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Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers bei einem Rohbau

OLG  Koblenz, Az.: 5 U 1090/13

Urteil vom 05.03.2014

Wegen Schadensersatzhaftung für einen Baustellenunfall hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2014 für Recht erkannt:

1. Die Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom    31. Juli 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheits-leistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

  1. Der 1978 geborene Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Baustellenunfalls auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Daneben möchte er die Ersatzpflicht der Beklagten für entsprechende Zukunftsschäden festgestellt haben.

Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers bei einem RohbauZu dem Unfall kam es am Freitag, dem 3. August 2007, zwischen 13.30 Uhr und 14.10 Uhr im Rohbau, den der Kläger als Bauherr von der erstbeklagten Baufirma als Hauptunternehmerin auf seinem Grundstück in K.  hatte errichten lassen. Den Zweitbeklagten hatte die Erstbeklagte mit der örtlichen Bauleitung betraut.

Am Unfalltag waren die Treppenöffnungen im Rohbau nicht gesichert; der Einbau der Treppen stand noch aus. Die für den Rohbau verantwortliche Subunternehmerin der Erstbeklagten hatte ihre Arbeiten Ende Juli 2007 abgeschlossen und bei der sodann erfolgten Räumung der Baustelle auch die Holzbohlen entfernt, mit denen  zuvor die Treppenöffnungen in den Betondecken verschlossen waren.

Innenarbeiten standen Anfang August 2007 nicht an; das Dach wurde gedeckt. Dafür war der Bau außen eingerüstet, damit die Dachdecker über dieses Gerüst an ihren Arbeitsplatz gelangen konnten. Am Unfalltag waren sie jedoch nicht vor Ort (Bl. 23   d. A. 8014 Js 19964/07 StA Trier).  Eine innere Gerüstleiter, über die man von ebener Erde auf die erste Gerüstebene hätte steigen können, war nicht vorhanden.

Am Tag vor dem Unfall hatte der Kläger Familienangehörigen seine Absicht mitgeteilt, am 3. August 2007 die Baustelle aufzusuchen, weil er befürchtete, die Erstbeklagte bzw. deren Subunternehmerin habe eine Wand des Bades im ersten Obergeschoss nicht dem Bauplan entsprechend errichtet.

Am Unfalltag fand der Fahrer eines Baustofflieferanten, der wegen des auf der   Straßenseite behindernd abgestellten Pkw. des Klägers zweimal gehupt hatte, den Kläger gegen 14.10 Uhr schwerstverletzt im Keller des Rohbaus; er war ersichtlich durch die ungesicherten Treppenöffnungen dorthin gestürzt. Die näheren Umstände des Unfalls sind unklar, weil der Kläger sich aufgrund seiner bei dem Sturz erlittenen schwersten Kopfverletzungen weder verbal noch in sonstiger Weise mitteilen kann. Die ermittelnden Polizeibeamten fanden auf der Brüstung des Badezimmerfensters im ersten Obergeschoss einen Bauplan, ein Bandmaß und einen Kugelschreiber aus dem Besitz des Klägers (Bl. 22 d.A. 8014 Js 19964/07 StA Trier und BB Seite 12 – Bl. 399 GA).

Nachdem der durch seine Betreuerin vertretene Kläger zunächst behauptet hatte, aus dem Obergeschoss zwei Stockwerke tief in den Keller gestürzt zu sein, hat er später vorgetragen, er sei entweder vom Obergeschoss oder vom Erdgeschoss durch die dortige Treppenöffnung in den Keller gefallen.  Der Kläger meint, beide Beklagten seien schadensersatzpflichtig, weil sie die Treppenöffnungen nicht ge-sichert hätten. Mit einem Betreten der Baustelle durch den Bauherrn oder andere berechtigte, aber auch unberechtigte Personen sei jederzeit zu rechnen gewesen. Der Kläger hat der für die Rohbauarbeiten und die Beseitigung der Holzbohlen in den Treppenöffnungen verantwortlichen Subunternehmerin und deren örtlichem Bauleiter den Streit verkündet; ein Beitritt ist nicht erfolgt.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten. Der Kläger sei in Kenntnis der Gefahrenlage und unter Missachtung jedweder Eigensorgfalt außen an den senkrechten Gerüststangen emporgestiegen, um auf die erste Gerüstebene zu gelangen. Von dort sei er auf der vorhandenen Leiter zwischen erster und zweiter Gerüstebene auf diese emporgestiegen und durch ein Fenster im ersten Obergeschoss in den Rohbau geklettert. Im Obergeschoss habe der Kläger nichts zu suchen gehabt; im Übrigen sei die Gefahrenlage offensichtlich gewesen. Infolge Unaufmerksamkeit sei er durch die Treppenöffnung gestürzt. Sie – Beklagte – hätten darauf vertrauen dürfen, dass die mit den Rohbauarbeiten betraute erfahrene und  verlässliche Subunternehmerin nach Fertigstellung ihrer Arbeiten die Baustelle nicht unter Beseitigung sämtlicher Sicherungseinrichtungen räumen würde.

Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Sachverständigenbeweis erhoben. Erstens zur Frage, ob die Baustellensicherung am Unfalltag den maßgeblichen Vorschriften entsprach, und zweitens zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und dem erforderlichen Pflegeaufwand.  Gleichwohl hat nach mehrfachem Richterwechsel die zuletzt zuständige Einzelrichterin die Klage durch das nunmehr angefochtene Urteil insgesamt abgewiesen.  Die Beklagten seien weder vertraglich noch gesetzlich zum Schadensersatz verpflichtet. Zwar liege eine gravierende Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, da der Rohbau im Erdgeschoss frei zugänglich gewesen sei und man dort, aber auch im Obergeschoß die Abdeckung der Treppenöffnungen versäumt habe.  Mit dem Hinweis auf die Subunternehmerin könnten die Beklagten sich nicht entlasten, weil jedenfalls ein Koordinationsversäumnis vorliege, indem die Erstbeklagte als Hauptunternehmerin keine geeigneten Anordnungen und Vorkehrungen zur ständigen lückenlosen Sicherung der Baustelle getroffen habe. Gleichwohl sei ein Ersatzanspruch aber ausgeschlossen, weil das Eigenverschulden des Klägers derart schwer wiege, dass der Verur-sachungsbeitrag und das Verschulden der Beklagten demgegenüber nicht in`s Gewicht fielen (§ 254 BGB).

Dagegen richtet sich die Berufung, mit der der Kläger seine erstinstanzlichen  Schlussanträge wiederholt. Hilfsweise bittet er um Rückgabe in die erste Instanz.  Mit seiner Entscheidung habe das Landgericht ihn überrascht.  Wegen der Beweiserhebung zum Pflegebedarf habe er von einer Haftung der Beklagten dem Grunde nach ausgehen dürfen.  Auch die streitentscheidende Richterin habe in ihrer mündlichen Verhandlung durch Fragen zu einzelnen Schadenspositionen eine derartige Haftung der Beklagten suggeriert. In der Sache habe sein  Mitverschulden keinesfalls das vom Landgericht angenommene Gewicht. Für die beabsichtigte Vermessung sei er über das Gerüst von außen durch das Badezimmerfenster eingestiegen, was insgesamt nicht als unverantwortliche Eigengefährdung qualifiziert werden könne. Erst mit dem Betreten der Diele, wo sich in 2 Metern Entfernung vor der Türöffnung des Badezimmers der ungesicherte Treppenschacht befunden habe, sei eine konkrete Gefahrenlage entstanden. Was ihn bewogen habe, dorthin zu gehen, sei letztlich unklar, was zu Lasten der für das Mitverschulden und dessen Ausmaß beweispflichtigen Beklagten gehe.  Es treffe nicht zu, dass er – in den Bauplan vertieft – rückwärts gehend in das Treppenloch gestürzt sei. Das sei nicht mit der Auffindesituation nach dem Unfall zu vereinbaren. Durch einen Anruf auf seinem Handy oder durch das zweimalige Hupen des Fahrers des Baustofflieferanten abgelenkt sei er vorwärts gehend in das Treppenloch gestürzt. Das könne ihm nicht als eine jedweden Ersatzanspruch ausschließende Selbstgefährdung angelastet werden.

