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Nachbarwiderspruch gegen Baugenehmigung

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 2 M 19/22 – Beschluss vom 19.04.2022

Die Beschwerde der Antragsteller wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die für erstattungsfähig erklärt werden.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller richten sich gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes auf dem Nachbargrundstück.

Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks A-Straße 91 in A-Stadt, Gemarkung (D.), Flur A, Flurstück 38. Das Grundstück ist mit einem zweigeschossigen Wohnhaus nebst ausgebautem Dachgeschoss bebaut. Rückseitig sind Nebengebäude vorhanden. Das Wohnhaus ist straßenbegleitend angeordnet und grenzt mit der östlichen Giebelseite an das Baugrundstück.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2021 erteilte die Antragsgegnerin den Beigeladenen eine Baugenehmigung für das Vorhaben „Ersatzneubau EFH mit Einliegerwohnung“ auf dem Grundstück A-Straße 93 in A-Stadt, Gemarkung (D.), Flur A, Flurstücke 40/2 und 39. Das Grundstück grenzt östlich an das Grundstück der Antragsteller an. Der zweigeschossige Neubau hat eine Grundfläche von 6,26 m x 24,60 m und soll im rückwärtigen Grundstücksbereich errichtet werden (BA Bl. 19). Das bislang auf dem Grundstück befindliche Gebäude soll abgerissen werden (BA Bl. 26).

Mit Schreiben vom 2. Dezember 2021 legten die Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteile Baugenehmigung Widerspruch ein, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.

Nachbarwiderspruch gegen Baugenehmigung
(Symbolfoto: Larich/Shutterstock.com)

Mit Beschluss vom 17. Januar 2022 – 2 B 270/21 HAL – hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 2. Dezember 2021 gegen die den Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 24. Juni 2021 anzuordnen, abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, das Vorhaben verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts, insbesondere nicht gegen § 6 BauO LSA. Ausweislich der Bauvorlagen werde der 3 m Abstand eingehalten. Die Baugenehmigung sei auch nicht deshalb baurechtswidrig, weil das Bauvorhaben gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme aus § 34 Abs. 1 BauGB verstieße. Zwar wirke sich die Errichtung des in Rede stehenden Gebäudes, das sich nicht wie das der Antragsteller straßenseitig befinde, sondern in den hinteren Grundstücksbereich zurückspringe, nachteilig auf die Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse im rückwärtigen Bereich des Grundstücks der Antragsteller aus. Zudem wirke die bauliche Situation durch den sich bereits im Rohbau befindliche Neubau nach den von den Beteiligten vorgelegten Lichtbildern überaus beengt. Denn der Neubau erstrecke sich langgezogen in den rückwärtigen Bereich, der dort keine baulichen Anlagen aufweise, die eine Hauptnutzung darstellten. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks der Antragsteller befänden sich nach den vorgelegten Lichtbildern lediglich untergeordnete Schuppen oder Ähnliches. Es handele sich jedoch um einen Ersatzneubau. Die Grundstückssituation sei daher bereits durch ein auf dem Baugrundstück befindliches rückwärtiges Gebäude vorbelastet gewesen. Zwar handele es sich um unschöne, beengte Verhältnisse. Diese beruhten aber auch auf dem Umstand, dass das Wohngebäude der Antragsteller unmittelbar grenzständig zum Baugrundstück errichtet sei. Das Gebäude selbst weise eine massive Kubatur auf. Der geplante Neubau habe nach Aktenlage keine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück der Antragsteller. Es handele sich zwar um eine nicht unerhebliche, aber im Ergebnis nicht unzulässige Verdichtung. Die Hinterlandbebauung sei in dem in Rede stehenden Bereich nördlich der A-Straße nicht ohne Vorbild. Die rückwärtigen Grundstücksbereiche seien durch Einsichtsmöglichkeiten vorbelastet mit der Folge, dass sich das in Rede stehende Bauvorhaben in die von der näheren Umgebung vorgegebene Eigenart auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, einfüge. Die Antragsteller hätten den Ersatzbau auch in der in Rede stehenden Grundstückstiefe hinzunehmen, auch wenn sie auf dieser Höhe selbst keine baulichen Anlagen errichtet hätten, die der Hauptnutzung dienten, sondern diesen Bereich teilweise auch gärtnerisch nutzten. Zudem bestünden wohl auch Einsichtnahmemöglichkeiten durch die im weiter rückwärtigen Bereich errichteten, zum Grundstück der Antragsteller hin giebelseitig ausgerichteten Wohnbaureihen entlang der A-S-Straße. Mit Blick auf die vorgelegten Pläne und Lichtbilder sowie google maps und den Umstand, dass die nähere Umgebung gerichtsbekannt sei, bedürfe es im Eilverfahren keines Ortstermins.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der Antragsteller auf vorläufigen Rechtsschutz ist gegeben. Nach der Rechtsprechung des Senats entfällt das Rechtsschutzbedürfnis des Nachbarn auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zwar grundsätzlich dann, wenn das Bauvorhaben im Rohbau fertig gestellt ist und sich der Antrag gegen Wirkungen richtet, die nutzungsunabhängig vom Baukörper selbst ausgehen. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sich der Nachbar auch durch die Nutzung der genehmigten baulichen Anlage in seinen Rechten verletzt sieht. In diesem Fall kann die Rechtsverletzung mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nach Fertigstellung des Rohbaus noch vorläufig verhindert und somit auch die Rechtsstellung des Nachbarn noch verbessert werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn durch die Nutzung des Gebäudes Einsichtnahmemöglichkeiten in das Grundstück des Nachbarn geschaffen werden (vgl. Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 – 2 M 121/20 – juris Rn. 11 m.w.N.). So liegt es hier. Die Antragsteller richten sich in erster Linie gegen die Einsichtnahmemöglichkeiten in ihren Garten und auf die Rückseite ihres Wohnhauses durch die Fenster, die an der südwestlichen, ihrem Grundstück zugewandten Traufseite des genehmigten Gebäudes angeordnet sind. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob der Rohbau inzwischen fertiggestellt ist.

