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Voraussetzungen auf Ersatz von Mangelbeseitigungskosten vor Abnahme der Werkleistung

OLG Stuttgart – Az.: 10 U 15/19 – Urteil vom 28.05.2019

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 16.11.2018, Az. 1 O 53/18, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage statt als unzulässig nunmehr als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet abgewiesen wird.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte wegen der Kosten abwenden durch Sicherheitsleistung i.H. von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 132.275,81 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt Kostenerstattung für die Beseitigung von Mängeln an einem von der Beklagten hergestellten Fußboden in einem Pflegeheim für chronisch psychisch Kranke.

Die Klägerin beauftragte die Beklagte im Februar 2011 mit der Ausführung von PVC-Bodenbelagsarbeiten im Neubau eines Pflegeheims für chronisch psychisch Kranke in … Die Schlussrechnung der Beklagten vom 05.05.2012 wies eine Gesamtwerklohnforderung in Höhe von 113.372,63 € aus. Hierauf sind Zahlungen in Höhe von 71.337,81 € erfolgt.

In einem vorangegangenen Verfahren vor dem Landgericht Hechingen (Az.: 1 O 156/15, OLG Stuttgart 10 U 45/17) hatte die Beklagte ihren Restwerklohnanspruch in Höhe von 42.034,82 € eingeklagt. Die jetzige Klägerin und damalige Beklagte hatte die Werklohnforderung nach Grund und Höhe bestritten und außerdem eine Forderung auf Kostenvorschuss für die Beseitigung von Mängeln am Fußboden zur Aufrechnung gestellt.

Das Landgericht hatte die Werklohnklage nach Beweisaufnahme über die behaupteten Mängel mit Urteil vom 17.2.2017 mit der Begründung abgewiesen, es bestehe zwar ein durch konkludente Abnahme fällig gewordener Werklohnanspruch der Klägerin, dessen Höhe könne jedoch offenbleiben, da die jetzige Klägerin wegen der vom Sachverständigen festgestellten zahlreichen Mängel des Fußbodenbelages wirksam mit einem Vorschussanspruch gegen den Restwerklohnanspruch aufgerechnet habe, so dass der Werklohnanspruch erloschen sei. Dieses Urteil ist nunmehr rechtskräftig, nachdem die damalige Klägerin und jetzige Beklagte ihre Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 8.8.2017 zurückgenommen hatte (OLG Stuttgart, 10 U 45/17).

Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin erstinstanzlich, ausgehend von der Bezifferung des Sachverständigen im vorangegangenen Verfahren, zunächst Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 39.900,00 € netto als Vorschuss eingeklagt. Sie erweitert diesen Anspruch nach zwischenzeitlich abgeschlossener Mangelbeseitigungsarbeiten betragsmäßig in der Berufungsinstanz auf 122.275,81 €, wobei diese Summe nunmehr als Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten begehrt wird. Zusätzlich wird die Feststellung begehrt, dass die Beklagte über den eingeklagten Betrag hinaus zum Ersatz aller weiteren Schäden verpflichtet ist, die sich aus den vom Sachverständigen im vorangegangenen Verfahren festgestellten Mängeln des Fußbodens noch ergeben werden.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Antragstellung 1. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung eines Kostenvorschusses i.H. von 39.00,00 € als unzulässig abgewiesen.

Dem Verlangen auf Zahlung eines Mangelbeseitigungskostenvorschusses stehe gemäß § 322 Abs. 2 ZPO die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017 in dem vorausgegangenen Verfahren mit dem Az.: 1 O 156/15 entgegen. Die Entscheidung, dass eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht mehr bestehe, erwachse bis zur Höhe des Betrages, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden sei, in Rechtskraft. Das Landgericht Hechingen habe in dem genannten Urteil vom 17.02.2017 rechtskräftig entschieden, dass sowohl die Klageforderung auf Restwerklohn als auch die Gegenforderung, die im jetzigen Rechtsstreit erneut eingeklagt werde, im Zeitpunkt der damaligen Aufrechnungserklärung bestanden hätten und nach § 389 BGB erloschen seien. Bei der in dem vorangegangenen Rechtsstreit vor dem Landgericht Hechingen, Az.: 1 O 156/15, von der dortigen Beklagten erklärten Aufrechnung habe es sich um eine sog. Hauptaufrechnung gehandelt. Dies sei im Tatbestand des genannten Urteils so festgestellt, weshalb auch das erkennende Gericht gemäß § 314 Satz 1 ZPO hieran gebunden sei. Wenn sich ein Beklagter mit einer Hauptaufrechnung gegen die Klageforderung verteidige, so bestreite er das Bestehen der eingeklagten Hauptforderung nicht. Da diese dann nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte, habe das Landgericht Hechingen in dem vorangegangenen Verfahren richtigerweise über die Hauptforderung keine Beweisaufnahme mehr durchführen müssen. Die dortige Beklagte habe durch ihr Nichtbestreiten des Werklohnanspruchs diesen anerkannt. Im Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.02.2017 sei damit sowohl eine Entscheidung über die eingeklagte Restwerklohnforderung ergangen und gleichzeitig sei rechtskräftig festgestellt, dass dieser Anspruch durch Aufrechnung mit dem Anspruch der jetzigen Klägerin auf Zahlung von Kostenvorschuss zur Mangelbeseitigung in Höhe von 39.900,00 € erfüllt sei, was auch die Gegenforderung zum Erlöschen gebracht habe. Damit sei die erneute Klage auf Bezahlung des genannten Kostenvorschusses wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig.

