Barrierenfreiheit in der Debatte: Konflikt um Umbauarbeiten am A-Platz in G
Im Zentrum dieses Rechtsfalls steht ein VOB-Vertrag (Verdingungsordnung für Bauleistungen) zwischen zwei Parteien: der Beklagten, die den Auftrag erteilte, und der Klägerin, die den Auftrag ausführen sollte. Kern des Streits ist der barrierefreie Umbau des A-Platzes in G, welcher insbesondere die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Menschen berücksichtigen sollte. Die Arbeiten begannen jedoch nicht wie geplant und endeten mit einer Kündigung des Vertrages durch die Beklagte und daraus resultierenden Forderungen seitens der Klägerin.
Die Klägerin hatte auf Grundlage des VOB-Vertrages und zusätzlicher Vertragsbedingungen von beiden Seiten den Auftrag angenommen, ihre Pflichten jedoch trotz Fristsetzung nicht erfüllt. Die komplexe Situation war durch eine Reihe von Unstimmigkeiten und Missverständnissen in Bezug auf die notwendigen Unterlagen und Ausführungspläne gekennzeichnet, welche im Laufe des Verfahrens detailliert erörtert wurden.
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Übersicht
Anfängliche Unklarheiten und Verwirrung
Nach dem Erhalt des Auftrages begann die Klägerin die Arbeit, stieß jedoch auf Schwierigkeiten. Es gab Missverständnisse in Bezug auf die Bauvorhabenpläne, die von der Beklagten übermittelt wurden. Diese Pläne waren nicht ausdrücklich genehmigt oder zur Ausführung freigegeben. Die Klägerin äußerte Bedenken und stellte eine Liste von Punkten zusammen, die für eine fundierte Diskussion notwendig waren.
Kommunikative Hürden und daraus resultierende Probleme
In einem Versuch, die aufgetretenen Probleme zu klären, wurde ein formeller Austausch per E-Mail zwischen beiden Parteien initiiert. Die Klägerin meldete eine Behinderung an und forderte eine Reihe von Unterlagen für die Ausführung der Arbeiten. Die Beklagte reagierte darauf und nahm zu den von der Klägerin gerügten Punkten Stellung.
Das Ende des Weges und die daraus resultierenden Konsequenzen
Schließlich führten die Schwierigkeiten und Unklarheiten dazu, dass die Arbeiten nicht wie geplant ausgeführt wurden und der Vertrag von der Beklagten gekündigt wurde. Die Folge war ein Gerichtsverfahren, in dem die Klägerin ihre Ansprüche geltend machte, jedoch abgewiesen wurde. Die Gerichtskosten wurden der Klägerin auferlegt. Eine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wurde gegen eine Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages angeordnet.
Das vorliegende Urteil
LG Bonn – Az.: 1 O 86/19 – Urteil vom 09.06.2021
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit dem ergänzenden barrierefreien Umbau des A-Platz in G. Dieser sollte noch hinsichtlich der Anforderungen für blinde und sehbehinderte Menschen erfolgen. Streitgegenständlich sind Ansprüche der Klägerin nach Kündigung des Vertrages durch die Beklagte.
Die Beauftragung erfolgte nach Ausschreibung am ##.##.2018 (Anlage K1). Die Klägerin hatte am ##.##.2018 ein Angebot abgegeben (Anlage K2). Grundlage des Vertrages war die Geltung der VOB sowie der zusätzlichen Vertragsbedingungen der Beklagten (Anlage K3) sowie der besonderen Vertragsbedingungen für die Ausführungen von Bauleistungen (Anlage K4). Zudem wurde ein Leistungsverzeichnis zu Grunde gelegt (Anlage K5). Dort heißt es unter anderem:
„Vermessungsarbeiten des AN sind in die Einheitspreise einzurechnen. […] Der AG behält sich Kontrollmessungen vor, ohne dass durch die alleinige Verantwortung des AB eingeschränkt ist.“
Zif. 6.2 der ZVB lautet:
„Der Ausführung dürfen nur Unterlagen zugrunde gelegt werden, die von der Auftraggeberin als zur Ausführung bestimmt gekennzeichnet sind.“
Bei Angebotsabgabe lagen der Klägerin auch Pläne vor.
Die Auftragssumme betrug 92.381,35 EUR.
Die Arbeiten sollten vom ##.##. bis ##.##.2018 ausgeführt werden.
