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Nachbarklage gegen den Anbau einer Doppelhaushälfte

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – Az.: OVG 2 S 48.17 – Beschluss vom 09.01.2018

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. November 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 6.250 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, die den Umfang der Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Im Streit stehen die der Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 63 BauO Bln) erteilte Baugenehmigung, mit der ein grenzständiger Anbau an das bestehende grenzständige Wohnhaus der Antragsteller genehmigt wurde, und die daneben verfügte Zulassung einer Abweichung vom abstandsflächenrechtlichen Überdeckungsverbot (§ 67 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 BauO Bln) zwischen dem Neubau und dem auf dem Grundstück der Beigeladenen bereits vorhandenen Einfamilienhaus.

Die Antragsteller begehren primär die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen beide Bescheide sowie die Anordnung der Einstellung der Baumaßnahmen (§ 80a, § 80 Abs. 5 VwGO). Für den Fall, dass ihr Rechtsschutzbegehren hierdurch nach Auffassung des Gerichts angesichts des eingeschränkten Prüfungsumfangs im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht vollständig abgedeckt sein sollte, haben sie daneben hilfsweise den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) mit dem Ziel der Baueinstellung beantragt. Ob es dieses Hilfsantrags bedurfte, kann offen bleiben, da das Rechtsschutzbegehren jedenfalls in der Sache ohne Erfolg bleibt. Die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist angesichts der gesetzlichen Wertung des § 212a Abs. 1 BauGB nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung eine Verletzung eigener Rechte der Antragsteller zu Recht verneint, so dass ein Erfolg ihrer Widersprüche nicht überwiegend wahrscheinlich ist und damit dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen der Vorrang gebührt.

1. Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, die Baugenehmigung verstoße ihnen gegenüber gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, da der geplante Neubau zusammen mit ihrem grenzständigen Wohnhaus kein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO bilde (a) und die auf dem Grundstück der Beigeladenen angesichts des dort bereits bestehenden Einfamilienhauses entstehende bauliche Verdichtung sie unzumutbar beeinträchtige (b).

a) Das Rücksichtnahmegebot ist nicht im Hinblick auf das Gebot des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach der Bauweise (§ 34 Abs. 1 BauGB) sowie die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Anforderungen an ein Doppelhaus verletzt.

Das Verwaltungsgericht hat übereinstimmend mit der Beurteilung im vorangegangenen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 29. April 2015 – VG 19 L 115.15 –; Beschluss des Senats vom 31. Juli 2015 – OVG 2 S 29.15 –, juris) angenommen, dass die nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgebliche Umgebung in offener Bauweise bebaut ist. Der geplante – inzwischen weitgehend fertig gestellte – Grenzanbau sei daher nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der Bauweise nur dann planungsrechtlich zulässig, wenn das Gebäude zusammen mit dem Wohnhaus der Antragsteller ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO bilde. Diesen rechtlichen Ansatz beanstandet die Beschwerde nicht. Sie wendet sich vielmehr gegen die Bejahung der Anforderungen an ein Doppelhaus. Die insoweit erhobenen Einwendungen greifen jedoch nicht durch.

Ein Doppelhaus im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO und § 34 Abs. 1 BauGB ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken an der gemeinsamen seitlichen Grundstücksgrenze durch Aneinanderbauen zu einer Einheit zusammengefügt werden. Hierfür müssen die beiden Gebäudehälften einander nicht spiegelbildlich entsprechen; sie können auch versetzt aneinander gebaut werden. Sie dürfen jedoch nicht als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Erforderlich ist ferner, dass die Haushälften in verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze bindet die benachbarten Grundstückseigentümer in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Das hierdurch begründete nachbarliche Austauschverhältnis darf nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden (vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 –, juris Rn. 18 ff.). Die planungsrechtlichen Anforderungen an ein Doppelhaus zielen auf eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint. Bei der Überprüfung der genannten Anforderungen dürfen quantitative und qualitative Kriterien nicht isoliert betrachtet werden. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung des Einzelfalls (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 –, juris Rn. 19 ff.). Geklärt ist in der Rechtsprechung auch, das ein grenzständiges Vorhaben, das sich nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB in die durch die Umgebungsbebauung vorgegebene offene Bauweise einfügt, weil es zusammen mit einem anderen grenzständigen Gebäude kein Doppelhaus bildet, gegenüber dem Eigentümer des anderen Gebäudes grundsätzlich gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5.12 –, juris Rn. 20 ff.; Urteil vom 19. März 2015, a.a.O., Rn. 11).