Wegen der Einzelheiten der Begründung des Landgerichts Hechingen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Abweisung der Klage als unzulässig. Außerdem begehrt sie nunmehr, nach zwischenzeitlichem Abschluss der Mangelbeseitigungsarbeiten, eine Verurteilung der Beklagten in Höhe der hierbei entstandenen Kosten, welche über den ursprünglich als Vorschuss eingeforderten Geldbetrag hinaus mit 122.275,81 € beziffert werden, und begehrt die Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller weiteren mangelbedingten Schäden, die der Klägerin in Zukunft noch entstehen werden.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei nicht infolge entgegenstehender Rechtskraft gemäß § 322 Abs. 2 ZPO unzulässig. Das damalige Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.02.2017 sei fehlerhaft. Rechtlich unzutreffend habe das Landgericht nicht nur eine konkludente Abnahme der Werkleistung und damit deren Fälligkeit angenommen, sondern das Urteil sei bezogen auf die ausgeurteilte Primäraufrechnung unrichtig. Die jetzige Klägerin habe im dortigen Verfahren seit der Klageerwiderung und im weiteren Verfahrensablauf mehrfach Einwendungen gegen die eingeklagte Werklohnforderung nach Grund und Höhe erhoben, insbesondere Aufmaß und Erforderlichkeit der Kosten sowie sämtliche Nachtragspositionen im Einzelnen bestritten. Auch wenn bei der schließlich im damaligen Prozess abgegebenen Aufrechnungserklärung die Vorsilbe „Hilfs-“ vor dem Wort „Aufrechnung“ fehle, so ergebe sich aus systematischen Erwägungen zweifelsfrei, dass eine hilfsweise Aufrechnung erklärt worden sei, die erst nach den primär vorgetragenen Angriffen gegen die Höhe der Werklohnforderung zu berücksichtigen gewesen sei. Das Landgericht habe im vorangegangenen Verfahren diese Einwendungen übergangen. Das im Ergebnis und in seiner Begründung falsche Urteil des Landgerichts Hechingen, Az.: 1 O 156/16, könne nicht in Rechtskraft erwachsen. In materieller Rechtskraft erwachsen könne von vornherein gemäß § 322 Abs. 1 ZPO lediglich die im Tenor ausgesprochene Rechtsfolge, nicht hingegen die Urteilsgründe oder die tatsächlichen Feststellungen im Urteil. Daher habe das erstinstanzliche Gericht bereits fehlerhaft angenommen, es stehe rechtskräftig fest, dass die Werklohnforderung der jetzigen Beklagten durch konkludente Abnahme fällig geworden sei. Ebenfalls nicht in Rechtskraft erwachsen sei, dass das Landgericht Hechingen im Urteil vom 17.02.2017 festgestellt habe, dass die Aufrechnung mit dem Kostenvorschussanspruch unbedingt erklärt worden sei. Ein in dieser Weise mehrfach fehlerhaftes Urteil sei einer umfassenden Rechtskraft nicht fähig. Es gebe Ausnahmefälle, in welchen der Grundsatz, dass auch materiell bzw. prozessual unrichtige Urteile in Rechtskraft erwüchsen, durchbrochen werden müsse. Dies gelte insbesondere für solche Fälle, in welchen ein Gericht in seinem Urteil einzelne Streitpunkte bewusst – unrichtigerweise – offenlasse und daher ein etwaiger Umfang der Rechtskraft schon nicht bestimmt werden könne. Deshalb seien im vorliegenden Fall die der Aufrechnung zugrundeliegenden Mängelansprüche der Klägerin nicht durch Erfüllung im vorangegangenen Verfahren erloschen.

Dies ergebe sich auch aus einer rechtsfolgeorientierten Überlegung. Wenn nämlich die jetzige Klägerin durch die Annahme einer Primäraufrechnung durch das Vorgericht ihren Anspruch auf Mangelbeseitigungskostenvorschuss wegen der Erfüllungswirkung der Aufrechnung verliere, seien die übrigen Einwendungen gegen die Restwerklohnforderung nichts mehr wert. Damit sei die jetzige Klägerin durch die angebliche Rechtskraftwirkung ungerechtfertigt doppelt benachteiligt und umgekehrt die jetzige Beklagte um den entsprechenden Betrag ungerechtfertigt bereichert. Sie habe im Ergebnis sowohl ihren, ihr wegen der Einwendungen tatsächlich nicht zustehenden Werklohnanspruch ohne Prüfung durchgesetzt als auch den Kostenvorschussanspruch der jetzigen Klägerin in entsprechender Höhe rechtskräftig abgewendet. Die jetzt geltend gemachte Kostenvorschussforderung müsse damit in jedem Fall begründet sein, wenn nicht nach § 637 BGB, dann nach § 812 BGB. Durch die vorliegende Abweisung der Klage als unzulässig durch das erstinstanzliche Gericht verliere die Klägerin ein zweites Mal ihre schlussrechnungsbezogenen Einwendungen. Die unzutreffende Annahme entgegenstehender Rechtskraft führe damit praktisch zu einem doppelten Einwendungsverzicht der Klägerin, den diese tatsächlich nie erklärt habe. Der Klägerin könne auch nicht vorgehalten werden, sie müsse sich an der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Hechingen vom 17.02.2017 bereits deshalb festhalten lassen, weil sie eine ihr mögliche eigene Berufung bzw. Anschlussberufung hiergegen damals nicht eingelegt habe. Dieser Hinweis gehe fehl, da eine derartige Berufung erneut hätte auf Klageabweisung gerichtet sein müssen, so dass es bereits schwerfalle, einen dementsprechenden Berufungsantrag zu formulieren, ganz abgesehen davon, dass allgemein eine Rechtsmitteleinlegung mit dem Ziel, die gleiche Art der Abweisung nur mit anderer Begründung zu erreichen, nicht zulässig sei.

Durch die Klageerweiterung gehe die Klägerin nunmehr vom Kostenvorschuss- auf einen Abrechnungsanspruch über. Den Feststellungen des im Vorprozess vom Landgericht Hechingen unter dem Az.: 1 O 156/16 eingeholten Sachverständigengutachten sei zu entnehmen, dass die Beklagte für alle festgestellten Mängel des Bodens umfassend hafte. Dass daneben insbesondere hinsichtlich der Durchfeuchtung des Estrichs unter dem Belag in den Küchen ein massives Baukoordinations- und Bauleitungsverschulden der von der Klägerin beauftragten Architektin bestehe, ändere an der Haftung der Beklagten nichts. Die Beklagte hafte gesamtschuldnerisch neben der Architektin.

Insgesamt habe die Vielzahl der vom gerichtlichen Sachverständigen im vorangegangenen Verfahren bestätigten Verlegemängel auf der gesamten Fläche und in allen Bereichen des Gebäudes den Totalaustausch des Bodens notwendig gemacht. Für die hierfür erforderlichen Nachbesserungskosten hafte die Beklagte vollumfänglich gesamtschuldnerisch neben der Bauleitung. Für die Gesamtsanierung der Bodenbeläge seien ortsübliche und angemessene Kosten in Höhe von 125.934,31 € entstanden. Hierbei seien Sowieso-Kosten i.H. von 3.658,50 € in Abzug gebracht worden, da diese Positionen Arbeiten betroffen hätten, die zwar nicht nötig, aber als weiterführende Schutzmaßnahmen sinnvoll gewesen seien. Nach Abzug der Sowieso-Kosten verbleibe ein Mangelbeseitigungsaufwand in Höhe von 122.275,81 €, der nunmehr klageerweiternd mit der Berufung geltend gemacht werde. Der Feststellungsantrag sei geboten, weil in den bisherigen Positionen etwaige Planungs- und Bauleitungskosten für die Durchführung der Nachbesserungsarbeiten noch nicht berücksichtigt werden konnten, weil diese noch nicht von der Architektin beziffert und geltend gemacht worden, solche Forderungen jedoch wegen der Notwendigkeit, die Mangelbeseitigungsarbeiten planerisch vorzubereiten und baubegleitend zu koordinieren, zu befürchten seien.

