung erbringen können, die Änderungsbescheide seien gegenüber der Zedentin bestandskräftig ergangen.
Bei der Zeugin ……… handelt es sich nämlich nach – vom Kläger unbestrittenen – Vortrag der Beklagten um die Sachgebietsleiterin beim Finanzamt ………. Diese kann allein schon aufgrund ihrer örtlichen Zuständigkeit nichts über Steuerbescheide des Finanzamts ……… bezeugen.
Nach ebenso unbestrittenem Vortrag der Beklagten ist der Zeuge Dr. ……… zwar Sachgebietsleiter beim Finanzamt ………. Aber selbst wenn der benannte Zeuge die Änderungsbescheide selbst erlassen oder zumindest veranlasst haben sollte, was das erkennende Gericht für hinreichend unwahrscheinlich hält, könnte er ohne Zuhilfenahme der entsprechenden Urkunden mit aller Wahrscheinlichkeit keine Aussage zum Beweisthema machen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die streitgegenständlichen Änderungsbescheide – wie hier – einen alltäglichen Sachverhalt darstellen und bereits mehr als zweieinhalb Jahre zurückliegen. Ein Zeuge kann sich an alltägliche Handlungen, die zu seinem Berufsalltag gehören und die bereits seit längerer Zeit zurückliegen, aus eigener Erinnerungsfähigkeit und ohne Zuhilfenahme der diese Änderungen dokumentierenden Unterlagen in aller Regel nicht erinnern. Dies übersteigt die menschliche Erinnerungsfähigkeit (so auch LG Berlin, Urteil vom 12.06.2018, Az. 22 O 338/16, zu einem vergleichbaren Fall hinsichtlich der Überweisungen von Geld, wobei das LG Berlin bereits einen Zeitraum von mehr als einem Jahr genügen ließ).
Die Ausfertigung der Änderungsbescheide stellen vorliegend einen alltäglichen Vorgang dar, der im Laufe eines Jahres in der Regel hundertfach geschieht. Das Gericht hält es daher für ausgeschlossen, dass sich ein Mensch nach einem solchen Zeitablauf an einen bestimmten Arbeitsvorgang erinnern kann. Gerade aus diesem Grunde werden solche Vorgänge durch schriftliche Dokumente festgehalten (Beweisfunktion).
Gleichwohl wäre der Zeuge, um das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vorweg zu nehmen, grundsätzlich zu hören gewesen. Jedoch hat sich der Vortrag des Klägers in der Behauptung erschöpft, es seien bestandskräftige Änderungsbescheide ergangen, so dass bereits das Beweisthema dem Zeugen gegenüber durch das Gericht nicht hätte konkret genug benannt werden können. Denn dem klägerischen Vortrag fehlt es zumindest an einem substantiierten Vortrag, an welchem Datum und mit welchem Aktenzeichen der Bescheid ergangen sein soll.
Das geeignete Beweismittel, namentlich die behaupteten Änderungsbescheide hätte der Kläger ohne Weiteres im Rahmen des Urkundenbeweises vorlegen können. Dies hat er jedoch auch auf mehrfaches, vehementes Bestreiten der Existenz solcher Änderungsbescheide durch die Beklagte nicht getan. Dem Kläger verblieb auch ausreichend Zeit, auf den Vortrag der Beklagten einzugehen, denn deren Bestreiten erfolgte bereits antizipiert mit der Klageerwiderung (hinsichtlich der Steueranmeldung: Klageerwiderung vom 10.02.2021, S. 7, Bl. 38 d.A.; hinsichtlich des Erlasses von Änderungsbescheiden: Klageerwiderung vom 10.02.2021, S. 8, Bl. 39 d.A.). Es hätte also dem Kläger oblegen, mit der Replik substantiiert zum Erlass der Änderungsbescheide vorzutragen – jedenfalls vorsorglich – und diese mittels Vorlage der Urkunden unter Beweis zu stellen.