Hieran gemessen macht die Beschwerde ohne Erfolg geltend, das Vorhaben widerspreche den Anforderungen an ein Doppelhaus, da der geplante Neubau ein größeres Bauvolumen aufweise als die vorhandene Doppelhaushälfte auf dem Grundstück der Antragsteller und das gebotene Mindestmaß an wechselseitiger Abstimmung mit der Gestaltung der gartenseitigen Fassade des Neubaus ignoriert werde. Diesem Einwand vermag der Senat nicht zu folgen. Bei einer Gesamtwürdigung der Übereinstimmung beider Gebäudehälften sowie ihrer wechselseitigen Verträglichkeit begründen die genannten Gesichtspunkte keinen Verstoß gegen die Anforderungen aus dem Doppelhausbegriff. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend hervorhebt, unterscheidet sich das zu beurteilende Vorhaben in wesentlichen Punkten von dem ursprünglichen Vorhaben der Beigeladenen, das Gegenstand des vorangegangenen Rechtsschutzverfahrens war. Die Beigeladene hat den geplanten Neubau inzwischen deutlicher an das vorhandene grenzständige Gebäude der Antragsteller angepasst. Der Neubau entspricht nunmehr in Bezug auf die First- und Traufhöhe sowie die Dachform dem Bestandsgebäude. Ferner greift er mit der Form der Dachgauben dessen Gestaltungselemente auf. Das Verwaltungsgericht weist auf weitere Übereinstimmungen, etwa hinsichtlich der Treppenhausvorbauten und der Hauseingangstüren hin. Insgesamt ist das Ausmaß der Übereinstimmung beider Gebäude so groß, dass dem Erfordernis einer baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers genügt ist. Die verbleibenden Abweichungen erscheinen nur als geringfügig, so dass nicht (mehr) die Rede davon sein kann, die beiden Gebäude träten als zwei selbständige Baukörper in Erscheinung. Insbesondere auch die von den Antragstellern mit der Beschwerde gerügten Unterschiede im Gebäudevolumen sowie in der Gestaltung der gartenseitigen Fassade des Neubaus stellen den Eindruck eines einheitlichen und hinsichtlich der beiden Gebäudehälften ausgewogenen Gesamtgebäudes nicht in Frage.

Die Gestaltung der gartenseitigen Fassade, die nach den Darlegungen der Beschwerde von der Gartenseite des Wohnhauses der Antragsteller abweicht und von diesen angesichts eines fensterlosen Bereichs im Mittelteil als architektonischer Missgriff und Verunstaltung empfunden wird, ergibt bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine das einheitliche Erscheinungsbild des Gesamtbaukörpers durchgreifend beeinträchtigende Abweichung, zumal zu berücksichtigen ist, dass der bauplanungsrechtliche Doppelhausbegriff, wie dargelegt, auf andere Ziele ausgerichtet ist als eine bauordnungsrechtliche Gestaltungspflege. Eine erhebliche Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen ist damit ebenfalls nicht verbunden.

Dasselbe gilt für das von der Beschwerde beanstandete höhere Bauvolumen des Neubaus der Beigeladen, das sich daraus ergibt, dass dieser etwa 70 cm breiter ist als das Wohnhaus der Antragssteller und dass dessen seitlicher Anbau in der Höhe und Tiefe hinter dem übrigen Gebäude zurückbleibt, während der Neubau der Beigeladenen diese Maße über seine gesamte Breite voll ausschöpft. Zwar ist davon auszugehen, dass die Kubatur des Neubaus sich voraussichtlich nachteilig auf die Belichtung des Grundstücks der Antragsteller auswirken wird. Da er mit den Außenwänden und dem Dach bündig an das mit der grenzständigen Brandwand nach Süden ausgerichtete Wohnhaus der Antragsteller anschließt, ergibt sich daraus jedoch voraussichtlich keine unzumutbare Beeinträchtigung. Mit einem erheblich ins Gewicht fallenden direkten Schattenwurf auf das Gebäude der Antragsteller dürfte nicht zu rechnen sein. Vielmehr betrifft die (in der ersten Tageshälfte) zu erwartende Verschattung im Wesentlichen allein den Garten des Grundstücks der Antragsteller und wirkt sich damit voraussichtlich lediglich auf die indirekte Beleuchtung ihres Wohnhauses von der Gartenseite her aus. Dass diese Beeinträchtigungen so schwerwiegend sind, dass sie das durch den wechselseitigen Grenzanbau bedingte nachbarliche Austauschverhältnis aus dem Gleichgewicht bringen oder sonst unangemessen belasten, lässt sich indes nicht erkennen.

b) Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, das Gebot der Rücksichtnahme sei auch deshalb verletzt, weil sich der genehmigte Neubau zusammen mit dem auf dem Grundstück der Beigeladenen bereits vorhandenen Wohnhaus nicht mehr in die Umgebung prägende offene Bauweise einfüge, und das auf dem Grundstück der Beigeladenen entstehende „Gebäudekonglomerat“ mit einer Grundfläche von über 220 m² ihr Grundstück unzumutbar abriegele und verschatte.

Die Antragsteller beziehen sich damit auf das auf dem Grundstück der Beigeladenen, einem Eckgrundstück, bereits bestehende Einfamilienhaus (P.straße 7….). Es handelt sich um ein aus einem Geschoss und einem Dachgeschoss (mit Satteldach) bestehenden Gebäude, das zur Grundstücksgrenze der Antragsteller giebelständig ausgerichtet ist. Der Grenzabstand beträgt ausweislich des Lageplans zur streitgegenständlichen Baugenehmigung drei Meter. Gegenüber der Rückwand des genehmigten Neubaus wahrt das Gebäude danach einen Abstand von 3,5 m bzw. 4,5 m. Die Firsthöhe beträgt 65,1 m über NHN, wobei das Geländeniveau im Bereich der Grundstücksgrenze mit 56,54 m über NHN verzeichnet ist. Anders als nach dem ursprünglichen Vorhaben der Beigeladenen ist eine bauliche Verbindung zwischen dem Neubau und dem bestehenden Einfamilienhaus auf ihrem Grundstück nicht mehr vorgesehen. Entgegen der Regelung des § 6 Abs. 3 BauO Bln überdecken sich die Abstandsflächen beider Gebäude. Dies stand der Erteilung der Baugenehmigung indes nicht entgegen, da der Antragsgegner auf den Antrag der Beigeladenen gemäß § 67 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 11 BauO Bln durch gesonderten Bescheid eine Abweichung von dem Überdeckungsverbot des § 6 Abs. 3 BauO Bln zugelassen hat.

vgl. zum vorangegangenen Rechtsschutzverfahren Beschluss des Senats vom 31. Juli 2015 OVG 2 S 29.15, juris

Wie die Antragsteller mit der Beschwerde zu Recht einfordern, darf das Bestandsgebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen bei der Beurteilung, ob ihr Vorhaben sich nach der Bauweise einfügt und, falls nicht, ob es das Rücksichtnahmegebot zu ihren Lasten verletzt, nicht außer Acht bleiben. Allerdings handelt es sich bei dem mit der geplanten Doppelhaushälfte baulich nicht verbundenen Bestandsgebäude nicht um einen Bestandteil des Doppelhauses. Das Bestandsgebäude kann deshalb bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen eines Doppelhauses gewahrt sind, nicht einbezogen werden, wie dies der Fall wäre, wenn es sich um einen Anbau an die Doppelhaushälfte handelte. Gegenstand der Beurteilung, ob die Anforderungen an ein Doppelhaus gewahrt sind, sind allein die an der gemeinsamen Grenze aneinander gebauten Gebäude. Hinsichtlich des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen bedarf es deshalb einer eigenständigen Bewertung am Maßstab des Rücksichtnahmegebots. Zu beurteilen ist, welche Auswirkungen sich aus dem Bestandsgebäude und der geplanten Doppelhaushälfte insgesamt auf das – im Hinblick auf das Doppelhaus durch eine gesteigerte Rücksichtnahmepflicht geprägte – nachbarliche Verhältnis ergeben.