Die Klägerin beantragt:

1. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts Hechingen, Az.: 1 O 53/18 vom 16.11.2018, zugestellt am 18.12.2018, wird aufgehoben und die Beklagte nunmehr verurteilt, an die Klägerin 122.275,81 € zzgl. 5% Zinsen aus 39.900,00 € seit dem 24.06.2017 sowie 5% Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung aus weiteren 82.375,81 € zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte alle etwaigen übrigen Schäden über den Antrag Ziff. 1 hinausgehend zu zahlen hat, die sich aus den Gutachten I … vom Landgericht Hechingen 1 O 156/15 vom 25.04.2016 (hier G1) sowie 26.10.2016 (hier G2) ergeben und insbesondere folgende Mängelsymptome des Bodenbelages des …, …, …, … in allen Stockwerken beinhalten:

a) Blasenbildung in den PVC-Belägen des … in allen Wohn- und Essbereichen (G 1 S. 29 ff.; G 2 S. 18);

b) Durchfeuchtung des Estrichs in allen Küchenbereichen der jeweiligen Stockwerke (G 1 S. 29 ff.; G 2 S. 18);

c) Belagsablösungen an allen Stationstüren und Bewohnertüren (G 1 S 33; G 2 S. 18);

d) Belagsablösungen an der Bauwerksfugenschiene (GA 1 S. 33; G 2, S. 18);

e) Belagsablösungen an allen Fensterfronten (G 1 S. 27 ff., S. 34; G 2 S. 18);

g) Blasenbildung in den Flächen der sonstigen PVC-Beläge auch außerhalb der Wohn- und Essbereiche (G 1 S. 35; G 2 S. 18);

h) Fehlerhafte Kaltverschweißung der PVC-Bahnen in der gesamten Bodenbelagsfläche … (G 1, S. 31 ff und 36, G 2 S. 18).

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen sowie die Klageerweiterung abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie hält die Ausführungen des Landgerichts zur entgegenstehenden Rechtskraft für zutreffend. § 322 Abs. 2 ZPO stelle eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass Entscheidungsgründe nicht in Rechtskraft erwüchsen. Bei dem Untergang einer Forderung durch Aufrechnung und einer hierauf beruhenden Klageabweisung erwachse zum einen die Feststellung über den Bestand der Klageforderung in Rechtskraft, zum anderen erwachse in Rechtskraft, dass der aufgerechnete Gegenanspruch untergegangen sei. Aufgrund der Urteilsbegründung des Landgerichts im Vorverfahren unter dem Az.: 1 O 156/15 stehe außerdem rechtskräftig fest, dass die Werklohnforderung der Beklagten fällig sei, weil eine Abnahme stattgefunden habe. Ansonsten hätte das Landgericht die Klage bereits wegen fehlender Fälligkeit abweisen müssen, was jedoch nicht erfolgt sei. Damit sei auch die vom Landgericht seinerzeit festgestellte Abnahme in Rechtskraft erwachsen, was auch materiell-rechtlich zutreffend sei. Die Abnahme sei stillschweigend durch schlüssige Verhaltensweisen vorgenommen worden. Was die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung angehe, so komme es nicht darauf an, ob die Annahme des damaligen erstinstanzlichen Gerichts, wonach die Auftraggeberin eine Primäraufrechnung erklärt habe, richtig oder falsch sei. Auch insoweit sei die Urteilsbegründung in Rechtskraft erwachsen. Da die Klägerin durch die damalige Annahme einer Primäraufrechnung durch das Landgericht beschwert gewesen sei, hätte sie die Möglichkeit gehabt, ihrerseits Berufung einzulegen. Dies sei nicht erfolgt. Dann aber könne sie sich jetzt nicht darauf berufen, das Urteil des Vorprozesses sei fehlerhaft und der Rechtsstreit sei im Ergebnis falsch entschieden. Auch die Hinweise auf eine angebliche „Doppelbelastung“ der Klägerin gingen fehl. Sie habe ihre Forderung durch Aufrechnung verloren und sei dadurch einfach beschwert. Dies hätte mit der Berufung angegriffen werden können. Nicht relevant sei hierbei, ob der (damalige) Gegenanspruch der Auftraggeberin aus § 637 BGB oder aus § 812 BGB folge. Jedenfalls sei rechtskräftig festgestellt, dass die bestehende und fällige Werklohnforderung der Werkunternehmerin durch Aufrechnung mit einer bestehenden Gegenforderung und damit zusammen mit dieser erloschen sei. Dass die Klägerin damals eine eigene Rechtsmitteleinlegung versäumt habe, könne jetzt nicht durch Einlegung einer erneuten Klage auf Erfüllung der bereits aberkannten Aufrechnungsforderung umgangen werden.

Der nunmehr mit dem Berufungsantrag vorgenommenen Klageerweiterung werde nicht zugestimmt. Hier werde ein neuer Anspruch in den Rechtsstreit eingeführt, den die Klägerin bereits erstinstanzlich hätte einführen können und müssen, immerhin sei eine gleichlautende Klage gegen die bauleitende Architektin auch schon zuvor beziffert worden, so dass die Bezifferung erst in zweiter Instanz verspätet sei. Falsch sei, wenn die Klägerin behaupte, alle der im Vorverfahren vom beauftragten Sachverständigen festgestellten Mängel seien der jetzigen Beklagten zuzuordnen. Gegenteiliges habe der Sachverständige jedenfalls für die Küchenböden ausgesprochen. Auch gegen diese Feststellungen habe sich die Klägerin im Vorprozess nicht verteidigt. Bestritten werde, dass ein Gesamtaustausch des Bodenbelags erforderlich gewesen sei. Schließlich werden die angeblichen Sanierungskosten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Einzelnen bestritten. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Die Forderung sei im Übrigen nicht schlüssig vorgetragen. Der pauschale Verweis auf ein Rechnungskonvolut sei nicht ausreichend. Eine Aufforderung zur Nacherfüllung habe es ebenso wenig gegeben wie eine anschließende Kündigung wegen der behaupteten Mängel. Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt ihre Nachbesserungsbereitschaft grundsätzlich und endgültig abgelehnt. Bestritten wird schließlich, dass die Klägerin die vorlegten Rechnungen bezahlt habe. Nachdem von der Klägerin bereits sämtliche Arbeiten ausgeführt worden seien, komme ein Feststellungsantrag nicht mehr in Betracht, die Klägerin könne und müsse den gesamten Anspruch konkret beziffern und abschließend abrechnen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist gem. § 511 Abs. 1 ZPO statthaft, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Die in der Berufungsinstanz neu erhobenen Klageanträge sind überwiegend zulässig.

a) Die Berufung ist hinsichtlich des neuen Zahlungsantrages zulässig.