Nachdem das Bestreiten dieser Punkte in hervorgehobener Weise (Fettdruck und abgehoben durch neuen Absatz) erfolgte und das Thema nochmals in der Duplik (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.04.2021, S. 4 f., Bl. 70 f. d.A.) aufgegriffen wurde, war dieser durch die Beklagte aufgeworfene Gesichtspunkt auch für den Kläger als erheblich zu erkennen. Der Umfang des Vortrags der Beklagten betrug in beiden Schriftsätzen zudem mehr als eine Seite.
Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten auch nicht i.S.d. § 139 Abs. 2 ZPO erkennbar übersehen, da er in seiner Replik auf den Vortrag der Beklagten zur Erforderlichkeit einer wirksamen Steuerfestsetzung eingegangen ist (Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.03.2021, S. 4, Bl. 63 d.A.). Dennoch hat er seine Ausführungen zur Existenz eines Änderungsbescheids gegenüber der Zedentin sehr pauschal gehalten und diesen Vortrag trotz des Bestreitens durch die Beklagte nicht weiter substantiiert.
Darüber hinaus hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass nicht nur die Bestandskraft und Existenz eines Änderungsbescheides relevant sein dürften, sondern insbesondere auch dessen Rechtmäßigkeit (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2021, S. 2, Bl. 82 d.A.).
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf die stattgebenden Urteile des OLG Stuttgart und des LG Heilbronn berufen, da diesen Fällen ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Insbesondere war in diesen Fällen unstreitig, dass die Änderungsbescheide gegen die dortigen Zedenten bestandskräftig festgesetzt wurden (vgl. das auf den Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart, Az. 13 U 232/20 basierende Urteil des LG Heilbronn, Urteil vom 16.06.2020, Az. 8 O 348/19, S. 2; vgl. weiterhin das in dem hiesigen Verfahren ebenfalls vielfach zitierte Urteil des OLG Stuttgart, Urteil vom 01.12.2020, Az. 10 U 211/20). Der Erlass der Änderungsbescheide ist im vorliegenden Fall aber gerade streitig, was dem Kläger auch bekannt war.
Da der Kläger bewusst die Vorlage des tauglichen Beweismittels unterlassen hat, ist er hinsichtlich der Darlegung der behaupteten Änderungsbescheide beweisfällig geblieben. Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass die behaupteten Änderungsbescheide nicht ergangen sind. Daher lässt sich der geltend gemachte Anspruch nicht gem. § 218 Abs. 1 AO auf den Änderungsbescheid stützen, so dass der Anspruch bereits aus diesem Grund nicht besteht (so im Ergebnis auch KG Berlin, Urteil vom 25.09.2018, Az. 7 U 4/18, das in einem vergleichbaren Fall bereits die ergänzende Vertragsauslegung verneint hat, weil bereits keine Gefahr der Inanspruchnahme bestehe, wenn ein entsprechender Umsatzsteuerbescheid nicht ergangen ist; das KG sah das Finanzamt in der Pflicht, die Umsatzsteuer in der streitgegenständlichen Höhe tatsächlich festzusetzen).
Überdies kam es auf eine Beweisaufnahme durch Einvernahme des Zeugen Dr. ……… aber im Ergebnis auch nicht an (hierzu sogleich unter 3.).
3. Ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten scheitert nämlich bereits daran, dass die streitgegenständliche Umsatzsteuerschuld infolge Festsetzungsverjährung erloschen ist.
a) Vereinbart werden zwischen Unternehmen nämlich regelmäßig „Nettovergütungen zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer“ und nicht etwa Bruttovergütungen.
Vereinbarungen zwischen Unternehmen umfassen zwar grundsätzlich auch die Umsatzsteuer (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – IX ZR 138/14; bei Kaufpreisforderungen: BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 – VIII ZR 198/90). Das ist auch erforderlich, um eine ergänzende Vertragsauslegung zu begründen. Damit meint der BGH aber, dass sich eine Vergütungsvereinbarung aus der Nettovergütung zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer zusammensetzt.