Die Beklagten bitten um Zurückweisung der Berufung. Die Frage des Mitverschuldens und seiner Bemessung sei in erster Instanz breit diskutiert worden; daher   könne die hierauf gestützte Klageabweisung den Kläger nicht überrascht haben.  Dass jemand außen an einem Baugerüst hochklettere um sich Zutritt zum Obergeschoss eines Rohbaus ohne Innentreppen zu verschaffen, sei nicht zu erwarten. Wer gleichwohl derart in den Bau einsteige, müsse der offen zutage liegenden Gefahr, durch die ungesicherten Treppenöffnungen in die Tiefe zu stürzen durch gesteigerte und lückenlose Aufmerksamkeit selbst Rechnung tragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.  Die Akten 8014 Js 19964/07 StA Trier waren Gegenstand der mündlichen Berufungsverhandlung. Auch auf den Inhalt dieser Akten nimmt der Senat Bezug

  1. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.  Ein vertraglicher oder gesetzlicher Schadensersatzanspruch steht dem Kläger gegen die Beklagten nicht zu.

1. Ob die Verfahrensrüge der Berufung zutrifft, das Landgericht habe den Kläger mit der Ansicht überrascht,  für den Unfall und seine Folgen selbst überwiegend verantwortlich zu sein, kann dahinstehen.  Allerdings ist der Berufung im Ausgangspunkt darin beizupflichten, dass das Verfahren des Landgerichts nicht frei von Bedenken ist.

a. Nach dem Vorbringen der Berufungserwiderung hat die für das angefochtene Urteil verantwortliche Richterin in der mündlichen Verhandlung offenbart, den durch die Schwierigkeit sachgemäßer Abwägung der beiderseitigen Verantwortlichkeiten und des Verschuldens geprägten Fall mehrfach mit Richterkollegen besprochen zu haben. Dabei habe sich ein außerordentlich breites Meinungsspektrum ergeben.

Vor diesem Hintergrund musste sie erwägen, die Sache der vollbesetzten Kammer zur Übernahme vorzulegen. Angesichts der Gesetzeslage hat die Berufung allerdings zu Recht von einer entsprechenden Verfahrensrüge abgesehen (§ 348 Abs. 4 ZPO).

b. Die Rüge, der Kläger bzw. seine Mutter als Betreuerin sei von der Entscheidung des Landgerichts überrascht worden, ist ungeachtet  des Vorbringens der Berufungserwiderung nicht von der Hand zu weisen.  Dass die zwei ursprünglich nach-einander mit dem Fall befassten Einzelrichter die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt hielten, erschließt sich ohne Weiteres aus der Beweiserhebung.  Spätestens die zweite Beweisanordnung, durch die der unfallbedingte Zustand des Klägers und sein Pflegebedarf geklärt werden sollte, machte deutlich, dass das Landgericht keinesfalls das Mitverschulden des Anspruchstellers derart gewichten würde wie in dem nunmehr angefochtenen Urteil.

Trotz der von der Berufung in den Vordergrund gerückten Ungereimtheiten des Verfahrens erster Instanz, sieht der Senat von der hilfsweise beantragten Zurückverweisung ab. Wegen der Dauer des landgerichtlichen Verfahrens, insbesondere aber wegen der außerordentlichen Tragik des Falles und der schwerwiegenden Verletzungen des Klägers liegt eine zügige Entscheidung in zweiter Instanz im Interesse aller Beteiligten, zumal eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht geboten ist.

Mit den Verfahrensrügen hat die Berufung demnach keinen Erfolg.

2. Auch in der Sache scheitert sie.  Ein vertraglicher (§§ 276, 280 BGB) oder deliktischer Schadensersatzanspruch (§ 823 BGB) steht dem Kläger nicht zu.

Durch die Begründung des angefochtenen Urteils veranlasst, richtet die Berufung ihren Blick zu sehr darauf, dass das Landgericht dem Kläger in Anwendung von § 254 BGB haftungsrechtlich die Alleinverantwortlichkeit für den Unfall zugewiesen hat.  Auch dem Senat erscheint dieses harsche Verdikt der Einzelrichterin dem Fall nicht angemessen.

Gleichwohl erweist die Klageabweisung sich als im Ergebnis zutreffend.  Es fehlt nämlich an einer haftungsrelevanten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagten. Sowohl für eine vertragliche als auch für eine deliktische Haftung der Beklagten wäre erforderlich, dass sie bei der Baustellensicherung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen  hätten (§ 276 Abs. 2 Satz 1 BGB).  Das war mit Blickrichtung auf den Kläger hinsichtlich der fehlenden Absicherung der Treppenöffnung im Obergeschoss am Unfalltag nicht der Fall.

