Gültigkeit der Abnahme im Baurecht trotz fehlender Unterschrift
Die Abnahme von Werkleistungen ist ein zentrales Element im Baurecht und markiert den Übergang von der Herstellungsphase zur Gewährleistungsphase. Dabei stellt sich oft die Frage, unter welchen Umständen eine Abnahme als erfolgt betrachtet werden kann, insbesondere wenn Formalitäten wie die Unterzeichnung eines Abnahmeprotokolls ausstehen. Die rechtliche Problemstellung dreht sich um die Gültigkeit und Anerkennung der Abnahme und die daraus resultierenden Mängelbeseitigungsansprüche.
Ein weiteres Kernthema ist die Rolle der Wohnungseigentümergemeinschaft und die Frage, ob und wie diese Gewährleistungsansprüche im Namen der Eigentümer geltend machen kann. Dabei spielen Begriffe wie Gemeinschaftseigentum, Vorschussklage und Beschlussfassungen eine entscheidende Rolle.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Oberlandesgericht Oldenburg hebt ein vorheriges Urteil auf und verweist den Fall zurück, betonend, dass eine Abnahme der Werkleistung im Baurecht nicht zwingend durch Unterschriften im Abnahmeprotokoll nachgewiesen werden muss.
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Abnahme Werkleistung: Das Gericht stellt klar, dass eine Abnahme auch ohne unterschriebenes Abnahmeprotokoll gültig sein kann.
- Mängelbeseitigungsarbeiten: Die Beklagte führte Arbeiten durch, aber die Klägerin behauptet, es gäbe weiterhin Mängel und eine formelle Abnahme habe nicht stattgefunden.
- Ansprüche und Klage: Die Klägerin fordert u.a. 3.006,42 Euro an Anwaltsgebühren und Freistellung von Kosten für den Sachverständigen KK.
- Landgerichts Entscheidung: Das Landgericht Aurich wies die Klage zunächst ab. 5.Berufung und Aufhebung: Das Oberlandesgericht Oldenburg hebt das Urteil auf und verweist den Fall zur erneuten Verhandlung zurück.
- Gemeinschaftseigentum: Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann Mängelbeseitigungsansprüche an sich ziehen und gerichtlich geltend machen.
- Verjährung: Das Gericht weist darauf hin, dass die Klägerin mögliche Hemmungs- oder Unterbrechungstatbestände darlegen muss.
- Vorschussanspruch: Die Voraussetzung für den Übergang von Herstellungsansprüchen zu Gewährleistungsansprüchen ist die Abnahme der Werkleistung nach § 640 BGB.
Übersicht
Spannung im Baurecht: Ein komplexer Fall
Der vorliegende Fall dreht sich um eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen einer Wohnungseigentümergemeinschaft und einer Beklagten im Kontext des Baurechts. Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, hatte Mängelbeseitigungsarbeiten durch die Beklagte durchführen lassen und forderte nun vor Gericht verschiedene Zahlungen, darunter 3.006,42 Euro an vorgerichtlichen Anwaltsgebühren und die Freistellung von vorgerichtlichen Kosten für den Sachverständigen KK. Das Landgericht hatte die Klage zuvor abgewiesen, woraufhin die Klägerin Berufung einlegte.
Kernfragen: Abnahme Werkleistung und Rechtsansprüche

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall lag in der Frage, ob die Klägerin berechtigt war, die Klage zu führen, und ob die Voraussetzungen für die geltend gemachten Ansprüche erfüllt waren. Ein zentraler Punkt war dabei die Frage, ob eine Abnahme der Werkleistung stattgefunden hatte, trotz eines nicht unterschriebenen Abnahmeprotokolls. Zudem war zu klären, ob die Wohnungseigentümergemeinschaft die Mängelbeseitigungsansprüche wirksam an sich gezogen hatte und ob die Klage aufgrund von Verjährungsfristen zulässig war.
