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Nachbaranspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 15 ZB 17.317 – Beschluss vom 15.01.2019

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Klägers, den Beklagten zu bauaufsichtlichem Einschreiten gegen vom Beigeladenen auf dem südlich benachbarten Grundstück vorgenommene Baumaßnahmen zu verpflichten, nur teilweise stattgegeben. Mit seinem Rechtsmittel möchte der Kläger erreichen, dass der Beklagte darüber hinaus dazu verpflichtet wird anzuordnen, die Kellererweiterung auf dem Grundstück des Beigeladenen gemäß dessen Vorlage im Verfahren F-33-2014 (Landratsamt Dingolfing-Landau) zur Gänze zu beseitigen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die geltend gemachten Zulassungsgründe – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dazu nachfolgend 1.), besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2, siehe im Folgenden 2.) und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, unten unter 3.) – liegen nicht vor.

1. Das Verwaltungsgericht hat unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zum Rechtsanspruch eines Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten entschieden, dass die für eine Beseitigungsanordnung gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO insoweit einschlägigen Voraussetzungen nur hinsichtlich der vom Beigeladenen an der Grundstücksgrenze errichteten Außentreppe und in Bezug auf die (mögliche) Nutzung der neu geschaffenen Kellerdecke als an der Grenze um rund 1,30 m über dem Geländeniveau liegende Terrasse gegeben seien.

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO oder einer sonstigen nachbarschützenden Vorschrift durch den benachbarten Bauherrn nicht genügt, um eine Reduzierung des von Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens auf eine strikte Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum Einschreiten zu begründen. Eine solche Ermessensreduzierung ist regelmäßig nur anzunehmen, „wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt“ (BayVerfGH, E.v. 3.12.1993 – Vf. 108-VI-92 – BayVBl 1994, 110 = juris Rn. 26, 27; BayVGH, B.v. 21.1.2002 – 2 ZB 00.780 – juris Rn. 2; B.v. 16.11.2005 – 14 ZB 05.2018 – juris Rn. 13; B.v. 2.3.2006 – 15 ZB 05.2726 – juris Rn. 6; B.v. 23.1.2008 – 15 ZB 06.3020 – juris Rn. 4; B.v. 3.4.2008 – 1 ZB 07.3115 – juris Rn. 10; B.v. 18.6.2008 – 9 ZB 07.479 – juris Rn. 4; B.v. 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355 – juris Rn. 9; B.v. 20.4.2010 – 9 ZB 08.319 – juris Rn. 3; B.v. 29.3.2011 – 15 ZB 09.412 – juris Rn. 3; B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 25.9.2013 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 16 f.; U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 21; B.v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876 – juris Rn. 19; B.v. 20.5.2016 – 15 ZB 15.891 – n.v. Rn. 5). An diesen Grundsätzen wird festgehalten. Da es sich hierbei um die Auslegung von Landesrecht handelt, kommt es auf abweichende Entscheidungen der Gerichte anderer Bundesländer, die vereinzelt bereits den Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften genügen lassen, nicht an. Auch bundesrechtlich ist keine andere Handhabung geboten (vgl. BVerwG, U.v. 4.6.1996 – 4 C 15/95 – BayVBl 1997, 23 = juris Rn. 16, 17 unter Hinweis auf U.v. 18.8.1960 – 1 C 42.59 – BVerwGE 11, 95 = juris Rn. 10: Schutzvorschriften des einfachen Rechts regelten nicht die Frage, ob die Bauaufsichtsbehörden im Falle ihrer Verletzung strikt oder nur im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens – erg.: zum Einschreiten – verpflichtet sind).

Vor diesem Hintergrund ist die Richtigkeit der Entscheidung des Erstgerichts nicht ernstlich zweifelhaft. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen der achten Kammer des Verwaltungsgerichts München (B.v. 17.8.2010 – M 8 SN 10.3509 – juris und B.v. 11.11.2014 – M 8 E1 14.4665 – juris) meint, das Entschließungsermessen der Behörde sei stets auf eine Pflicht zum Einschreiten reduziert, wenn die Verletzung der drittschützenden Norm spürbar, also nicht nur geringfügig sei, übersieht er mehrere wesentliche Gesichtspunkte in diesen Judikaten. Einerseits ging es jeweils – nur – um Entscheidungen in vorläufigen Rechtsschutzverfahren; das Ziel der jeweiligen Anträge war auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO (im erstgenannten Fall) beziehungsweise auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung im Weg der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO (in dem weiteren Fall) gerichtet. In beiden Entscheidungen ist das Gericht hinsichtlich der für die Ermessensbetätigung geltenden Maßstäbe von der oben ausführlich dargestellten Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ausgegangen (B.v. 17.8.2010 a.a.O. Rn. 40; B.v. 11.11.2014 a.a.O. Rn. 42). Die daran anschließenden Erwägungen (B.v. 17.8.2010 a.a.O. Rn. 56; B.v. 11.11.2014 a.a.O. Rn. 43, 44), den Nachbarn zur gebotenen Wahrung ihrer Rechte in den jeweiligen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bereits dann einen Anspruch gegenüber den Bauaufsichtsbehörden einzuräumen, wenn sich der Verstoß gegen ihre subjektiv-öffentlichen Rechte auf nicht (damals: mehr) zum präventiven Prüfungsmaßstab gehörende Gegenstände (damals: Abstandsflächenrecht) bezog und mehr als nur geringfügig war, sind erkennbar – nur – der besonderen bauverfahrens- und prozessrechtlichen Situation geschuldet. Eine grundsätzliche Abkehr von der in der Rechtsprechung der bayerischen Verwaltungsgerichte – soweit ersichtlich – einhellig vertretenen Ansicht kann aus den zitierten Entscheidungen deshalb nicht gefolgert werden.

Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Einschätzung des Erstgerichts, dass von dem gegenwärtigen Zustand keine konkreten Gefahren für Leib und Leben oder das Eigentum des Klägers ausgehen. Es liege keine Einsturzgefahr vor, Bedenken wegen des Brandschutzes bestünden nicht (vgl. Seiten 11 bis 13 der Urteilsausfertigung). Die Richtigkeit dieser Ausführungen kann der Kläger mit seinen Überlegungen zu einem hypothetischen künftigen Geschehensablauf wie der behaupteten nicht mehr ohne weiteres möglichen Entfernung der Stützmauer auf seinem Grundstück nicht ernstlich in Frage stellen.

Die Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Entscheidung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dort wegen der Zumutbarkeit der Errichtung einer rund 1,30 m hohen Bebauung an der Grenze unter den Blickwinkeln der Belichtung, Besonnung und Belüftung ein Hinweis auf Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO enthalten ist, wonach in dem fraglichen Baugebiet beispielsweise auch geschlossene Einfriedungen bis zu einer Höhe von 2 m keine eigenen Abstandsflächen einhalten müssten. Dieser bloße Hinweis soll bei verständiger Würdigung ersichtlich keine wertungsmäßige Gleichstellung von Einfriedungen mit Gebäuden und Räumen an der Grenze beinhalten und bildet damit auch keinen eigenständigen Rechtsgedanken, auf den die Entscheidung des Erstgerichts tragend aufbauen würde.

Schließlich verfängt auch die Kritik an der Bezugnahme des Erstgerichts auf die Begründung der Entscheidung des Beklagten, wonach der Antrag auf Beseitigung der gesamten Kellererweiterung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspreche, weil der wirtschaftliche Schaden des Beigeladenen außer Verhältnis zum Verlangen des Klägers stehe, nicht. Diese Ausführungen stehen im Zusammenhang mit den weiteren Feststellungen, dass der Eingriff am Fundament der Grenzgarage des Klägers geringfügig und eine Einsturzgefahr unwahrscheinlich sei, seit Errichtung im Jahr 2012 bis zur Baukontrolle am 22. September 2015 seien keine Risse an den Gebäuden oder Bodensetzungen der Einfahrt feststellbar gewesen. Dass angesichts dessen die vom Kläger begehrte behördliche Anordnung einer vollständigen Beseitigung der Kellererweiterung unverhältnismäßig wäre, liegt für den Senat auf der Hand.

2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nicht erkennbar sind.

3. Die vom Kläger mit Hinweis auf eine uneinheitliche Rechtsprechung aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen bei einer ungenehmigten Verkürzung von Abstandsflächen das Ermessen im Rahmen des Art. 76 Satz 1 BayBO auf Null reduziert ist, verleiht dieser Rechtssache schließlich auch keine grundsätzliche Bedeutung.

Eine grundsätzliche Klärung der Voraussetzungen, unter denen die Bauaufsichtsbehörden im Einzelfall im Interesse eines Nachbarn zum Einschreiten gegen rechtswidrige Vorhaben verpflichtet sein können, ist bereits erfolgt, vergleiche die unter 1. zitierte Rechtsprechung. Die davon abweichende Rechtsprechung der Gerichte anderer Bundesländer ist, da es sich vorliegend um die Auslegung einer Vorschrift der Bayerischen Bauordnung handelt, nicht maßgeblich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 VwGO billigerweise selbst. Er hat zwar über seine Bevollmächtigen beantragt, den Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen; in diesem Stadium des Verfahrens hat er sich jedoch mit diesem bloßen Verfahrens- beziehungsweise Prozessantrag keinem eigenen Kostenrisiko (§ 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 154 Rn. 9). Vielmehr prüft das Gericht die Voraussetzungen der § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4 und 5 VwGO von Amts wegen. Eine unabhängig davon für die Erstattungsfähigkeit in Betracht kommende, wesentliche Förderung des Zulassungsverfahrens durch den Beigeladenen (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 27; B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 18.947 – Rn. 14; B.v. 7.1.2019 – 15 ZB 18.949 – Rn. 14; B.v. 8.1.2019 – 15 ZB 18.948 – Rn. 12) hat hier nicht stattgefunden.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.

5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 

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