In der in der Berufungsinstanz unter gleichzeitiger betragsmäßiger Erweiterung vorgenommenen Antragsumstellung vom Kostenvorschuss auf Kostenerstattung der Mangelbeseitigung sowie Feststellung liegt eine nach § 264 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO zulässige Klageänderung, die die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht erfüllen muss (st. Rspr.: vgl. BGH, Urteile vom 01.02.1990 – VII ZR 150/89 und vom 20.05.1985 – VII ZR 266/84). Der Vorschuss ist nichts anderes als der vorweggenommene Ersatz der vom Unternehmer letztlich geschuldeten Selbstvornahmekosten (Palandt/Sprau, BGB, 78. Auflage 2018, § 637 Rn. 9). Die Klägerin hat mit dem Übergang von einem Vorschussanspruch auf einen Kostenerstattungsanspruch aufgrund einer nachträglichen Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse unter Aufrechterhaltung des Klagegrundes gemäß § 264 Nr. 3 ZPO anstelle des ursprünglichen Gegenstands lediglich einen anderen Gegenstand gefordert. Der Bundesgerichtshof wendet deshalb in den Fällen des § 264 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO § 533 ZPO nicht an (BGH NJW 2004, 2152; Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 533 Rn. 3; BGH, Beschluss vom 26.11.2009 – VII ZR 133/08 Rn. 10 juris; BGH, Urteil vom 12.01.2006 – VII ZR 73/04, Rn. 11 juris; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. 2004, 17. Teil Rn. 17).

b) Der Feststellungsantrag ist teilweise unzulässig.

Die weite Fassung des Antrags lässt von der Formulierung her offen, ob unter die weiteren Schäden nur bislang noch nicht bezifferbare Mangelbeseitigungskosten oder auch bislang unbekannte, weitere Mangelfolgeschäden fallen sollen.

Dass Architektenhonorarforderungen wegen Planung und Bauleitung der Mangelbeseitigungsarbeiten auf die Klägerin zukommen können, die die beauftragte Architektin bislang lediglich noch nicht verlangt hat, wurde vorgetragen. Nur insoweit ist ein Feststellungsinteresse gegeben. Dass darüber hinaus für die mittlerweile abgeschlossene Mangelbeseitigung noch weitere Schäden oder Kosten drohen könnten, ist nicht dargelegt. Hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich. Insoweit fehlt dem Feststellungsbegehren das Feststellungsinteresse.

c) Die Klage ist nicht wegen entgegenstehender Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017 (1 O 156/15) unzulässig.

aa)

Mit Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017 (Aktenzeichen 1 O 156/15) war die Werklohnklage der jetzigen Beklagten gegen die jetzige Klägerin mit der Begründung abgewiesen worden, dass mit dem Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses auf die Mangelbeseitigung wirksam aufgerechnet worden sei und dadurch der Werklohnanspruch erloschen sei. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgenommen. Grundsätzlich wird ein erstinstanzliches Urteil damit materiell rechtskräftig gem. § 322 Abs. 1 ZPO.

aaa)

Die materielle Rechtskraft gem. § 322 Abs. 1 ZPO hindert abweichende Entscheidungen desselben oder eines anderen Gerichts innerhalb bestimmter objektiver, subjektiver und zeitlicher Grenzen und stellt damit die verbindliche Festlegung einer bestimmten inhaltlichen Rechtsfolge dar (Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 322 Rn. 3 und 14 ff.). Eine Auswirkung der materiellen Rechtskraft stellt das sog. Wiederholungsverbot dar, welches verbietet, über einen identischen Streitgegenstand in einem nachfolgenden Verfahren eine weitere Sachentscheidung zu treffen (h.M., „ne bis in idem-Lehre“, Zöller/Vollkommer, a.a.O., vor § 322 Rn. 17 m.w.N.). Die entgegenstehende materielle Rechtskraft ist eine negative Prozessvoraussetzung und führt zur Abweisung einer wiederholten Klage mit identischem Streitgegenstand als unzulässig. Später entscheidende Gerichte sind damit an eine rechtskräftige Vorentscheidung nicht nur inhaltlich gebunden, wenn die bereits rechtskräftig entschiedene Rechtsfolge als Vorfrage für den jetzt zu entscheidenden Rechtsstreit relevant wird, vielmehr ist bei Identität des Streitgegenstandes eine wiederholte inhaltliche Entscheidung schlechthin unzulässig.

bbb)

In objektiv-inhaltlicher Hinsicht ist die Rechtskraft auf den Entscheidungssatz beschränkt und umfasst grundsätzlich weder rechtliche Zwischenergebnisse noch sonstige Urteilselemente oder Vorfragen, aus denen die ausgeurteilte Rechtsfolge abgeleitet wird. Allerdings müssen insoweit zur Bemessung der objektiven Grenzen der Rechtskraft auch Tatbestand und Entscheidungsgründe zur Auslegung mit herangezogen werden, insbesondere bei klageabweisenden Urteilen (Zöller/Vollkommer, a.a.O., vor § 322 Rn. 31). Aus einer Zusammenschau von Tenor und Entscheidungsgründen ist der rechtskräftig entschiedene Streitgegenstand zu entnehmen. Durch den Streitgegenstand sind Inhalt und Grenzen der materiellen Rechtskraft vorgegeben.

ccc)

Grundsätzlich sind auch Urteile, die auf Verstößen gegen materielles oder prozessuales Recht beruhen, rechtskraftfähig. Sinn und Zweck der materiellen Rechtskraft ist es gerade zu unterbinden, dass die Frage der Richtigkeit oder Unrichtigkeit eines Urteils nochmals aufgeworfen wird. Aus den gesetzlich geregelten Fällen der Rechtskraftdurchbrechung (§§ 233 ff., 321a, 323, 324 und 578 ff. ZPO) ergibt sich im Umkehrschluss vielmehr, dass in anderen als den dort geregelten Fällen die Rechtskraft auch rechtsfehlerhaft ergangener Urteile grundsätzlich nicht beseitigt oder umgangen werden darf, da die Rechtsbeständigkeit abgeschlossener Rechtsstreitigkeiten eine wesentliche Voraussetzung für die Wahrung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit darstellt (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 322 Rn. 71 und § 322 Rn. 14).

bb)

Zwar wurde im vorangegangenen Verfahren die Werklohnklage wegen der für zulässig und begründet erachteten Aufrechnung mit dem Kostenvorschussanspruch abgewiesen, das Urteil ist allerdings hinsichtlich des darin enthaltenen Ausspruchs, dass die Gegenforderung nicht mehr bestehe, ausnahmsweise nicht gem. § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen.

aaa)

Von der Regel des § 322 Abs. 1 ZPO, wonach sich die Rechtskraft auf den Entscheidungssatz hinsichtlich des jeweiligen Streitgegenstandes beschränkt, enthält § 322 Abs. 2 ZPO zugunsten der zur Aufrechnung gebrachten Gegenforderung eine Ausnahme. Obgleich sonst Vorfragen und insbesondere Einwendungen oder Einreden des Beklagten gerade nicht in Rechtskraft erwachsen (Stein/Jonas-Althammer, Kommentar zur ZPO, 23. Aufl. 2018, § 322 Rn. 154; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 322 Rn. 15), erwächst hiernach die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht bestehe, ebenfalls in Rechtskraft. Durch § 322 Abs. 2 ZPO wird die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung hinsichtlich der Rechtskraftwirkung der Klageforderung gleichgestellt.