Entscheidung des Oberlandesgerichts: Ein Wendepunkt
Das Oberlandesgericht Oldenburg entschied, das Urteil des Landgerichts Aurich aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Gericht begründete dies damit, dass erstinstanzlich keine Sachaufklärung erfolgt sei und beide Parteien bei einer erstmaligen Aufklärung durch das Berufungsgericht keine Möglichkeit zur Überprüfung der dann getroffenen tatsächlichen Feststellungen gehabt hätten. Zudem wies das Gericht darauf hin, dass die Voraussetzungen für den geltend gemachten Vorschussanspruch nicht vorlagen, da eine Abnahme der Werkleistung nach § 640 BGB erforderlich sei und diese nicht zwingend durch Unterschriften im Abnahmeprotokoll nachgewiesen werden müsse.
Fazit und Auswirkungen: Ein Präzedenzfall im Baurecht
Das Gericht stellte auch fest, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die Mängelbeseitigungsansprüche wirksam an sich gezogen hatte und dass die Klage nicht aufgrund von Verjährungsfristen unzulässig war. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Unterbrechungswirkung einer Verjährung sich immer nur auf die Gewährleistungsansprüche wegen des geltend gemachten bestimmten Mangels bezieht, nicht auf Ansprüche wegen anderer Mängel.
Die Auswirkungen des Urteils sind vielfältig. Es betont die Bedeutung einer genauen Prüfung und Klärung der Sachlage vor der Entscheidung und hebt hervor, dass die Formalitäten der Abnahme flexibel gehandhabt werden können. Zudem wird klargestellt, dass Wohnungseigentümergemeinschaften unter bestimmten Umständen berechtigt sind, Mängelbeseitigungsansprüche an sich zu ziehen und gerichtlich geltend zu machen.
Das Fazit des Urteils ist, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die Geltendmachung von Ansprüchen im Baurecht sorgfältig geprüft und beachtet werden müssen. Das Urteil betont die Notwendigkeit einer genauen Sachaufklärung und gibt Hinweise darauf, wie bestimmte rechtliche Herausforderungen, wie die Frage der Abnahme und der Verjährung von Ansprüchen, zu bewerten sind.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Wie wirkt sich ein „Ansichziehen“ von Mängelbeseitigungsansprüchen durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft aus?
Ein „Ansichziehen“ von Mängelbeseitigungsansprüchen durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) bezieht sich auf die Praxis, dass die WEG die Mängelrechte der einzelnen Wohnungseigentümer an sich zieht und diese gemeinschaftlich geltend macht. Dies kann durch einen Mehrheitsbeschluss der WEG erfolgen.
Die Auswirkungen dieses Vorgehens sind vielfältig. Zunächst einmal kann die WEG dadurch Mängelrechte wegen Mängeln am gemeinschaftlichen Eigentum geltend machen und gerichtlich durchsetzen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn nach der Fertigstellung eines Bauvorhabens Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum festgestellt werden, wie etwa Geräusche an einer Aufzugsanlage in einem Mehrfamilienhaus.
Ein weiterer Aspekt ist die Rechtssicherheit. Durch das Ansichziehen der Mängelrechte kann die WEG die Interessen der Wohnungseigentümer besser vertreten und für eine effizientere Durchsetzung der Mängelrechte sorgen. Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn die Mängelrechte ihrer Natur nach gemeinschaftsbezogen sind und ein eigenständiges Vorgehen des einzelnen Wohnungseigentümers nicht zulassen.
Allerdings gibt es auch Herausforderungen und Risiken. So ist seit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) die Frage aufgekommen, ob die WEG auch weiterhin Mängelrechte ansichziehen und geltend machen kann. Dies liegt daran, dass die Regelung in § 10 Abs. 6 WEG a.F., die dies ermöglichte, weggefallen ist. Eine Entscheidung des OLG München vom 22.03.2022 hat jedoch klargestellt, dass die WEG auch nach der Gesetzesänderung weiterhin Mängelrechte ansichziehen und geltend machen kann.