2. Die gemäß § 6 BauO LSA vorgeschriebenen Abstandsflächen werden von dem genehmigten Bauvorhaben – soweit ersichtlich – freigehalten. Nach dem im Baugenehmigungsverfahren eingereichten Lageplan mit Abstandsflächen (BA Bl. 18) sowie der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Feinabsteckung Doppelhaus (GA Bl.111 R) liegen die erforderlichen Abstandsflächen auf dem Baugrundstück. Soweit die Antragsteller einwenden, es sei nicht ersichtlich, ob die aufzubringende Dämmung zu einer Unterschreitung der Abstandsflächen führe, handelt es sich um eine reine Spekulation.

3. Die Baugenehmigung verstößt – bei summarischer Prüfung – auch nicht gegen das nachbarschützende bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.

a) Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme liegt nicht schon dann vor, wenn sich ein Vorhaben nicht i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. § 34 Abs. 1 BauGB hat nicht generell drittschützende Wirkung. Es reicht nicht aus, dass sich ein Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise oder der überbauten Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Der Nachbarschutz richtet sich vielmehr nach dem im Merkmal des Einfügens enthaltenen (objektivrechtlichen) Gebot der Rücksichtnahme. Auch das Gebot der Rücksichtnahme hat nichts stets, sondern nur dann nachbarschützenden Charakter, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. grundlegend: BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 26 ff.; ferner: Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 – 2 M 121/20 – a.a.O. Rn. 17 ff.). Ein fehlendes „Einfügen“ i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB reicht daher für die Bejahung eines nachbarrechtlichen Abwehranspruchs unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme nicht aus. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, ob sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in die nähere Umgebung einfügt, insbesondere, ob es sich innerhalb der durch die vorhandene Bebauung (vgl. BA Bl. 27 und 28) vorgegebenen Bebauungstiefe (§ 23 Abs. 4 BauNVO) befindet, denn allein ein fehlendes Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche würde nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme führen.

b) Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme unter dem Gesichtspunkt einer „erdrückenden Wirkung“ nicht gegeben.

Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme kann vorliegen, wenn das Vorhaben infolge seines Nutzungsmaßes den Nachbarn durch eine „erdrückende Wirkung“ unzumutbar beeinträchtigt. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Eine erdrückende Wirkung setzt voraus, dass das genehmigte Gebäude nach Höhe, Länge und Volumen erheblich größer ist als das Nachbargebäude (vgl. Beschluss des Senats vom 7. August 2017 – 2 M 64/17 – juris Rn. 16). Eine erdrückende Wirkung durch Höhe und Volumen hat das Bundesverwaltungsgericht beispielsweise angenommen bei Errichtung eines 12-geschossigen Hochhauses in einem Abstand von 15 m an der engsten Stelle zu einem 2 ½-geschossigenGebäude (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38). Der VGH Baden-Württemberg hat eine erdrückende Wirkung angenommen bei einem 3- bis 4-geschossigen Gebäude mit einer Traufhöhe von 13 bis 14 m und einer Giebelhöhe von 16 bis 17 m gegenüber einem eingeschossigen Wohnhaus, bei dem sämtliche Fenster zum Vorhaben hin ausgerichtet waren und das nur wenig mehr als 1 m von der Grundstücksgrenze und einer daran unmittelbar anschließenden Tiefgaragenzufahrt entfernt lag (vgl. VGH BW, Beschluss vom 8. November 2007 – 3 S 1923/07 – juris Rn. 4 f.).Generell ist eine erdrückende Wirkung anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine „Gefängnishofsituation“ entsteht, wenn von der baulichen Anlage eine „Riegelwirkung“ ausgeht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 15 CS 10.1151 – juris Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 10. März 2016 – 7 A 409/14 – juris Rn. 65; HessVGH, Beschluss vom 24. März 2020 – 4 B 2146/19 – juris Rn. 61; Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 – 2 M 121/20 – a.a.O. Rn. 25).

Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Ein Vergleich der Maße des Bauvorhabens der Beigeladenen mit den Maßen des Wohnhauses der Antragsteller ergibt, dass das genehmigte Gebäude nach Höhe, Länge und Volumen nicht erheblich größer ist als das Nachbargebäude. Nach dem von der Antragsgegnerin vorgenommenen Vergleich weist das Wohnhaus der Antragsteller eine Traufhöhe von ca. 7,36 m und eine Firsthöhe von ca. 12,87 m auf, während das Bauvorhaben der Beigeladenen eine Traufhöhe von (nur) ca. 6,00 m und eine Firsthöhe von (nur) ca. 9,30 m hat (BA Bl. 29). Das Bauvorhaben übertrifft die Maße des Wohngebäudes der Antragsteller lediglich im Hinblick auf die Länge, da es – entlang der Grenze zum Grundstück der Antragsteller – eine Länge von ca. 26,00 m hat, während das Wohngebäude der Antragseller lediglich ca. 10,00 m lang ist. Dies kann aber nicht den Ausschlag geben, zumal der Abstand zwischen dem 1. Fenster im OG des Neubaus und dem benachbarten Fenster im Wohnhaus der Antragsteller nach einem von den Beigeladenen mit E-Mail vom 7. Januar 2022 übergebenen Plan 7,25 m beträgt (GA Bl. 112 R). Da das Bauvorhaben damit zwar länger, aber niedriger ist als das Wohnhaus der Antragsteller und auch nicht in unmittelbarer Nähe zu diesem Gebäude errichtet wird, kann von einer erdrückenden Wirkung keine Rede sein.

c) Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist auch nicht wegen der mit ihm verbundenen Einschränkung der Belichtung und Besonnung des Grundstücks der Antragsteller rücksichtslos.

Sind die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten, kommt zumindest aus tatsächlichen Gründen eine Verletzung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme in der Regel nicht mehr in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 1999 – 4 B 128.98 – juris Rn. 3 f.). Eine bestimmte Dauer oder „Qualität“ der Tagesbelichtung eines Grundstücks wird im Baurecht nicht gewährleistet. Diese Frage wird nur mittelbar über das Abstandsflächenrecht erfasst. Durch Abstandsflächen nach § 6 BauO LSA sollen eine ausreichende Belichtung und Besonnung im Regelfall sichergestellt werden. Das Maß der aus diesen Gründen einzuhaltenden Abstände ist damit vom Gesetzgeber vorgegeben. Ein Nachbar, der sich gegen die Verwirklichung eines Bauvorhabens zur Wehr setzt, kann eine über den Schutz des § 6 BauO LSA hinausgehende Rücksichtnahme in der Regel nicht beanspruchen. Weitergehende baunachbarrechtliche Abwehrrechte sind nur in Extremfällen zu erwägen (vgl. Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2018 – 2 M 117/18 – juris Rn. 23 m.w.N.).