Würde das Urteil nicht rechtskräftig über die Aufrechnungsforderung entscheiden, könnte sie ein Beklagter in einem zweiten Prozess erneut frei einklagen. Wurde der Beklagte im Vorprozess trotz Aufrechnung verurteilt, könnte er in einem Nachfolgeprozess erneut behaupten, seine damals zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung bestehe noch, bzw. könnte er in dem Fall, in welchem eine vorangegangene Klage wegen erfolgreicher Aufrechnung abgewiesen wurde, später erneut behaupten, die Klageforderung habe nicht bestanden und seine eigene zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung sei daher nicht erloschen. Diese Wirkungen will § 322 Abs. 2 ZPO vermeiden, um so eine gleichmäßige Verteilung des Prozessrisikos zu gewährleisten (MüKo ZPO/Gottwald, 5. Aufl. 2016, ZPO § 322 Rn. 192).

bbb)

§ 322 Abs. 2 ZPO ist als Ausnahmetatbestand grundsätzlich eng auszulegen und nicht erweiterbar. Er gilt nur für die Aufrechnung, nicht hingegen für bloße Abrechnungsposten im Rahmen eines Abrechnungsverhältnisses.

Die Geltendmachung von auf Zahlung gerichteter Gewährleistungsansprüche gegenüber einem Werklohnanspruch stellt nach herrschender Meinung hingegen keine Verrechnung dar, vielmehr sind dem Werklohn entgegengehaltene Mängelgewährleistungsansprüche gegen den Werklohnanspruch aufzurechnen (BGH, Urteil vom 23.06.2005 – VII ZR 197/03; Kniffka/Koeble, a.a.O., 5. Teil Rn. 264; Stein/Jonas-Althammer, a.a.O., § 322 Rn. 154), so dass § 322 Abs. 2 ZPO dem Grunde nach eingreift.

ccc)

Ein Gericht darf allerdings inhaltlich über die Begründetheit der Aufrechnungsforderung nur dann entscheiden, wenn die Klage nicht aus anderen Gründen abgewiesen wird, zum Beispiel, weil die Klageforderung als solche bereits nicht besteht, oder die Zulässigkeit der Aufrechnung verneint wird. Es gilt insoweit die Beweiserhebungstheorie (h.M.: Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Auflage 2018, § 322 Rn. 20; MüKo ZPO/Gottwald, a.a.O., § 322 Rn. 197; Musielak/Voit/Musielak, 16. Aufl. 2019, ZPO, § 322 Rn. 84; Stein/Jonas-Althammer, a.a.O., § 322 Rn. 156; BGH, Urteil vom 23.02.1981 – II ZR 57/80; Köln NJW-RR 1992, 260). Daraus folgt, dass ein Gericht nicht offenlassen darf, ob und in welcher Höhe die Klageforderung besteht, um die Klage sodann jedenfalls im Hinblick auf eine berechtigte Aufrechnung mit einer bestehenden Gegenforderung abzuweisen.

ddd)

Das Landgericht Hechingen hat im Urteil des Vorprozesses gegen die Beweiserhebungstheorie verstoßen. In den dortigen Urteilsgründen ist ausgeführt, dass zwar die Werklohnforderung der jetzigen Beklagten fällig sei, ihre Höhe jedoch offenbleiben könne, da jedenfalls der dortigen Beklagten und jetzigen Klägerin ein aufrechenbarer Gegenanspruch auf Zahlung von Kostenvorschuss für die Beseitigung mehrerer Mängel des Fußbodenbelags in Höhe von insgesamt 41.895,00 € netto sowie ein weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 879,81 € für eine wegen der Mängel erforderlich gewordene Notreparatur zustehe, welche die damalige Beklagte wirksam gegen die Werklohnforderung aufgerechnet habe. Über die Begründetheit der Klageforderung erfolgte weder eine Entscheidung noch wurde jene geprüft, eine Beweiserhebung hierzu fand nicht statt. Hierzu führte das landgerichtliche Urteil aus: „Nachdem die Beklagte beide Aufrechnungen unbedingt erklärt hatte, brachten diese die Klageforderung zum Erliegen, ohne dass die von der Beklagten erhobenen Einwendungen unmittelbar gegen den Werklohnanspruch noch zu prüfen waren“ (Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017, Az.: 1 O 156717, dort S.11 unten). Damit blieb offen, in welcher Höhe überhaupt eine Aufrechnungslage bestand und in welcher Höhe durch die Aufrechnung die Gegenforderung auf Kostenvorschuss erloschen ist.

Der Hinweis des erstinstanzlichen Gerichts, wonach das Landgericht Hechingen im Vorprozess nicht über Grund und Höhe der Werklohnforderung habe entscheiden müssen, da diese unstreitig und damit zugestanden gewesen sei, weil die damalige Beklagte ihre Gewährleistungsrechte nicht im Wege einer Hilfs-, sondern einer Hauptaufrechnung der Klageforderung entgegengehalten habe, ist unzutreffend. Sowohl aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils als auch aus dem oben zitierten Satz des Urteils des Vorprozesses ergibt sich, dass Einwendungen gegen den Werklohnanspruch selbst erhoben worden waren. Die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, es gebe eine Bindungswirkung des § 314 ZPO, ist unzutreffend. Die Bindungswirkung des Tatbestands nach § 314 ZPO gilt nur innerhalb des Verfahrens. Eine Bindung über das Verfahren hinaus für andere Gerichte wird hierdurch nicht begründet (Zöller/Veskorn, a.a.O., § 314 Rn. 1). Darüber hinaus betrifft die Feststellung, es liege eine unbedingt erklärte Hauptaufrechnung vor, keine Tatsachenfeststellung, sondern eine hier unzutreffende rechtliche Bewertung. Außerdem gilt die Bindungswirkung bei Widersprüchlichkeit des Tatbestands nicht. Laut dem streitigen Tatbestand des Urteils des Vorprozesses machte die damalige Beklagte die Unrichtigkeit der abgerechneten Massen, die Höhe der Preise und die Abrechnung von nicht gesondert abzurechnenden Nebenleistungen sowie die fehlende Fälligkeit der Vergütung geltend. Damit lagen ausweislich des streitigen Tatbestands Einwendungen der damaligen Beklagten gegen die Klageforderung der damaligen Klägerin vor, die vor einer Aufrechnung zu prüfen waren.

eee)

 

Welche Folge ein Verstoß gegen den Beweiserhebungsgrundsatz hat, wird nicht einheitlich beantwortet.

Zum Teil wird vertreten, dass ein derartiges Urteil in umfassender Hinsicht der materiellen Rechtskraft nicht fähig sei, mithin weder über den Bestand der Klageforderung bis zur Höhe der zur Aufrechnung gestellten Forderung rechtskräftig entschieden sei noch die Gegenforderung rechtskräftig aberkannt sei (so Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 322 Rn. 21). Eine andere Ansicht besagt, dass durch ein derartiges Urteil zwar die eingeklagte Hauptforderung rechtskräftig aberkannt sei, eine rechtskräftige Aberkennung der Gegenforderung bzw. Entscheidung über deren Erlöschen durch Erfüllung hingegen nicht getroffen sei (so Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 322 Rn. 197 und Musielak in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 322 Rn. 84 und Althammer in: Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 23. Aufl. 2018, § 322 Rn. 156).