Zudem ist zu beachten, dass die Vergemeinschaftung der Mängelrechte erforderlich ist, wenn die WEG als aktivlegitimierte Klägerin im Prozess auftreten möchte. Dies kann jedoch zu Komplikationen führen, da jeder Erwerber das Recht zur Einzelabnahme des Gemeinschaftseigentums hat und eine Vergemeinschaftung der Abnahme des Gemeinschaftseigentums nicht möglich ist.
Schließlich kann das Ansichziehen von Mängelrechten durch die WEG auch Auswirkungen auf die Beweislast haben. So kann es beispielsweise zu einer Umkehr der Beweislast für Mängel auf den Erwerber kommen. Dies bedeutet, dass der Erwerber in einem Streitfall die Mangelhaftigkeit beweisen muss, was in gerichtlichen Auseinandersetzungen oft schwierig ist.
Das vorliegende Urteil
OLG Oldenburg – Az.: 2 U 59/22 – Urteil vom 08.11.2022
In dem Rechtsstreit hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am Oberlandesgericht auf die mündliche Verhandlung vom 01.11.2022 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.03.2022 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich aufgehoben sowie die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Aurich zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits – auch über die des Berufungsverfahrens – wird dem Landgericht übertragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Kostenvorschüssen aufgrund behaupteter Mängel.
Die Beklagte errichtete als Bauträgerin ein Vierfamilienhaus. Sie veräußerte die einzelnen Wohnungen mittels Bauträgerverträgen an die Mitglieder der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgänger. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin korrespondierte zur Geltendmachung von Mangelansprüchen namens und im Auftrag eines Mitglieds der Klägerin mit der Beklagten. Im Laufe dieser Korrespondenz teilte er der Beklagten mit Schreiben vom 03.04.2018 mit, neben der Eigentümerin HH auch die Klägerin zu vertreten.
Die Klägerin fasste nach einer Eigentümerversammlung vom 13.03.2018, über welche ein Protokoll erstellt wurde (Anlage P 1, Bd. I Bl. 63) einen Beschluss, der in der Beschlusssammlung lautet (Anlage P 2, Bd. I Bl. 64):
„Feuchtigkeitsschaden – Bericht durch JJ und KK, sowie der Beschluss über das weitere Vorgehen der Eigentümergemeinschaft
Nach Berichterstattung und Diskussion wird die Bildung einer Sonderumlage in Höhe von 5.000,- Euro/Wohneinheit, zahlbar bis zum 31.08.2019 für die Finanzierung der Vorschussklage, Gutachtenkosten, sowie die Ausführung der Drainage ab 15.09.2019 beschlossen.“
Unter Einbeziehung des von der Klägerin beauftragten Privatgutachter KK hat die Beklagte Mangelbeseitigungsarbeiten durchgeführt.
Die Klägerin hat behauptet, eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums habe nicht stattgefunden. Es lägen zahlreiche Mängel vor, bezüglich derer sie sich auf die gutachterliche Stellungnahme KK beziehe. Der Geschäftsführer der Beklagten habe zugesichert, die geltend gemachten Mängel abzuarbeiten.
Die Klägerin hatte angekündigt zu beantragen,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Vorschuss zur Mangelbeseitigung in Höhe von 137.659,23 Euro zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, jeglichen weiteren Schadensersatz zu zahlen hinsichtlich weiterer über den Betrag in Höhe von 137.659,23 Euro hinausgehender Schäden am Objekt Straße1, Ort1;
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.006,42 Euro an vorgerichtlichen Anwaltsgebühren zu zahlen;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Kosten für den Sachverständigen KK freizustellen.
Mit Versäumnisurteil vom 27.09.2021 hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat nach seinem Einspruch sodann beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und der Klage nach den Anträgen aus dem Klageschriftsatz stattzugeben.