Gemessen daran ist eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch „Verschattung“ des Nachbargrundstücks nicht ersichtlich. Soweit die Antragsteller vortragen, die Belichtung und Besonnung ihres Grundstückes sowie des Wohnhauses auf ihrem Grundstück werde durch das angegriffene Bauvorhaben unverhältnismäßig negativ beeinträchtigt, der gesamte vordere Hofbereich sei nunmehr vollkommen im Schatten und die Verdunkelung der Wohnbereiche im Erdgeschoss und in der 1. Etage ihres Wohnhauses sei durch den Neubau des Doppelhauses verursacht, kann dem nicht gefolgt werden. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Vorschriften über Abstandsflächen gemäß § 6 BauO LSA durch das Bauvorhaben der Beigeladenen – soweit ersichtlich – eingehalten werden. Zudem liegen sowohl der Hofbereich als auch die Wohnbereiche im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss des Wohnhauses der Antragsteller südlich des Bauvorhabens der Beigeladenen, so dass eine übermäßige Zunahme der Verschattung des Grundstücks der Antragsteller durch das Bauvorhaben nicht anzunehmen ist. Da die Sonneneinstrahlung aus westlicher südlicher Richtung unbeeinträchtigt bleibt, ist davon auszugehen, dass der Schatten auf dem Grundstück der Antragsteller nicht durch das Bauvorhaben der Beigeladenen, sondern in erster Linie durch ihr eigenes an der A-Straße stehende Wohnhaus verursacht wird.

d) Das Rücksichtnahmegebot wird – soweit derzeit ersichtlich – auch nicht dadurch verletzt, dass nach Verwirklichung des Vorhabens Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller entstehen. Einen Schutz vor fremder Einsichtnahme auf das eigene Grundstück vermittelt das öffentliche Baunachbarrecht, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme, in der Regel nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Januar 1983 – 4 B 224.82 – juris Rn. 5; Beschluss des Senats vom 10. Juni 2015 – 2 M 115/14 – BA S. 5 f., n.v.; Beschluss vom 24. Februar 2016 – 2 M 159/15 – juris Rn. 23). In bebauten innerörtlichen Bereichen gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in das eigene Grundstück und in Gebäude genommen werden kann. Die Grenze des Zumutbaren wird erst dann überschritten, wenn ein Vorhaben Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück eröffnet, die über das hinzunehmende Maß hinausgehen. Im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebotes ist auch insoweit zu berücksichtigen, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen – soweit ersichtlich – mit den bauordnungsrechtlichen Abstandvorschriften in Einklang steht, denn im Regelfall ist – wie bereits ausgeführt – davon auszugehen, dass das Rücksichtnahmegebot zumindest aus tatsächlichen Gründen nicht verletzt ist, wenn die (bauordnungsrechtlichen) Abstandvorschriften eingehalten werden. Diese Regelvermutung gilt auch und in besonderem Maße für die Frage, ob ein Vorhaben wegen der mit ihm verbundenen Einblicksmöglichkeiten rücksichtslos ist.Mehr als ihm die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenbestimmungen zum Schutz des Wohnfriedens gewähren, kann ein Nachbar auch unter Berufung auf das Rücksichtnahmegebot grundsätzlich nicht verlangen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 26. November 1993 – 3 S 2606/93 – juris Rn. 11; Beschluss des Senats vom 16. März 2006 – 2 M 83/06 – juris Rn. 5). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Verhältnisse derart beengt sind, dass den Nachbarn praktisch keine Privatsphäre mehr verbleibt. Das kann der Fall sein, wenn durch die von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben ausgelöste Einsichtnahmemöglichkeit ein letzter intimer, der privaten Lebensgestaltung des Nachbarn zugeordneter Raum zerstört wird, etwa wenn durch die Errichtung eines Balkons qualifizierte Einsichtnahmemöglichkeiten wie von einer „Aussichtsplattform“ in ein etwa ein Meter entferntes Schlafzimmerfenster sowie in die benachbarten Terrassenbereiche geschaffen werden, wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet oder wenn eine bauliche Anlage den alleinigen Zweck hat, als Aussichtsplattform für eine Vielzahl wechselnder Besucher aus großer Höhe zu dienen (vgl. Beschluss des Senats vom 15. Februar 2021 – 2 M 121/20 – a.a.O. Rn. 27 m.w.N.).