Das ergibt sich insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Umsatzsteueränderungen. Als bspw. im Jahre 2020 in Folge der Corona-Pandemie die Umsatzsteuer zeitweilig von 19 % auf 16 % gesenkt wurde, galt das selbstredend auch für Verträge, die bereits zuvor vereinbart, aber erst innerhalb des Zeitraums der Umsatzsteuersenkung durchgeführt wurden. Grund der Umsatzsteuersenkung war, um den Konsum wieder anzukurbeln und der durch die Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogene Wirtschaft neuen Schwung zu geben. Dabei sollte die Umsatzsteuersenkung – neben den Bürgerinnen und Bürgern – unmittelbar den Unternehmen aller Branchen zugutekommen, die von zusätzlichen Einkäufen profitieren. Die Bundesregierung stellte hierbei klar, dass der entscheidende Zeitpunkt nicht der Vertragsschluss ist, sondern jener Zeitpunkt, zu dem die jeweilige Werkleistung erbracht wird (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/faq-mehrwertsteuersenkung-1764364, zuletzt abgerufen am 25.08.2021).
Es ist auch gerichtsbekannt, dass zwischen Unternehmen regelmäßig über Nettopreise verhandelt wird. Dies folgt unweigerlich aus dem Hintergrund, dass viele Unternehmen vorsteuerabzugsberechtigt sind und es aus steuerlichen Gründen demzufolge vorteilhaft für die Unternehmen ist, sich über Nettopreise zu verständigen, da die Umsatzsteuer ohnehin im Rahmen des Saldoausgleichs angemeldet und entsprechend verrechnet wird. Im Unterschied dazu wird bei Geschäftshandlungen gegenüber Privatkunden in der Regel nur der Kaufpreis ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Mehrwertsteuer genannt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1991 – VIII ZR 198/90).
b) Unter diesem Gesichtspunkt besteht die gesetzliche Umsatzsteuer aber nicht, da die Umsatzsteuer des von der Zedentin an den Kläger abgetreten Anspruchs nach § 47 Var. 4 AO erloschen ist. Denn die Umsatzsteuer ist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO festsetzungsverjährt. Die Festsetzungsfrist wurde auch nicht nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt. Eine Erhebung der Verjährungseinrede durch die Zedentin bedarf es nicht.
aa) Die streitgegenständliche Umsatzsteuer ist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO festsetzungsverjährt.
Die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 Alt. 1 AO). Wird die Steuererklärung nicht oder verspätet abgegeben, so beginnt die Frist mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO).
Es ist unbekannt, wann die Zedentin ihre Steuererklärung für das Jahr 2011 abgegeben hat. Auf den genauen Zeitpunkt kommt es aber nicht an, da die streitgegenständlichen Rechnungen aus dem Jahre 2011 datieren. Somit hat die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des Jahres 2014 begonnen und hat demzufolge spätestens mit Ablauf des Jahres 2018 geendet. Da jedoch der Kläger nach eigenem Vortrag erst im Jahre 2019 Schritte veranlasste, die zur Abtretung des streitgegenständlichen Anspruchs führten, lag zu diesem Zeitpunkt in jedem denkbaren Fall eine Festsetzungsverjährung vor. Denn die Erstattungsbeträge zu Gunsten der Beklagten wurden erst mit den geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 10.01.2019 festgesetzt. Vor diesem Zeitpunkt konnte keine Hemmungswirkung nach § 171 Abs. 14 AO eintreten.
Diese Frist ist auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu verlängern, weil die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes dem damals üblichen Reverse-Charge Verfahren diametral entgegenlief. Denn das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 22.08.2013 (Az. V R 37/10) musste dem Kläger jedenfalls im Laufe des Jahres 2013 bekannt geworden sein. Zudem stellte die Beklagte ihren Erstattungsantrag bereits im Laufe des Jahres 2014. Dem Kläger blieb damit mehr als die volle Festsetzungsverjährungsfrist, um sich auf die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes einzustellen und Schritte in die Wege zu leiten, um den Ablauf von Festsetzungsverjährungsfristen in rechtmäßiger Weise zu hemmen. Der Kläger hat diese Frist aber sehendes Auges verstreichen lassen und ist untätig geblieben. Aus diesem Grund ist er auch nicht unter diesem Gesichtspunkt schutzbedürftig.
bb) Die Festsetzungsfrist wurde auch nicht nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt.