In zweiter Instanz ist unstreitig geworden ist, dass der Kläger aus dem Obergeschoss in den Keller stürzte. Das deckt sich mit den im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Trier gewonnenen Erkenntnissen und erschließt sich insbesondere  daraus, dass der Bauplan, das Maßband und der Kugelschreiber des Klägers auf der Brüstung des Badezimmerfensters im Obergeschoß lagen.

Ob die Haftungsfrage anders zu beurteilen wäre, wenn der Kläger aus dem von    außen für jedermann und damit auch für neugierige Passanten und sogar für unternehmungslustige Kinder frei zugänglichen Erdgeschoss durch die auch hier nicht gesicherte Treppenöffnung in den Keller gestürzt wäre, steht daher nicht zur Entscheidung an.

Soweit die Berufung im nachgelassenen Schriftsatz darauf hinweist,  eine Sicherung der Treppenöffnung im Erdgeschoß hätte die Fallhöhe beim Sturz des Klägers aus dem Obergeschoß und damit auch seine Verletzungen erheblich reduziert, liegt dem die Auffassung zugrunde, die Beklagten seien verpflichtet gewesen, die Treppenöffnungen durch waagrechte Bohlen bündig zu den umlaufenden Kanten der Beton-decke zu verschließen. Eine Verpflichtung, die im Erdgeschoß gebotene Sicherung derart vorzunehmen, bestand jedoch nicht. Näher liegend war eine an den Kanten der Betondecke umlaufende senkrechte Absperrung nach Art eines Polizeigitters (sogenannte „Hamburger Reiter“).  Eine derartige Sicherung kann auf Baustellen mit wenigen Handgriffen beiseite geräumt werden, um den Transport von Baumaterial oder Bauarbeiten im Treppenschacht zu ermöglichen.  Wäre das Treppenloch im Erdgeschoß derart gesichert gewesen, wäre der Kläger gleichermaßen durch beide Treppenöffnungen bis in den Keller gestürzt.

Streitentscheidend ist allein, dass die Beklagten am Unfalltag keinen Verkehr in das Obergeschoss eröffnet oder geduldet hatten und demzufolge auch keine Maß-nahmen zu seiner Sicherung schuldeten.  Ebenso wenig waren – bei fehlender Verkehrseröffnung – Sicherungsmaßnahmen im Obergeschoss deshalb geboten, weil die Beklagten mit dem Zutritt Unbefugter, erst recht jedoch Befugter rechnen und gegen deren Schädigung Vorkehrungen treffen mussten.

a. Die Beklagten haben das rechtliche Problem in die Worte gefasst, der Kläger habe an jenem Tag im Obergeschoss „nichts zu suchen gehabt“.  Mit dieser Begründung hat etwa das Reichsgericht einem männlichen Gaststättenbesucher Ersatzansprüche versagt, der auf der unbeleuchteten Treppe zur Damentoilette gestürzt war (RGZ 87, 128 ff).

Das hält der Senat für unzutreffend. Auch derjenige, der dem Willen des Verantwortlichen zuwiderhandelt, kann sich im Rahmen eines auch ihm eröffneten Zugangs und damit im Pflichtenbereich bewegen.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass es dem Kläger als umfassend sachberechtigtem Grundstückseigentümer (§ 903 BGB) selbstverständlich erlaubt war, den dort errichteten Rohbau aufzusuchen.

Soweit die Berufung im nachgelassenen Schriftsatz behauptet, der Senat habe in seiner mündlichen Verhandlung erklärt, dem Beklagten sei das Betreten des Obergeschosses verboten gewesen, er habe sich dort unbefugt aufgehalten, trifft das nicht zu. Der Senat hat lediglich darauf hingewiesen, dass am Unfalltag für niemand und damit auch nicht für den Kläger ein Verkehr in das Obergeschoss eröffnet war.  Dass der Kläger den Rohbau auch im Obergeschoss betreten durfte, besagt nicht, dass die Beklagten nunmehr den ausschließlich vom Anspruchsteller selbst eröffneten Verkehr dorthin zu sichern hatten.

b. Ein Ersatzanspruch lässt sich auch nicht mit der Begründung verneinen, der Kläger habe sich sehenden Auges in Gefahr begeben und damit in die durch deren Realisierung erlittene Verletzung eingewilligt.