Damit dürfte der vorliegende Fall voraussichtlich nicht vergleichbar sein. Zwar werden von den nach Südwesten – also zum Grundstück der Antragsteller – ausgerichteten Fenstern im 1. OG des von den Beigeladenen geplanten Gebäudes (vgl. BA Bl. 24) Einsichtsmöglichkeiten auf den rückwärtigen Bereich des Grundstücks der Antragsteller gegeben sein, wie die Antragsteller insbesondere durch Fotoaufnahmen (GA Bl. 55 – 56) deutlich gemacht haben. Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten Lichtbilder (GA Bl. 106 ff.) zeigen anschaulich die gegebenen Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller. Diese führen aber nicht in der oben dargestellten Weise zu einer weitgehenden Zerstörung des der privaten Lebensgestaltung zugeordneten Raumes der Antragsteller. Vielmehr gehört es – wie ausgeführt – in bebauten innerörtlichen Bereichen regelmäßig zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken aus Einsicht in das eigene Grundstück genommen werden kann. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht zu Recht hervorgehoben, dass es sich bei dem genehmigten Bauvorhaben um einen Ersatzneubau handelt, so dass die Grundstückssituation bereits zuvor – wenn auch in geringerem Maße – durch von dem bislang vorhandenen Gebäude ausgehende Einblicksmöglichkeiten in den rückwärtigen Grundstücksbereich vorbelastet war. Auch liegt zwischen den Baukörpern ein ausreichender Abstand, so dass für die Antragsteller jedenfalls ein Mindestmaß an Privatsphäre verbleiben dürfte. Eine abschließende Klärung der Zumutbarkeit der Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller durch das Bauvorhaben der Beigeladenen muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die von der Beschwerde vermisste Ortsbesichtigung kann dem Verwaltungsgericht nicht als Ermittlungsdefizit vorgehalten werden. Zwar gilt auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO der Untersuchungsgrundsatz. Dieser erfordert im vorliegenden Eilverfahren allerdings gerade nur eine summarische Prüfung. Aus der Eilbedürftigkeit der Entscheidung ergeben sich deshalb auch Einschränkungen an die Anforderungen zur Sachverhaltsermittlung. Die Entscheidung ergeht aufgrund der von den Beteiligten vorgelegten oder sonst in angemessener Zeit verfügbaren Beweismittel. Insbesondere ist es im summarischen Verfahren in aller Regel – und so auch hier – nicht geboten, eine Ortsbesichtigung vorzunehmen. Diese kann regelmäßig dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben. Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – die vorliegenden Lichtbilder, Bauunterlagen und – etwa im Internet – frei zugängliche Luftbilder dem Gericht einen hinreichenden Eindruck von den örtlichen Verhältnissen bieten, um die im Eilverfahren (allein) geforderte Interessenabwägung treffen zu können (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 2 B 1138/20 – juris Rn. 8 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Senat stellt bei der nach § 162 Abs. 3 VwGO zu treffenden Billigkeitsentscheidung in ständiger Rechtsprechung in erster Linie auf die Stellung des Beigeladenen in dem zur Entscheidung anstehenden Interessenskonflikt ab. Er hält daher die Kosten des notwendig beigeladenen Bauherrn, unabhängig davon, ob er einen Antrag gestellt hat, in der Regel für erstattungsfähig, weil er ohne sein Zutun mit einem solchen Verfahren überzogen wird (vgl. Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2018 – 2 M 117/18 – a.a.O. Rn. 24 m.w.N.).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. In baurechtlichen Nachbarstreitigkeiten geht der Senat üblicherweise vom unteren Wert des in Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 vorgeschlagenen Streitwertrahmens aus und setzt regelmäßig einen Streitwert in Höhe von 7.500 € fest. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist dieser Betrag zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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