Nach beiden Auffassungen kommt man im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Gegenforderung, die nun erneut eingeklagt ist, durch den Vorprozess nicht rechtskräftig abgewiesen wurde. Auf die Frage, ob das Urteil hinsichtlich der Werklohnklage in Rechtskraft erwachsen ist, und also die Hauptforderung rechtskräftig aberkannt wurde, kommt es hier nicht streitentscheidend an, weshalb offenbleiben kann, welcher der genannten Ansichten insoweit der Vorzug zu geben wäre.

In Fällen wie dem vorliegenden, in denen über die Hauptforderung der Höhe nach gar nicht entschieden und hierzu nichts geprüft wurde, ist die Durchbrechung der Regelung des § 322 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise gerechtfertigt. Es lässt sich einem derartigen Urteil schon nicht entnehmen, in welchem etwaigen Umfang bzw. bis zu welcher Forderungshöhe die Aberkennung der aufgerechneten Gegenforderung durch § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft erwachsen sein könnte. Durch den Rechtsfehler, unter welchem das vorangegangene Urteil leidet, wird es damit automatisch unmöglich, Umfang und Grenzen einer etwaigen Rechtskraftwirkung überhaupt zu bestimmen. Der Rechtsfehler bezieht sich unmittelbar auf die Rechtskraftwirkung als solche und bewirkt, dass eine Festlegung des gegenständlichen Inhalts der von der Rechtskraft ausgehenden Bindungswirkung nicht mehr möglich ist.

Die Wirkungen der Rechtskraft sollen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gewährleisten, was durch ein unter Verstoß gegen die Beweiserhebungstheorie zustande gekommenes Urteil aus den dargelegten Gründen gerade nicht erreicht werden kann, weshalb eine Durchbrechung der Regel des § 322 Abs. 2 ZPO für solche Fälle auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes, wonach auch sachlich unrichtige Urteile grundsätzlich in Rechtskraft erwachsen, geboten ist.

Die Frage, welche Auswirkungen auf die Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO es hat, wenn eine Entscheidung die Höhe der Hauptforderung offenlässt, ist höchstrichterlich – soweit erkennbar – noch nicht entscheiden. In einem Fall allerdings, in dem offengelassen wurde, ob ein Aufrechnungsverbot bestanden hat, weil die zur Aufrechnung gestellten Forderungen unbegründet seien, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass über die Gegenforderung nicht rechtskräftig entschieden sei, wenn die Zulässigkeit der Aufrechnung offengeblieben ist (BGH Beschluss vom 25.5.1988 – VIII ZR 18/88, Rn. 2 juris; BGH, Urteil vom 12.12.1990 – VIII ZR 355/89 Rn. 8 juris). Hiermit ist die Konstellation des vorliegenden Falles vergleichbar. Im Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017 ist ebenfalls die Zulässigkeit der Aufrechnung offengeblieben, allerdings nicht wegen der Frage eines Aufrechnungsverbots, sondern weil Bestand und Umfang einer Aufrechnungslage, welche durch die Höhe der Hauptforderung vorgegeben wird und die ebenfalls Voraussetzung für das durch die Aufrechnung bewirkte Erlöschen der einander gegenüberstehenden Forderungen ist (§ 389 BGB), offengelassen wurde.

Danach ist die Entscheidung des Landgerichts Hechingen über die Aufrechnungsforderung im Vorprozess nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs im vorliegenden Verfahren ist damit zulässig.

fff)

Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass die jetzige Klägerin gegen das Urteil des Vorprozesses hätte Berufung einlegen können. Die mit der Aufrechnung verbundene Aberkennung der Gegenforderung stellt eine Beschwer der Beklagten dar (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 322 Rn. 21; BGH, Urteil vom 26.10.1994 – VIII ZR 150/93, Rn. 23 juris; BGH, Urteil vom 03.11.1989 – V ZR 143/87; BGH MDR 2001, 1184). Das Rechtsschutzziel der damaligen Beklagten hätte sich dabei nicht aus dem Berufungsantrag, sondern aus der Berufungsbegründung ergeben, so dass ihr Hinweis, im vorliegenden Fall sei ihr bereits die Formulierung eines Berufungsantrages nicht möglich gewesen, fehlgeht. Ihre Berufung wäre daher zulässig und begründet gewesen (vergleiche auch Zöller vor § 511 Rn. 26 und 26a). Die Frage der Rechtskraft ist jedoch nicht von der Ausschöpfung des Rechtswegs abhängig.

2.

Die Berufung der Klägerin hat, soweit sie zulässig ist, in der Sache keinen Erfolg, weil die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten (§§ 4 Abs. 7, Satz 3, 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B) hat.

a)

Dass das Landgericht Hechingen im Vorverfahren den Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses wegen Mangelhaftigkeit der Bodenverlegearbeiten der Beklagten inhaltlich für gegeben ansah, entfaltet keine Rechtskraftwirkung gemäß § 322 Abs. 2 ZPO.

Aus § 322 Abs. 2 ZPO ergibt sich bereits seinem bloßen Wortlaut nach, dass lediglich diejenige Entscheidung, die ausspricht, dass die Gegenforderung nicht besteht, in Rechtskraft erwächst, nicht hingegen eine Entscheidung darüber, dass die Forderung – positiv – besteht. In erweiternder Auslegung wird nach ganz herrschender Meinung die Vorschrift auch auf das Nichtmehrbestehen der Gegenforderung nach erfolgreicher Aufrechnung ausgedehnt (BeckOK ZPO/Gruber, 32. Edition, 01.03.2019, ZPO, § 322 Rn. 70; Stein/Jonas/Althammer, a.a.O., Rn. 159). Allerdings unzweifelhaft weder vom direkten Wortlaut noch von einer erweiternden Auslegung des § 322 Abs. 2 ZPO erfasst ist die Entscheidung über das Bestehen der Gegenforderung, die gerade nicht in Rechtskraft erwachsen soll (Eine rechtskräftige Feststellung des Bestehens der Gegenforderung enthielt noch § 293 Abs. 2 ZPO a.F. Dies ist im Rahmen der Novellierung der genannten Vorschrift im Jahr 1898 bewusst weggelassen worden. Seither besteht die Vorschrift unverändert und bezieht sich unzweifelhaft nicht auf eine Feststellung über den positiven Bestand der Forderung).

Ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der Mangelbeseitigungskosten hat, muss damit unabhängig zum Vorverfahren im vorliegenden Rechtsstreit neu und umfassend geprüft werden.

b)

Die Parteien haben einen Bauvertrag abgeschlossen, in den die VOB/B einbezogen war. Es findet die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahr 2011 gültige Fassung der VOB/B, Ausgabe 2009, Anwendung (künftig zitiert als: VOB/B).

c)

Eine Abnahme der Werkleistung der Beklagten liegt nicht vor.

aa)

Eine Abnahme wurde durch das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 17.2.2017 nicht rechtskräftig und damit für das vorliegende Verfahren nicht bindend festgestellt. Die Frage der Abnahme war lediglich eine Vorfrage und konnte deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen.

bb)

Im vorliegenden Fall haben die Parteien zwar eine förmliche Abnahme vereinbart. Diese wurde unstreitig nicht durchgeführt, auch wurde eine Abnahme von der Klägerin nie ausdrücklich erklärt.