Diese ebenfalls auf das Reichsgericht zurückgehende und ursprünglich auch vom Bundesgerichtshof vertretene Rechtsansicht, die demjenigen, der sich einem erkennbar betrunkenen oder sonst fahruntüchtigen Fahrzeuglenker anvertraut hatte,  jedweden Ersatzanspruch versagte, ist seit der Entscheidung BGHZ 34, 355, auf die zur näheren Begründung verwiesen wird, überholt.

c. Maßgeblich ist, dass der Zugang zum Obergeschoss nach der am Unfalltag bestehenden konkreten Zweckwidmung jedermann verwehrt war.

Dazu muss nach Auffassung des Senats bereits im Ausgangspunkt  berücksichtigt werden,  dass die Verpflichtung,  die beiden Gefahrenstellen zu verschließen,  vorrangig,  wenn nicht gar ausschließlich dem Schutz der im Inneren des Gebäudes tätigen Arbeiter diente. Bei ihrer beruflichen Tätigkeit mussten sie ihr Augenmerk ganz auf die zu erledigenden Arbeiten konzentrieren. Dadurch waren sie weitaus erheblicher gefährdet, durch die ungesicherten Bodenöffnungen abzustürzen als ein lediglich neugieriger Baustellenbesucher, dessen Augenmerk nicht durch zu erledigende Arbeiten beansprucht ist.

Wie bereits erwähnt, war auch an spielende Kinder zu denken, auf die Baustellen außerhalb der Arbeitszeiten häufig eine erhebliche Anziehungskraft ausüben, weshalb  sie,  insbesondere im unbedachten Spiel mit anderen Kindern,  in besonderer Weise gefährdet sind, auf Baustellen zu Schaden zu kommen (vgl. zur fehlenden Absperrung eines Bunkers und Schädigung eines 12 – jährigen BGH in VersR 1957, 790 und zum Fall des Sturzes eines Vierjährigen von der Strohdieme in einer unverschlossenen Scheune BGH in FamRZ 1963, 243 f).

Um all das geht es hier nicht.  Die Arbeiten im Inneren des Gebäudes ruhten am       3. August 2007.  Damit gab es am Unfalltag niemanden, der im nicht ohne weiteres zugänglichen Obergeschoss des Schutzes bedurfte,  weshalb sich auch nicht sagen lässt, die Beklagten hätten an dieser Stelle die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet.

Das ist nicht dadurch in Frage gestellt, dass Dachdecker am Vortag und am Montag nach dem Unfall auf dem Dach arbeiteten. Um dorthin zu gelangen, mussten sie nicht durch das Innere des Gebäudes. Dass sie das Gebäudeinnere in Pausen betreten würden, war nicht zu erwarten.

Letztlich ist nicht behauptet und auch nicht zu ersehen, dass die Dachdecker ihr Baumaterial im Inneren des Rohbaus gelagert hatten. Demzufolge bestand auch unter diesem Gesichtspunkt keine Notwendigkeit, das Obergeschoss des Rohbaus zu betreten.

Hatten die Beklagten nach alledem am Unfalltag keinen Verkehr im Obergeschoss eröffnet, bedurfte es auch keiner Maßnahmen zu seiner Sicherung.

d. Ungeachtet der fehlenden Verkehrseröffnung im Obergeschoss mussten die Beklagten auch nicht aus sonstigen Gründen damit rechnen, dass jemand das Obergeschoss – aus welchen Gründen auch immer – aufsuchen würde und für diesen Fall Sicherungsvorkehrungen treffen.