Am ##.##.2018 erhielt die Klägerin von der Beklagten Pläne für das Bauvorhaben. Diese erhielten keinen ausdrücklichen Genehmigungsvermerk (wie etwa „zur Ausführung freigegeben“). Am ##.##.2018 kam es zu einem Treffen der Parteien, an dem für die Klägerin die Zeugen B und C sowie für die Beklagte die Zeugen E und H teilnahmen.
Mit Mail vom ##.##.2018 übersandte der Zeuge E der Klägerin die Ausführungspläne als Anhang (Anlage K8). Unter dem ##.##.2018 wandte sich der Zeuge C per Mail an den Zeugen E und listete 13 Punkte auf, die benötigt würden, um „das Gespräch fundiert führen zu können“.
Unter dem ##.##.2018 zeigte die Klägerin eine Behinderung an (Anlage K10). Dort heißt es, dass zur Ausführung noch 11 verschiedene Unterlagen benötigt würden. Hierauf reagierte die Beklagte mit Schreiben vom ##.##.2018 (Anlage K12) und nahm zu den gerügten Punkten Stellung. Sie wies die Behinderungsanzeige zurück und forderte die Klägerin gem. § 5 Nr. 4 VOB/B auf, unverzüglich mit den Leistungen zu beginnen und diese angemessen zu fördern. Andernfalls werde sie eine Vertragsstrafe und etwaige Schadensersatzansprüche geltend machen.
Am 12.06.2018 fand ein weiterer Ortstermin der Parteien statt, an dem für die Beklagte die Zeugen E, I und J und für die Klägerin die o.g. Zeugen sowie die Zeugin D teilnahmen. Die Situation vor Ort wurde erörtert und schließlich wurden Bereiche mit Sprühfarbe markiert (Lichtbilddokumentation Anlage K13). Hierzu verfasste der Zeuge B einen Aktenvermerk vom 14.06.2018 (Anlage K14).
Unter dem 15.06.2018 erklärte die Klägerin die Kündigung des Vertrages gemäß VOB/B § 8 Nr. 3 unter Bezugnahme auf die nicht mögliche fristgerechte Fertigstellung der Arbeiten, die schon am nächsten Tag hätte erfolgen müssen (Anlage K16).
Unter dem 20.06.2018 erstellte die Klägerin eine Schlussrechnung (Anlagen K17, K21).
Die Arbeiten wurden sodann von einem im Bieterverfahren unterlegenen Unternehmen K vom ##.##. bis ##.##.2018 durchgeführt und im September 2018 von der Beklagten abgenommen.
Mit dem Klageantrag zu 1) begehrt die Klägerin die kündigungsbedingte Vergütung in Höhe von 19.929,91 EUR nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B i.V.m. § 642 BGB (Rechnung Anlage K17). Hiervon lässt sie sich ersparte Aufwendungen abziehen.
Mit dem Klageantrag zu 2) begehrt die Klägerin Stillstandskosten vom ##.##. bis ##.##.2018 (Schlussrechnung Anlage K21).
Der Antrag zu 3) betrifft vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
Die Klägerin behauptet, im Termin vom ##.##.2018 hätten ihre Mitarbeiter bemängelt, dass die Pläne keine Koordinaten enthielten sowie keinen Genehmigungsvermerk. Der Zeuge E habe für die Beklagte erklärt, selbst nicht genau zu wissen, wie die Arbeiten auszuführen seien. Sie habe daher am ##.##.2018 daher eine Behinderungsanzeige verfasst und der Beklagten zukommen lassen.
Die unter dem ##.##.2018 übersandten Pläne wiesen diverse Mängel auf, so dass ein Baubeginn nicht möglich sei. Insbesondere sei das Problem, dass ihr keine exakten Geodaten mitgeteilt worden seien, so dass nicht klar gewesen sei, wo sie die beauftragten Arbeiten genau zu erbringen habe. Aus diesem Grunde habe man auch die konkrete Verkehrsplanung erst nach Erhalt dieser Informationen vornehmen können, da erst nach dem Ortstermin vom ##.##.2018 etwa klar gewesen sei, dass eine Rinnenerneuerung eine Vollsperrung nötig mache. Auch habe es an einem Entsorgungskonzept und einer Bodenanalytik gefehlt. Sie habe daher schon ordnungsrechtlich ohne ein solches Konzept gar nicht tätig werden dürfen. Weiterhin bestünden Unklarheiten bezüglich der Positionierung der zu entfernenden Fundamente, der zu versetzenden Ampel, einer Baumscheibe und den dort liegenden Kabelschächten. Auch seien die Daten im DBG/DFX-Format vorzulegen gewesen (Details s. Bl. 8 ff.).