Nachdem bereits Mängel gerügt waren und die Werklohnforderung der Beklagten wegen Mängel nicht vollständig bezahlt wurde, scheidet auch eine konkludente Abnahme durch Ingebrauchnahme des Werks aus.

Zwar kann auch bei Vereinbarung einer förmlichen Abnahme, auf die dann jedoch keine der Vertragsparteien mehr zurückkommt, grundsätzlich eine konkludente Abnahme in Betracht kommen (Werner/Pastor-Werner, a.a.O., Rn. 1820; Ingenstau/Korbion-Oppler, VOB-Kommentar, 20. Aufl. 2017, § 12 Abs. 4 VOB/B Rn. 5). Für die Annahme eines konkludenten Verzichts auf die förmliche Abnahme bzw. die Feststellung einer konkludenten Abnahme kommt es auf sämtliche Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, ob das Verhalten des Auftraggebers nach Treu und Glauben aus der Sicht eines objektiven Empfängers als billigende Entgegennahme der als abgeschlossen angesehenen Werkleistung verstanden werden darf. Eine Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten setzt voraus, dass der Erklärende Handlungen vornimmt, die unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts den Schluss auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen, nämlich denjenigen der Abnahme der Werkleistung, zulassen und dass der Erklärende zumindest bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass sein Verhalten vom Vertragspartner als Abnahmeerklärung verstanden werden wird. In jedem Fall sind unmissverständliche Verhaltensweisen erforderlich, aus denen für den Auftragnehmer die Anerkennung und Billigung der Bauleistung unzweifelhaft deutlich wird. Allein die Rüge von Mängeln schließt hierbei die Annahme einer konkludenten Abnahme zwar noch nicht grundsätzlich aus, allerdings muss dann aus den Umständen und den Verhaltensweisen des Auftraggebers unzweifelhaft festgestellt werden können, dass er trotz der Mängel die Werkleistung zumindest als im Wesentlichen mangelfrei fertiggestellt ansieht und der Auftragnehmer das Verhalten des Auftraggebers als Billigung entsprechend verstehen darf (BGH, Urteil vom 18.02.2003 – X ZR 245/00; BGH, Urteil vom 10.06.1999 – VII ZR 170/98; Ingenstau/Korbion-Oppler, a.a.O., § 12 Abs. 1 VOB/B Rn. 13; Werner/Pastor-Werner, a.a.O., Rn. 1823). Umgekehrt ist die bloße Ingebrauchnahme der Werkleistung, insbesondere, wenn sie unter dem Druck der Verhältnisse erfolgt, nicht ohne weitere Feststellungen als konkludente Abnahme anzusehen, insbesondere dann nicht, wenn sich aus dem übrigen Verhalten des Auftraggebers vor und während der Inbenutzungnahme eine Billigung der Leistung als im Wesentlichen vertragsgerecht nicht ablesen lässt (Ingenstau/Korbion-Oppler, a.a.O., § 12 Abs. 1 VOB/B Rn. 13). Insbesondere scheidet die Annahme einer stillschweigenden Billigung durch Benutzung dann aus, wenn die Leistung grobe Mängel aufweist und dies vom Auftraggeber gerügt wird (Ingenstau/Korbion-Oppler, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.). So liegt der Fall hier.

Die Klägerin hat entgegen der Behauptung der Beklagten nicht erst im Oktober 2012 erstmalig unwesentliche Mängel an den Dehnfugen gerügt (Berufungserwiderung der Beklagten vom 19.3.2019, dort Bl. 4; Bl. 324 d.A.). Vielmehr ergibt sich bereits aus dem vom Beklagten selbst zitierten und im Vorprozess als Anlagenkonvolut B4 vorgelegten Schriftverkehr zwischen den Parteien, dass die Klägerin bereits ab Mai 2012 mehrfach eine Vielzahl nicht unerheblicher Mängel und Unfertigkeiten des Werkes der Beklagten gerügt hat.

Schon in einer E-Mail vom 03.05.2012 (Anlagenkonvolut B 4 im Verfahren des Landgerichts Hechingen 1 O 156/15) wurden zunächst kleinere Mängel (fehlende und lose hängende Sockel) unter Zurückhaltung der Abschlagszahlung Nr. 4 gerügt. Eine weitere Mängelrüge erfolgte mit E-Mail vom 14.05.2012 (Anl. BB 7 Bl. 607 d.A.). Neben den bereits monierten Sockeln wird dort moniert, dass eine Kaltverschweißung des Holzoptikbodens noch aussteht, mithin, dass die Werkleistung noch nicht vollständig fertiggestellt ist. Mit E-Mail vom 08.06.2012 (Anl. BB 8, Bl. 608 d.A.) wird unter Aufrechterhaltung der Rüge bezüglich einzelner Sockel erneut gerügt, dass die Bereiche, in denen sich ein Holzoptikboden befindet, noch nicht kaltverschweißt sind und dass sich außerdem im Flur des Erdgeschosses in Bauteil B und Bauteil A an allen Türfugen der Boden ablöst. Insbesondere bei den beiden letztgenannten Beanstandungen handelt es sich nicht um unwesentliche Einzelheiten oder Kleinigkeiten, sondern um qualitativ wesentliche, insbesondere auch quantitativ umfangreiche Beanstandungen. Aus der nachfolgenden Mail vom 12.06.2012 (Anl. BB 9, Bl. 611 d.A.) wird deutlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt das Pflegeheim noch nicht in Betrieb genommen war. Vielmehr ist im Vorprozess von den Parteien übereinstimmend ein Bezug des Pflegeheims im Juli 2012 angegeben worden, woran die Beklagte selbst im vorliegenden Rechtsstreit festhält (Bl. 326 d.A.). Daraus, dass später die Architekten der Klägerin in Schreiben vom 9.10.2012 (Anl. BB 10, Bl. 614 ff. d.A.) und vom 19.8.2012 (Anlagenkonvolut B4 im Verfahren 1 O 156/15 des Landgerichts Hechingen) von „Mängelrügen nach Abnahme“ sprachen und § 13 Abs. 1 VOB/B zitierten, ergibt sich nichts Anderes. Allein durch die Verwendung eines fehlerhaften Mängelrügeformulars bzw. die bloße Behauptung, das Werk sei abgenommen worden, lässt sich unter den dargestellten Umständen das objektive Vorliegen einer Abnahme nicht feststellen. Die Erklärung, es sei abgenommen worden, befreit nicht von der Feststellung, ob eine Abnahme tatsächlich erfolgt ist. Umgekehrt ergibt sich inhaltlich aus den zitierten Schreiben – abgesehen von der Erwähnung des Wortes „Abnahme“ – gerade keine inhaltliche Billigung der Werkleistung als im Wesentlichen vertragsgemäß, sondern vielmehr das Gegenteil. Schließlich werden auch in der Schlussrechnungsprüfung bzw. Zahlungsfreigabe der Beklagten vom 18.10.2012 (Anl. B 2). Einbehalte wegen Mängeln gemacht und bei Übersendung der geprüften Schlussrechnung von der Klägerin an die Beklagte moniert (Anschreiben der Architektin vom 18.10.2012, Anl. BB 6, Bl. 606 d.A.).