Nach § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht zahlungsverjährt ist. Es muss folglich ein „Zusammenhang“ zwischen Erstattungsanspruch und Steueranspruch bestehen. Zweck des mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1985 neu eingefügten Abs. 14 AO ist es, einem „Steuersparmodell“ den Boden zu entziehen, welches darauf beruht, dass Steuerpflichtige nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist, aber vor Ablauf der fünfjährigen Zahlungsverjährung behaupten, ihnen sei der Steuerbescheid nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden und Erstattung der gezahlten Steuer begehren (BT-Drucksache 10/1636, S. 44; BFH Beschluss vom 16. November 2011 V B 34/11, BFH/NV 2012, 373). Der Finanzverwaltung soll es ermöglicht werden, in derartigen Situationen dem materiell-rechtlich bestehenden Steueranspruch noch einen verfahrensrechtlich wirksamen Bescheid „unterzuschieben“. Vor dem Hintergrund dieser Zwecksetzung liegt es nahe, dass ein Erstattungsanspruch nur dann im Sinne des § 171 Abs. 14 AO mit dem Steueranspruch „zusammenhängt“, wenn er sich als Reflex der – geänderten oder formal unwirksamen – Steuerfestsetzung darstellt.
Ein derartiger Zusammenhang besteht aber nur zwischen der geänderten Steuerfestsetzung bei der Beklagten und dem daraus resultierenden Steuererstattungsanspruch, nicht aber zwischen der Steuerfestsetzung bei der Zedentin und dem Erstattungsanspruch der Beklagten. Der Steuererstattungsanspruch der Beklagten ist nicht Folge einer geänderten Steuerfestsetzung bzw. beruht auf der Erkenntnis der Unwirksamkeit der Steuerfestsetzung bei der Zedentin; vielmehr ist umgekehrt die Steuerfestsetzung bei der Zedentin Folge der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch die Beklagte (so auch in einem vergleichbaren Fall Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 07.06.2018, Az. 5 V 123/1, das über den Änderungsbescheid des Drittunternehmers zu entscheiden hatte ausführlich Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 19.11.2019, Az. 5 K 193/18 -).
Nichts anderes ergibt sich zudem aus der Auslegung des Schreibens des BMF vom 26.07.2017 (BMF v. 26.07.2017 – III C 3 – BStBl. 2017 I S. 1001), wonach der Steuerbescheid „für noch nicht festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume (§ 169 Abs. 1 AO) zu ändern [ist]“. Daraus folgt gerade nicht, dass in sonstigen Fällen ein Änderungsermessen besteht. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass sonstige, d.h. festsetzungsverjährte Fälle, vom Gesetzgeber gerade deshalb nicht geregelt worden sind, weil diese Fälle aufgrund der Erlöschenswirkung (vgl. hierzu unten unter dd)) offensichtlich keiner Regelung bedurften.
Für die Frage, ob ein Rechtsgrund für eine Steuerzahlung besteht, kommt es nach der sog. formellen Rechtsgrundtheorie auf die Bescheidlage, nach der sog. materiellen Rechtsgrundtheorie auf die materielle Rechtslage und damit darauf an, ob nach den Steuergesetzen ein Anspruch auf die Zahlung bestand (vgl. zum Streitstand z.B. Klein/Ratschow, a.a.O., § 37 Rz 25 ff.). Diese Frage hat der Bundesfinanzhof im Sinne der formellen Rechtsgrundtheorie entschieden (BFH, Urteil vom 04.08.2020, Az. VIII R 39/18, Rn. 28). Denn der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Regelung die Zahlung auf einen unwirksam bekanntgegebenen Steuerbescheid (ungeachtet des bestehenden materiellen Steueranspruchs) als rechtsgrundlose Zahlung angesehen, die unmittelbar einen Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen begründet. Macht – so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 10/1636, S. 44) – der Steuerpflichtige die unwirksame Bekanntgabe geltend, seien die aufgrund des Steuerbescheides geleisteten Zahlungen innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist zu erstatten (BFH, Urteil vom 04.08.2020, Az. VIII R 39/18, a.a.O.). Unter diesen Gesichtspunkten ist vorliegend maßgeblich, dass es für den Anspruch gegen die Beklagte an einem formalen Rechtsgrund in Gestalt eines innerhalb der Festsetzungsverjährungsfrist ergangenen Änderungsbescheides gegenüber der Zedentin fehlt.