Die Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Die Klage sei unbegründet, da die Klägerin mangels wirksamen Beschlusses nicht aktivlegitimiert sei, die Kostenvorschussansprüche geltend zu machen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie beantragt, das Verfahren an das Landgericht Aurich zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuverweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres Vortrags. Sie hält an der bereits erstinstanzlich erhobenen Verjährungseinrede fest. Dem von der Klägerin angekündigten Parteiwechsel widerspreche sie.
II.
Die Berufung ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht. Das Landgericht hat die Klage unzutreffend als unbegründet zurückgewiesen.
1. Das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerhaft iSv § 513 I ZPO. Die Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin steht mit der materiellen Rechtslage nicht im Einklang. Die Begründung durch das Landgericht lässt erkennen, dass die entscheidungserhebliche Frage, ob die WEG trotz der fehlenden Aktivlegitimation Prozessführungsbefugnis hatte, nicht geprüft wurde. Bei fehlender Prozessführungsbefugnis ist die Klage unzulässig. Hierauf hätte das Landgericht nach seiner materiellen Rechtsansicht hinweisen müssen. Da es sich über die prozessuale Frage hinaus ausdrücklich nicht mit der Begründetheit der Klage befasst hat, liegt ein Fall von § 538 II Nr. 3 ZPO vor. Dieser ist entsprechend anwendbar, wenn eine Klage unrichtigerweise als unbegründet abgewiesen wurde, obwohl die Begründung eine Abweisung als unzulässig erfordert hätte (BGH, NJW 1984, 126; OLG Düsseldorf, Urteil v. 25.04.1990 – 9 U 1/90; BayObLG, Urteil v. 24.06.2002 – 1Z RR 235/01; OLG Dresden, Urteil v. 07.06.2002 – 3 U 589/02). Da sich das Landgericht aufgrund seiner fehlerhaften Rechtsauffassung mit der Sache inhaltlich gar nicht befasst hat und die Klägerin allein dies beantragt, ist eine Aufhebung und Zurückverweisung geboten. Das Berufungsgericht. hat von seiner grundsätzlichen Kompetenz zur eigenen Sachentscheidung gem. § 538 I ZPO im Bewusstsein des Regel-Ausnahme-Verhältnisses ausnahmsweise keinen Gebrauch gemacht, weil erstinstanzlich keinerlei Sachaufklärung erfolgt ist und beiden Parteien bei einer erstmaligen Aufklärung durch das Berufungsgericht keine Möglichkeit zur Überprüfung der dann getroffenen tatsächlichen Feststellungen verbliebe.
2. Die Klägerin war befugt, die gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche zu verfolgen. Ihr fehlt die Prozessführungsbefugnis nicht.
Die Klägerin hat in erster Linie einen Kostenvorschussanspruch geltend gemacht.
Die sogenannten primären Mängelrechte, zu denen Nacherfüllung (BGH NJW 2007, 1952 Rn. 18), Selbstvornahme und das Verlangen eines Kostenvorschusses (BGH NJW 2007, 1952 Rn. 18; OLG Düsseldorf ZWE 2010, 336) zählen, werden nach ganz herrschender Meinung als nicht gemeinschaftsbezogen verstanden. Die Geltendmachung dieser Rechte beeinträchtigt die schutzwürdigen Belange des Bauträgers nicht, weil alle Erwerber primär nur diese Mängelbeseitigungsansprüche besitzen. Diese Rechte sind nicht gemeinschaftsbezogen. Dementsprechend besitzt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für diese Rechte keine (geborene) Ausübungsbefugnis. Jeder Erwerber kann diese Rechte individuell gegenüber dem Bauträger verfolgen.
Hierzu zählt auch der Anspruch auf Kostenvorschuss. Dieser kann zwar selbständig, aber nur mit der Maßgabe geltend gemacht werden, dass er an die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu zahlen ist (BGH NJW 2007, 1952 Rn. 18; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 9a Rn. 121, 122).