Eine fiktive Abnahme gemäß § 12 Abs. 5 Nr. 1 und 2 VOB/B scheidet bei vereinbarter, jedoch tatsächlich nicht durchgeführter förmlicher Abnahme im Übrigen ebenfalls aus (Kapellmann/Messerschmidt-Havers, VOB A und B, 5. Aufl. 2015, § 12 VOB/B Rn. 104).

 

cc) Vor Abnahme hängt die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten von den Voraussetzungen der §§ 8 Abs. 3, 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B ab.

Hier liegen die formellen Anspruchsvoraussetzungen für den Kostenerstattungsanspruch nicht vor. Die Klägerin hat bis zur Selbstvornahme zu keinem Zeitpunkt eine Kündigung oder Auftragsentziehung gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B erklärt. Eine solche Kündigungserklärung ist nach der neuesten Rechtsprechung des BGH auch dann nicht entbehrlich, wenn der Unternehmer eine Mangelbeseitigung ernsthaft und endgültig abgelehnt hat.

aaa)

Ein Anspruch aus § 4 Abs. 7, § 8 Abs. 3 VOB/B setzt gemäß § 8 Abs. 3 und Abs. 5 VOB/B grundsätzlich eine schriftliche Kündigungserklärung des Auftraggebers voraus. Allerdings hat der Bundesgerichtshof bei ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers eine Kündigungserklärung des Auftraggebers nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB für entbehrlich gehalten. Er hat die Entbehrlichkeit der Kündigungserklärung damit begründet, dass der Auftragnehmer durch seine endgültige Weigerung das Recht zur Vertragserfüllung verloren habe, so dass es zu unklaren Verhältnissen über die weitere Bauabwicklung nicht mehr kommen könne (BGH, Urteile vom 20.04.2000 – VII ZR 164/99; vom 05.07.2001 – VII ZR 201/99; vom 13.09.2001 – VII ZR 113/00; vom 05.07.2001 – VII ZR 201/99; vom 12.01.2012 – VII ZR 77/11). An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof nicht uneingeschränkt fest. Allein der Verlust des Rechts des Auftragnehmers, den Vertrag zu erfüllen, beschränkt nicht das Recht des Auftraggebers, auf Erfüllung zu bestehen und gegebenenfalls Erfüllungsklage zu erheben. Es ist daher für einen Anspruch aus § 4 Nr. 7, § 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) neben der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des Auftragnehmers auch ein Verhalten des Auftraggebers erforderlich, das dem mit der Regelung verfolgten Zweck, klare Verhältnisse zu schaffen, gerecht wird. Das ist der Fall, wenn der Auftraggeber, der Vorschuss verlangt, zumindest konkludent zum Ausdruck bringt, dass er den Vertrag mit dem Auftragnehmer beenden will (BGH, Urteil vom 14. November 2017 – VII ZR 65/14 –, BGHZ 217, 13-24, Rn. 33). Ein solches Verhalten der Klägerin ist hier nicht ersichtlich. Nicht genügend ist insoweit jedenfalls der Umstand allein, dass die Mangelbeseitigungsarbeiten an Dritte vergeben und durchgeführt worden sind.

bbb)

Darüber hinaus ist nicht von einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung der Klägerin auszugehen, die eine Kündigungsandrohung hätte entbehrlich werden lassen und eine konkludente Auftragsentziehung ermöglicht hätte. Eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung ist nur unter engen Voraussetzungen anzunehmen (Wirth in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 20. Aufl. 2017, § 13 Abs. 5 Rn. 128; Kohler in Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, 3. Auflage 2013, § 4 Abs. 7 Rn. 212; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl. 2014, 6. Teil Rn. 187). Die bloße Untätigkeit des Unternehmers kann in keinem Fall genügen, eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung anzunehmen. Vielmehr ist erforderlich, dass die Nacherfüllung definitiv und entschieden verweigert wird. Es genügt daher entgegen dem Dafürhalten der Klägerin nicht, dass die Beklagte nach den Beanstandungen der Klägerin nicht mehr auf der Baustelle erschienen ist und auf Schreiben keinerlei Reaktion gezeigt hat. Auch aus dem prozessualen Verhalten der Beklagten ist eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nicht zu entnehmen. Die Beklagte stellt die Mängel nicht grundsätzlich in Abrede, sondern bestreitet ihre Verantwortung hierfür. Nach dem Eingang des 1. Sachverständigengutachtens des gerichtlichen Sachverständigen … im Vorprozess gestand die Beklagte dort sogar ausdrücklich zu, dass in Bezug auf die Ablösungen des Bodenbelags an den Stationstüren ein Mangel vorliegt, der der Nacharbeit bedarf (Schriftsatz vom 4.7.2016, Bl. 288 im Verfahren 1 O 156/15 des Landgerichts Hechingen). Im Übrigen bestreitet sie für die weiteren Mängel die Verantwortlichkeit für das Mangelerscheinungsbild. Dies genügt nicht für eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten.

Außerdem ist eine Kündigungsandrohung im Hinblick auf die geltend gemachten Mängel nicht für alle Mängel erkennbar. Einzig die Schreiben vom 9.10.2012 und die Mängelrüge vom 19.8.2014 enthalten Kündigungsandrohungen. Dort ist nur die Belagsablösung an den Fugen im Bereich der Türen zu den Patientenzimmern erwähnt. Die übrigen Mangelanzeigen vom 14.5.2012, 8.6.2012 und 12.6.2012 enthalten jedenfalls keine Kündigungsandrohung. Die Mangelbeseitigungskosten unterscheiden allerdings nicht zwischen diesen Mängeln und den anderen Mängeln, für die eine Kündigungsandrohung nicht vorgetragen ist.

Danach fehlen die rechtlichen Voraussetzungen der §§ 8 Abs. 3 Nr. 2, 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B für einen Kostenerstattungsanspruch der Klägerin. Ihr Zahlungsantrag und der zulässige Feststellungsantrag sind daher unbegründet.

Auf die Berufung der Klägerin ist das erstinstanzliche Urteil dahin abzuändern, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern teilweise als unzulässig und teilweise als unbegründet abgewiesen wird. Dies stellt keinen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot dar (Zöller/Heßler, a.a.O., § 528 Rn. 32).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht gem. 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Die Entscheidung weicht nicht von Entscheidungen anderer Obergerichte ab und beruht auf den Umständen des Einzelfalles.

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