cc) Der Annahme der Festsetzungsverjährung steht auch nicht entgegen, dass der Kläger meint, es käme lediglich auf die Bestandskraft und Existenz eines Änderungsbescheids gegenüber der Steuerschuldnerin an, keinesfalls aber auf dessen Rechtmäßigkeit in Ansehung der Festsetzungsverjährung. Diese Rechtsauffassung steht nach Ansicht des erkennenden Gerichts in augenfälligem Widerspruch mit Blick auf die verfassungsmäßig verankerte Rechtsstaatlichkeitsgarantie, wonach der Kläger als Teil der vollziehenden Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG).
Das Gericht verkennt nicht, dass die Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsatzsteuer keineswegs schutzbedürftig ist, weil sie sich die Umsatzsteuer erstatten ließ, obwohl sie vereinbarungsgemäß mit der Zedentin Steuerschuldnerin der streitgegenständlichen Umsatzsteuer sein sollte.
Das ändert aber nichts daran, dass auch der Kläger keinesfalls schutzwürdig ist, soweit er sich auf einen nicht existenten, jedenfalls aber rechtswidrig ergangenen Steuerbescheid beruft.
Das FG Münster (FG Münster, Urteil vom 17.06.2020, Az. 15 K 3839/17 -) hat darauf hingewiesen, dass zu beachten sei, dass im Rahmen der Feststellung des Bestehens des Umsatzsteuernachforderungsanspruchs durch ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit implizit die Rechtmäßigkeit der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegenüber dem Bauleistenden zu prüfen ist, da nur die Rechtmäßigkeit dieser Änderung den Umsatzsteuernachforderungsanspruch zur Entstehung gelangen lässt. Durch ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit müsste daher inzident über eine originär dem Finanzrechtsweg zugewiesene Vorfrage entschieden werden (FG Münster, a.a.O.).
Diese Auffassung des FG Münster überzeugt. Denn die Beklagte hätte andernfalls keine Rechtsschutzmöglichkeit gegen den Anspruch des Klägers. Gegen eine möglicherweise rechtswidrige Steuerfestsetzung des Klägers gegen die Zedentin könnte die Beklagte – mangels Klagebefugnis – nicht das Finanzgericht anrufen. Mit Blick auf ihre verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG muss der Beklagten aber die Möglichkeit gegeben sein, die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids juristisch prüfen zu lassen. Daher bleibt letztlich nur eine inzidente Prüfung im ordentlichen Rechtsweg (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG).
dd) Als Rechtsfolge ergibt sich, dass der streitgegenständliche Anspruch infolge Verjährung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gemäß § 47 Var. 4 AO erloschen ist. Daher kommt es auf die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Zedentin nicht an (a.A. aber offenbar OLG Stuttgart, Urteil vom 01.12.2020, Az. 10 U 211/20, das davon auszugehen scheint, dass sich ein Steuerschuldner wie die Zedentin sich auf die Verjährung „berufen“ müsse). Dieser Meinung vermag sich das erkennende Gericht aber aufgrund dogmatischer Bedenken nicht anzuschließen. Denn wenn ein Anspruch durch Vollendung eines gesetzlichen Tatbestands erlischt, so handelt es sich um eine Einwendung. Der Anspruch ist damit materiell-rechtlich ipso iure nicht mehr existent und nicht nur hinsichtlich seiner Durchsetzung gehemmt, wie es bei Einreden der Fall ist.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2, 3 ZPO.
Soweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat, waren ihm nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch die auf diesen Teil der Klage entfallenden Kosten aufzuerlegen. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Kostentragungspflicht bei Wegfall des Klageanlasses vor Rechtshängigkeit und anschließender Klagerücknahme hinsichtlich des auf den zurückgenommenen Teil der Klage entfallenden Teils der Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen. Danach hat der Kläger auch den auf die teilweise Klagerücknahme entfallenden Teil der Kosten zu tragen. Denn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes ergibt sich, dass die Klage, wenn man die Vorsteuerabzugsberechtigung der Beklagten und die teilweise Klagerücknahme hinwegdenkt, auch über diesen Teil abgewiesen worden wäre. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.