Hiervon ausgehend vermag der Senat eine das Rücksichtnahmegebot gegenüber den Antragstellern verletzende Beeinträchtigung nicht festzustellen, selbst wenn mit der Beschwerde zugrunde zu legen sein sollte, dass durch den Neubau auf dem Grundstück der Beigeladenen ein Gebäudeensemble mit einer baulichen Dichte entsteht, die den durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen Rahmen überschreitet. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Abstand zwischen den Gebäuden auf dem Grundstück der Beigeladenen zwar kleiner ist, als die bauordnungsrechtlich regelmäßig geforderte doppelte Abstandsflächentiefe. Er ist aber andererseits nicht so eng, dass damit das städtebauliche Grundprinzip der offenen Bauweise als durch seitliche Gebäudeabstände aufgelockerte Abfolge der Bebauung bei wertender Betrachtung gänzlich aufgegeben wird. Die Bewertung, das Maß der Verdichtung sei so groß, dass die enge Abfolge der Gebäude gleichsam einen qualitativen Umschlag von der offenen zur geschlossenen Bauweise bewirke, erscheint nicht gerechtfertigt. Zudem sprechen die Höhe des vorhandenen Einfamilienhauses der Beigeladenen, dessen Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze und dessen Stellung im Vergleich zum Wohngebäude der Antragsteller gegen eine unzumutbare Beeinträchtigung durch das neu entstehende Gebäudeensemble. Das Bestandsgebäude wahrt, wie das Verwaltungsgericht bereits in seinem Beschluss vom 29. April 2015 – VG 19 L 115.15 – ausgeführt hatte, den bauordnungsrechtlich im Hinblick auf die Zugehörigkeit zur Gebäudeklasse 1 gebotenen Grenzabstand von 3 m (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauO Bln). Dies spricht, da die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften in der Regel indiziert, dass das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange nicht verletzt ist (vgl. etwa Beschluss des Senats vom 19. Mai 2014 – OVG 2 S 8.14 –, juris Rn. 4), gegen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man diesen indiziellen Rückschluss nur bei Einhaltung der regulär geforderten Abstandsflächentiefe von 0,4 H (§ 6 Abs. 5 Satz 1 BauO Bln) für statthaft hält. Bei Anlegung dieses Maßstabs dürfte zwar die auf dem Baugrundstück einzuhaltende Abstandsflächentiefe geringfügig unterschritten sein. Dies beschränkt sich indes auf einen schmalen Abschnitt vor der Giebelspitze des Gebäudes. Bei einer Gesamtbetrachtung lässt sich daraus nicht auf eine Rücksichtslosigkeit schließen, denn über die gesamte Breite des Gebäudes gesehen sind die Auswirkungen auf die Belichtung des Nachbargrundstücks wegen der giebelständigen Ausrichtung des Bestandsgebäudes zur Grundstücksgrenze deutlich niedriger. Hinzu kommt der erhebliche Abstand zum Wohnhaus der Antragsteller, gegenüber dessen gartenseitiger Außenwand das bestehende Einfamilienhaus auf dem Grundstück der Beigeladenen um 3,5 m nach Westen versetzt ist. Insgesamt lassen sich die nachteiligen Auswirkungen der Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen unter dem Gesichtspunkt der Belichtung und Abriegelung deshalb nicht als so schwerwiegend ansehen, dass damit die Schwelle der Unzumutbarkeit überschritten wäre.

c) Die weiteren Einwendungen gegen die Verneinung einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots greifen ebenfalls nicht durch.

Soweit die Antragsteller geltend machen, das streitgegenständliche Bauvorhaben begründe angesichts der hierdurch bedingten Situationsverschlechterung auf dem Grundstück der Beigeladenen in Bezug auf die Belichtung und Belüftung sowie die Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse bodenrechtliche Spannungen und rufe deshalb sowie wegen der negativen Vorbildwirkung der rechtswidrig gewährten Abweichung ein Planungsbedürfnis hervor, leiten die Antragsteller daraus nur ab, dass das Gebot des Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB verletzt sei. Dass sie allein deshalb – unabhängig von dem Ausmaß ihrer eigenen Beeinträchtigung – in eigenen Rechten verletzt wären, machen sie nicht geltend. Dagegen spricht auch, dass dem Gebot des Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann eine drittschützende Wirkung zukommt, wenn zugleich das darin enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist. Nicht jedes Vorhaben, das bodenrechtlich beachtliche Spannungen begründet oder erhöht und deshalb geeignet ist, ein Planungsbedürfnis zu begründen, ist aber gleichzeitig rücksichtslos (vgl. Urteil des Senats vom 4. April 2017 – OVG 2 B 4.16 –, juris Rn. 45; BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 – 4 C 7.10 –, juris Rn. 23).