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs müssen die Wohnungseigentümer allerdings einen gemeinschaftlichen Willen darüber bilden, wie die ordnungsmäßige Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf die Erfüllungs- oder Nacherfüllungsansprüche, sondern auch im Hinblick auf die Ansprüche auf Vorschuss oder Aufwendungsersatz (BGH NJW 2007, 1952). In diesem Sinne ist die Ausübung dieser Rechte durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer „förderlich“. Die primären Mängelrechte waren somit „sonstige Rechte“ i.S.d. § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG aF (BGH NJW 2014, 1377 Rn. 32; 2010, 3089; 2007, 1952; OLG Düsseldorf NZM 2008, 844; Wenzel NJW 2007, 1905; aA Kümmel ZfIR 2014, 468). Durch die Entscheidung der Wohnungseigentümer zu einer gemeinschaftlichen Geltendmachung konnten sie der Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (des Verbandes) unterstellt (BGH NJW 2014, 1377 Rn. 32; 2010, 3089; 2007, 1952) werden. Für sie bestand nach alter Rechtslage eine „gekorene“ Ausübungsbefugnis (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 9a Rn. 123).
An dieser Rechtslage hat sich trotz Aufhebung des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG aF nichts geändert. Dies ergibt sich daraus, dass die hier skizzierte Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten von § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG aF entwickelt worden war und damit durch dessen Streichung nicht beeinflusst werden konnte (BT-Drs. 19/18791, 47; vgl. dazu auch Pause, Die Mängelklage der Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 9 a II WEG, NZBau 2021, 230 unter Hinweis auf die in der Gesetzesbegründung aufgenommene Stellungnahme des VII. Zivilsenats des BGH zum Gesetzgebungsverfahren vom 12.02.2020). Der Grund für die Möglichkeit einer gemeinsamen Verfolgung auch dieser Mängelrechte liegt vielmehr darin, dass die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gem. § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG grundsätzlich auch eine Verwaltungsangelegenheit ist, über welche die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können und deren Wahrnehmung dann durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erfolgt. Die Neuverortung dieser Verwaltungsaufgabe in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG anstelle von § 21 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 3 WEG aF hat inhaltlich keine Veränderung bewirkt. Die Wohnungseigentümer besitzen Beschlusskompetenz bezüglich der ordnungsmäßigen erstmaligen mangelfreien Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Im Bereich der primären Mängelrechte müssen die Wohnungseigentümer jedoch ihre Kompetenz nicht ausüben. Unterlassen sie eine Beschlussfassung hinsichtlich einer gemeinschaftlichen Ausübung, können diese Rechte weiterhin vom jeweiligen Wohnungseigentümer individuell ausgeübt werden. Erfolgt jedoch eine solche Beschlussfassung, wird die Verfolgung der Mängelrechte zu einer Verwaltungsangelegenheit, die dann wegen § 18 Abs. 1 WEG durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer umgesetzt wird. Damit besteht für die Wahrnehmung der primären Mängel weiterhin nach einer entsprechenden Beschlussfassung eine Zuständigkeit der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 9a Rn. 124).
Die rechtlichen Ausführungen der Klägerin zu den Auswirkungen der neuen Fassung des WEG verfangen nicht. Den Wohnungseigentümern steht nach § 9a Abs. 2 WEG keine gekorene Ausübungsbefugnis mehr zu, das heißt sie besitzen keine Entscheidungskompetenz mehr über die Vergemeinschaftung bestimmter, an sich den Wohnungseigentümern zustehender Rechte. Für das Bauträgerrecht gilt dies allerdings nicht. Denn die Möglichkeit einer Vergemeinschaftung beruht in diesem Bereich nicht auf § 10 Abs. 6 Satz 3 Fall 2 WEG aF, sondern auf anderer Rechtsgrundlage. Die Streichung der gekorenen Ausübungsbefugnis hat daher keine Auswirkungen auf eine Vergemeinschaftung von Rechten gegenüber dem Bauträger (BT-Drs. 19/18791, 47) (Hügel/Elzer, WEG § 9a Rn. 135a, beck-online; Pause, NZBau 2021, 230).