Angesichts der häufigen Diebstähle von Baumaterial aus Roh- und Neubauten war zwar zu erwägen, dass Straftäter im Obergeschoss nach Stehlenswertem suchen würden. Dieser durchaus naheliegenden Gefahr war man jedoch dadurch begegnet, dass man die Gerüstleiter zwischen dem Erdboden und der ersten Gerüstebene entfernt hatte.  Mithin konnte man auf die erste Gerüstebene und von dort auf die darüber liegende Ebene und in das Obergeschoss nur gelangen, indem man an den senkrechten Gerüststangen emporkletterte. Mit etwas derart Ungewöhnlichem mussten die Beklagten aber nicht rechnen und demzufolge auch keine Sicherungsvorkehrungen für den Fall treffen, dass jemand gleichwohl auf diesem Weg in das Obergeschoss gelangte.

e. Der Senat sieht sich bei dieser Sicht der Dinge in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der in einem Urteil vom 10. Juli 1956 (VI ZR 133/55 in BB 1956, 771) einem Bauarbeiter, der außerhalb der Arbeitszeiten den Rohbau betreten hatte und dort zu Schaden gekommen war, einen Ersatzanspruch versagt hat. Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, ein Bauunternehmer müsse außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit andere Personen im Bau nicht dulden. Insoweit treffe ihn deshalb auch keine Verkehrssicherungspflicht, wenn sich nicht für eine bestimmte Gelegenheit aus einer Verabredung oder besonderen Umständen etwas anderes ergebe.

Der Eröffnung eines nur beschränkten Verkehrs entspricht auch eine begrenzte Verkehrssicherungspflicht in dem Umfang, in dem das Grundstück dem Verkehr eröffnet wurde (BGH a.a.O mit weiteren Nachweisen).  Aus diesen Gründen kann jemand,  der – selbst wenn er dazu berechtigt war – außerhalb der Arbeitszeit einen erkennbar nicht offenen Neubau betritt und dabei in einen unabgedeckten Kellerschacht stürzt, von dem Bauunternehmer keinen Schadensersatz verlangen, wenn dieser nicht wusste oder annehmen musste, dass jemand den Neubau befugterweise betreten werde (BGH aaO).

Anders als in jenem Fall war hier das Erdgeschoss des Neubaus zwar erkennbar offen, nicht jedoch das Dachgeschoss, in dem die Beklagten daher auch nicht mit einem zu sichernden Besucherverkehr rechnen mussten (vgl. auch RGZ 160, 153 ff). Mangels Verletzung einer Verkehrsicherungspflicht im Obergeschoss des Neubaus erweist die angefochtene Entscheidung sich daher als im Ergebnis zutreffend.

Das ist nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Berufung neuerlich erstmals und damit prozessual unbeachtlich behauptet und unter Zeugenbeweis stellt, auch die Dachdecker seien mangels Gerüstleiter zwischen Erdboden und erster Gerüstebene an dem Gerüst außen hochgeklettert, um zu ihrem Arbeitsplatz auf dem Dach zu gelangen.

Im Übrigen erachtet der Senat  es als völlig ungewöhnlich und damit nicht vorhersehbar, dass Dachdecker an ihren Arbeitsplatz nur dadurch gelangen, dass sie nach Art eines Turners außen am Gerüst emporklettern. Einen zu sichernden Verkehr in das Innere des Gebäudes haben die Beklagten auch damit weder eröffnet noch geduldet.

Soweit die Berufung im nachgelassenen Schriftsatz auf den vom BGH entschiedenen Limonadenflaschenfall (NJW 2007, 762)  und den vom Oberlandesgericht Köln beurteilten Kiesgrubenfall (VersR 1992, 1241)  verweist,  ist der dortige Tatsachenstoff in keiner Weise mit dem Sachverhalt des vorliegenden Falls vergleichbar.

3. Daneben kommt auf die Frage nicht mehr entscheidend an, welche Rechtsfolgen es hat, dass hier kein Dritter, sondern der Bauherr selbst zu Schaden gekommen ist, dem die Landesbauordnung Rheinland – Pfalz die Pflicht zur Baustellensicherung originär auferlegt.

Obwohl der Kläger diese Pflicht vertraglich auf die Erstbeklagte und diese wiederum auf die Subunternehmerin übertragen hatte, lag am Unfalltag doch offen zutage, dass beide nicht für eine lückenlose umfassende Sicherung gesorgt hatten, was die Eigenpflicht des Klägers möglicherweise wieder aufleben ließ.

4. Ebenso kann dahinstehen, ob die Beklagten sich auf deliktischer Ebene für die Versäumnisse der Subunternehmerin nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entlasten    können.

5. Die Berufung musste mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückgewiesen werden.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor; die Entscheidung des Senats steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH   (VI ZR 133/55).

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt  190.506,34 €.

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