Die von den Antragstellern angeregte Kontrollüberlegung, wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn auf dem Grundstück der Beigeladenen die Doppelhaushälfte bereits bestünde und es um die Errichtung des freistehenden Einfamilienhauses ginge, führt nicht zu einem anderen Ergebnis, denn die Frage der Rücksichtslosigkeit wäre in dieser Konstellation nicht anders zu beantworten. Die gegenteilige Annahme der Beschwerde dürfte auf der fehlerhaften Prämisse beruhen, das Rücksichtnahmegebot verpflichte den Bauherrn, die mit nachbarlichen Belangen verträglichste Variante zu wählen, wenn das Vorhaben, etwa hinsichtlich der Lage eines Baukörpers, unterschiedlich ausgeführt werden kann. Das ist indes nicht der Fall (vgl. Beschlüsse des Senats vom 20. Mai 2015 – 2 N 9.14 –, BA S. 3, und vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 –, juris Rn. 17; zu § 15 Abs. 1 BauNVO Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, Rn. 51).

Ebenso wenig greift die weitere von der Beschwerde angestrengte Überlegung durch, wenn man die Auffassung billigte, dass eine grundstücksinterne Abstandsflächenverkürzung keine Indizwirkung hinsichtlich der Verletzung des Rücksichtnahmegebots entfalte, könnte die Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen durch weitere Gebäude in ähnlich engem Abstand fortgesetzt werden, womit sich „der Gefängnishof rundum komplettieren“ lasse. Diese Erwägung geht insofern ins Leere, als es, wie bereits ausgeführt, außer Frage steht, dass zur Beurteilung am Maßstab des Rücksichtnahmegebots nicht nur die neu geplante Doppelhaushälfte, sondern auch das vorhandene Bestandsgebäude der Beigeladenen in den Blick zu nehmen ist. Die Annahme einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots hängt dann davon ab, inwieweit sich die grundstücksinterne Abweichung vom Abstandsflächenrecht auf die schutzwürdigen Belange der Nachbarn auswirkt. Im Ergebnis führt die Einbeziehung des vorhandenen Bestandsgebäudes in die Beurteilung aus den bereits ausgeführten Gründen nicht zur Annahme einer Rücksichtslosigkeit. Ob dies auch bei Hinzutreten eines weiteren Gebäudes gelten würde, ist damit nicht präjudiziert. Diese Frage kann offen bleiben, da sie sich hier nicht stellt.

2. Ohne Erfolg stützten die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter darauf, dass die der Beigeladenen erteilte Abweichung die Vorschriften des Abstandsflächenrechts verletze und dabei geschützte Interessen der Antragsteller außer Acht lasse.

Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend darauf abgestellt, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 3 BauO Bln, von der eine Abweichung zugelassen wurde, in der hier gegebenen konkreten Fallgestaltung nicht nachbarschützend sei, da es lediglich um eine grundstücksinterne Abstandsflächenüberdeckung gehe. Es hat daraus gleichwohl nicht den Schluss gezogen, die nachbarlichen Belange der Antragsteller seien für die Abweichungsentscheidung unerheblich gewesen, sondern hat zutreffend zugrunde gelegt, dass bei der Abweichungsentscheidung das Gebot der Rücksichtnahme auf die nachbarlichen Interessen der Antragsteller zu beachten war. Wie sich aus den obigen Ausführungen zum Rücksichtnahmegebot ergibt, bot dies indes entgegen den Angriffen der Beschwerde keinen Grund, die Abweichungsentscheidung zu beanstanden.

Soweit das Verwaltungsgericht im Hinblick auf den in den Bauvorlagen vorgesehenen Rückbau des Schleppdaches an dem Einfamilienhaus der Beigeladenen die Vermutung geäußert hat, hierdurch dürfte sich die Belichtungssituation im Erdgeschoss auf dem Grundstück der Antragsteller sogar verbessern, kommt es darauf im Ergebnis nicht an.

3. Auch sonst greift die Beschwerde gegenüber der Annahme des Verwaltungsgerichts, drittschützende abstandsflächenrechtliche Vorschriften würden nicht verletzt, nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf die Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln abgestellt. Sie greife hier ein, da ein grenzständiger Anbau in der offenen Bauweise bei Wahrung des Doppelhauscharakters nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig sei und das Vorhaben der Beigeladenen diesen Anforderungen genüge. Hiergegen greift die Beschwerde, wie bereits im Zusammenhang mit dem Rücksichtnahmegebot ausgeführt wurde, nicht durch.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat folgt insoweit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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