Es bedarf mithin eines Beschlusses der Wohnungseigentümer zum „Ansichziehen“.
Einen solchen hat die Gemeinschaft der Eigentümer gefasst, der auch nicht rückwirkend nichtig gemäß § 134 BGB ist (vgl. dazu Falkner in BeckOGK, 1.6.2022, WEG § 9a Rn. 155, 156; OLG München, Endurteil v. 22.03.2022 – 28 U 3194/21).
a) Aus dem Protokoll vom 13.03.2018 (Bd. I Bl. 63) ergibt sich, wie vom Landgericht zu Recht festgestellt, dass die Eigentümerversammlung nicht beschlussfähig war und aus diesem Grund keinen entsprechenden Beschluss gefasst haben kann.
b) Etwas anderes gilt für den im Nachgang gefassten Beschluss.
Dem im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Protokoll der ordentlichen Eigentümerversammlung der Klägerin vom 14.08.2019 ist das Zustandekommen des Beschlusses über das Ansichziehen der Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche auch im Wege der Vorschussklage zu entnehmen. Sofern es darin heißt:
„Die Eigentümergemeinschaft beschließt einstimmig, Herrn Rechtsanwalt JJ mit der gerichtlichen Geltendmachung und Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche zu beauftragen“, beinhaltet dies die Vergemeinschaftung, wobei dieser Inhalt über denjenigen des bislang vorgelegten und in Bezug genommenen Beschluss aus der Beschlusssammlung (Anlage P 2, Bd. I. Bl. 64) hinausgeht.
Demnach ist der Beschluss nicht wie ursprünglich behauptet im Umlageverfahren zustande gekommen, sondern durch den einstimmigen Beschluss der vollständig anwesenden Mitglieder der Eigentümergemeinschaft. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschluss nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, liegen nicht vor. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage ist es ausreichend, wenn der Beschluss zum Ansichziehen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorliegt.
Die vom Landgericht zur Begründung der Klagabweisung herangezogenen Bedenken gegen die Bestimmtheit des Beschlusses greifen gerade auch in Ansehung des zitierten Beschlusses vom 14.08.2019 im Ergebnis nicht durch.
Ob ein Beschluss auf „an sich ziehen“ lautet und damit bestimmt genug ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (Koeble in Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Teil 10 Formen des Bauens und Vertragsarten; Baumodelle und Bauträgervertrag Rn. 516, beck-online). Da der Beschluss nur mit seinem Beschlusswortlaut in die Beschlusssammlung eingetragen wird, kann die Auslegung auch nur daran anknüpfen (AG Dortmund, Urteil v. 26.08.2014 – 512 C 13/14, NZM 2015, 224, beck-online; (zur Auslegung von Beschlüssen Hügel/Elzer, 3. Auflage, Vor §§ 23 ff. WEG Rn. 78 ff.).
Hinreichend bestimmt ist ein Beschluss, durch den die Gemeinschaft Ansprüche der Wohnungseigentümer an sich zieht, wenn er erkennen lässt, welche – tatsächlichen oder vermeintlichen – Ansprüche der Wohnungseigentümer vergemeinschaftet werden sollen (BGH NJW 2014, 2861 = ZWE 2014, 398; OLG Düsseldorf, Urteil v. 02.07.2019 – 23 U 205/18). Daran bestanden im Hinblick auf den isoliert betrachteten Beschluss Anlage P 2 Zweifel. Aus dem Beschluss geht nicht ausdrücklich hervor, ob die Vorschussklage durch die WEG im Wege des Ansichziehens oder, was ebenfalls denkbar ist, durch einen Wohnungseigentümer erfolgen sollte. Diese Zweifel sind indes nunmehr durch den Beschluss zur Geltendmachung und Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche in der Versammlung vom 14.08.2019 ausgeräumt. Für die Annahme einer Nichtigkeit gibt es keinen Anlass.
Überdies gilt: ist ein Beschluss unvollständig, unklar, widersprüchlich oder unbestimmt, ist er nach herrschender Meinung anfechtbar oder nichtig. Ergibt die Auslegung einen durchführbaren Beschlussinhalt, beruht die Unbestimmtheit also nicht auf inhaltlicher Widersprüchlichkeit, ist der Beschluss nach hM anfechtbar (BGH NJW 1998, 3713 unter III. 4; OLG Hamburg ZMR 2008, 225 (226); OLG Düsseldorf ZMR 2008, 249 (250); LG Hamburg ZWE 2011, 284 (285); OLG Düsseldorf, Urt. v. 02.07.2019 – 23 U 205/18). Wenn ein Beschluss auf ein Ereignis oder einen Gegenstand Bezug nimmt, kann es genügen, dass wenigstens diese mit hinreichender Bestimmtheit feststellbar sind (BayObLG ZMR 2005, 639 (640); WuM 1993, 707); Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 144). Fehlt es einem Beschluss auch nach einer Auslegung indes an der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit oder ist er widersprüchlich („perplex“), ist er nichtig (OLG Hamburg ZMR 2008, 225 (226); OLG Düsseldorf NJW-RR 2008, 1467 (1470); BayObLG ZMR 2005, 639 (640); LG Hamburg ZWE 2011, 284 (285); Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 23 Rn. 145). Vorliegend enthält der Beschluss einen durchführbaren Inhalt. Die Unbestimmtheit erreicht die Schwelle der Nichtigkeit nicht. Er mag aufgrund der Bedenken gegen die Bestimmtheit zwar anfechtbar sein, er ist aber nicht angefochten worden. Auf der Grundlage der privatgutachterlichen Begleitung des Sachverständigen KK, die in dem Beschluss erwähnt ist, wird „das weitere Vorgehen der Eigentümergemeinschaft“ dahingehend beschlossen, dass eine Sonderumlage zur Finanzierung der Vorschussklage gebildet werden soll. Im Anschluss ist es zu der Erhebung der Vorschussklage im Namen der WEG gekommen. Auch Zweifel an einer fehlenden Bestimmtheit, wegen welcher Mängel welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, kommen nicht auf. Gemäß § 27 I Nr. 1 und 2 WEG obliegt die Verfolgung der von der Gemeinschaft an sich gezogenen Mängelansprüche dem Verwalter. Die Wohnungseigentümer haben gemäß § 21 WEG die Möglichkeit, dem Verwalter Vorgaben für die Ausübung seiner Verwaltungstätigkeit zu machen. Dass diese Vorgaben nur allgemein sind, berührt den Beschluss jedenfalls insoweit nicht, als die Gemeinschaft die Mängelansprüche an sich gezogen hat. (ZWE 2020, 71 Rn. 25, beck-online; OLG München, Endurteil v. 22.03.2022 – 28 U 3194/21).
3. Ein Urteil, in dem die Mängel des Gemeinschaftseigentums betreffende Klage einer Wohnungseigentümergemeinschaft wegen Unwirksamkeit des Ansichziehensbeschlusses nicht mangels Prozessführungsbefugnis, sondern mangels „Aktivlegitimation“ als unbegründet abgewiesen wird, entscheidet der Sache nach nur über die Zulässigkeit der Klage im Sinne des § 538 II Nr. 3 ZPO (OLG Frankfurt, Urt. v. 10.12.2018 – 29 U 123/17; Anmerkung Vogel, NJW 2019, 1304, beck-online; Hübsch in BeckOGK, Stand 01.12.2018, § 51 ZPO Rn 35 m.w.N).
4. Auf den von der Klägerin angekündigten, indes mangels Zustellung eines den Anforderungen des § 253 ZPO entsprechenden Schriftsatzes bzw. der übereinstimmenden Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung noch nicht vollzogenen Parteiwechsel kommt es nicht an (zu dem Verfahrensablauf beim Parteiwechsel auf Klägerseite in der Berufungsinstanz vgl. BGHZ 16, 317, 321; Förste in Musielak/Voit, 19. Auflage § 263 ZPO, Rn 20; Heßler in Zöller, 34. Auflage § 520 ZPO Rn 33).
5. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass aufgrund des Vortrags der Klägerin, eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums sei bislang nicht erfolgt, die Anspruchsvoraussetzungen des begehrten Vorschussanspruchs nicht vorliegen. Voraussetzung für den Übergang vom Herstellungsanspruch zu Gewährleistungsansprüchen ist die Abnahme der Werkleistung nach § 640 BGB, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine Gewährleistungsansprüche vor der Abnahme geltend gemacht werden können (vgl. nur BGH, Urteil v. 19.01.2017 – VII ZR 301/13, NJW 2017, 1604). Die Beklagte hat sich diesen Vortrag auch insoweit hilfsweise zu eigen gemacht. Sofern sich die Klägerin für diese Annahme jedoch darauf stützt, das von der Beklagten vorgelegte Abnahmeprotokoll sei nicht unterzeichnet, verfängt dies allein nicht. Das Abnahmeprotokoll bedarf nicht zwingend der Unterschriften (vgl. BGH NZBau 2020, 417).
Ob und wann das Gemeinschaftseigentum abgenommen wurde, ist aufzuklären. Sollte dies wie von der Beklagten behauptet für die Eigentümer HH, LL und (damals) MM /LL (Rechtsnachfolgerin der Wohnung Nr. 4 wurde NN) am 21.06.2013 und im Anschluss für Herrn OO geschehen sein, kommt eine Verjährung der Ansprüche der Eigentümer am Gemeinschaftseigentum in Betracht. Es obläge dann der Klägerin, etwaige Hemmungs- oder Unterbrechungstatbestände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.
Bislang dürften dem Vortrag der Klägerin lediglich für die Verjährung relevante Mangelbeseitigungsmaßnahmen in Bezug auf Ansprüche, die die Eigentümerin HH in unverjährter Zeit geltend gemacht hatte, zu entnehmen sein. Dabei dürfte es darauf ankommen, ob es sich um Mängel am Gemeinschaftseigentum oder am Sondereigentum handelte und ob, wie von der Beklagten behauptet, die gerügten Mängel beseitigt wurden.
Die Beklagte hat in der Vergangenheit unstreitig Mangelbeseitigungsarbeiten durchgeführt. Diese führen gemäß § 212 BGB zu einem Neubeginn der Verjährung (vgl. Ellenberger in Grüneberg, 81. Auflage § 212 Rn 5 m.w.N.), soweit die Verjährungsfrist zu diesem Zeitpunkt noch nicht verstrichen war, und lediglich bezogen auf den jeweiligen Mangel. Die Unterbrechungswirkung bezieht sich immer nur auf die Gewährleistungsansprüche wegen des geltend gemachten bestimmten Mangels, nicht auch auf Gewährleistungsansprüche wegen anderer Mängel (BGH, Urteil vom 18. März 1976 – VII ZR 35/75; Urteil v. 12.07.2007 – VII ZR 236/05).
Überdies wäre eine laufende Verjährung durch die Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Zwar gilt diese Vorschrift nur für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchsberechtigten (vgl. BGH, Urteil v. 24.07.2015 – V ZR 145/14). Als Berechtigter im Sinne des § 204 gilt indes auch der gewillkürte Prozessstandschafter (vgl. BGH NJW 2010, 2270; Ellenberger in Grüneberg, 81. Auflage § 204 Rn 9).
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Trotz des im Grunde fehlenden vollstreckungsfähigen Inhalts könnte aus dem Urteil die Vollstreckung insoweit betrieben werden, als erst die Vorlage eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils das Vollstreckungsorgan nach §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nötigt, eine eingeleitete Vollstreckung aus dem aufgehobenen Urteil einzustellen und getroffene Maßnahmen aufzuheben (vgl. OLG München, NZM 2002, 1032; Heßler in Zöller, ZPO 34. Aufl. § 538 Rn. 59).