Eine förmliche Planfreigabe gem. Zif. 6.2 ZVB sei gerade nicht erfolgt, eine Überlassung von Plänen allein genüge dazu nicht. Höhenfestpunkte zur Durchführung der Vermessung seien ihr bis zum 15.06.2018 nicht mitgeteilt worden.
Bei der Ausschreibung seien diese Mängel nicht erkennbar gewesen, da sie darauf beruhten, dass keine exakten Koordinaten zur Verfügung gestellt worden seien. Sie habe aber bei der Angebotserstellung davon ausgehen dürfen, dass diese vor Baubeginn von der Beklagten mitgeteilt würden.
Ihr stünde die mit dem Klageantrag zu 1) berechnete Vergütung zu.
Sie habe vom ##.##. bis ##.##.2018 einen Bagger 5,5 t mit Tiltrotator, einen Radlader 5,5 t sowie einen LKW 7,5 t vorgehalten, die nicht genutzt werden konnten. Der Stillstand betreffe 161,5 h à 80,00 EUR pro Fahrzeug. Da nicht klar gewesen sei, wann man habe beginnen können, habe sämtliches Gerät stets vorgehalten werden müssen. Auch das Personal habe nicht anderweitig eingesetzt werden können.
Die K habe die Arbeiten nur fristgerecht durchführen können, weil ihr andere Pläne zur Verfügung gestellt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 19.929,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 46.124,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 zu zahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Kosten in Höhe von 2.019,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin sei nie leistungsbereit gewesen und schiebe die mit der Klage vorgetragenen Gründe für eine Nichtaufnahme der Arbeiten nur vor.
Die von ihr überlassenen Pläne seien nicht zu beanstanden. Dadurch, dass sie sie selbst überlassen habe, zeige sich schon ihre Billigung. Die Klägerin habe aber insbesondere die Pläne aus der Ausschreibung gekannt und aufgrund dieser ihr Angebot kalkuliert, zudem habe sie nach Übergabe der Pläne am ##.##.2018 diese nicht beanstandet. Zudem handele es sich um eine Bestandsanpassung der Haltestellen, nicht um eine Neuplanung, so dass die Pläne nicht so detailliert sein müssten wie für neu zu errichtende Bauwerke. Auch sei es nach 01.01.0004 des Leistungsverzeichnisses Sache der Klägerin, die Verkehrsplanung zu übernehmen, nicht ihre.
Eine weitergehende Bodenanalytik sei nicht nötig gewesen, da nur Aushub bis 1,25 m vorzunehmen gewesen sei. Mit Abfallklassen über LAGA Z2 sei gar nicht zu rechnen gewesen, da das Areal bereits 20 Jahre zuvor umfangreich umgestaltet worden sei. Sie selbst habe die Bodenanalytik jedoch vor Auftragserteilung vorgenommen und es sei vereinbart gewesen, den städtischen Bauhof zu nutzen.
Eine Behinderungsanzeige vom ##.##.2018 habe sie nie erhalten. Die von der Klägerin vorgetragenen Behinderungsgründe nach der Behinderungsanzeige vom ##.##.2018 lägen zudem auch nicht vor.
Es bestehe kein Anspruch auf Zahlung des Auftragsbetrages, da es sich nicht um eine freie Kündigung handele, sondern eine aus wichtigem Grund nach § 3 Abs. 3, 6 VOB/B. Denn nach § 5 Abs. 4 VOB/B bestehe ein Kündigungsgrund deshalb, weil die Klägerin den Beginn der Arbeiten verzögert habe (vgl. auch Ziffer 5.1 BVB). Die erfolgte Fristsetzung sei sogar entbehrlich gewesen.
Die Klägerin auch habe keinen Anspruch auf Stillstandskosten, da sie (die Beklagte) die Verzögerung nicht im Sinne von § 6 Abs. 6 VOB/B zu verschulden habe. Zudem betrügen die Gerätekosten laut Angebot nur 22.827,44 EUR und seien nun von der Klägerin viel höher berechnet.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch mündliches und schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing- F.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.
Der Antrag zu 1) ist unbegründet.
Mit dem Klageantrag zu 1) begehrt die Klägerin die kündigungsbedingte Vergütung in Höhe von 19.929,91 EUR nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VOB/B i.V.m. § 642 BGB (Rechnung Anlage K17). Hiervon lässt sie sich ersparte Aufwendungen abziehen.
Es liegt jedoch keine freie Kündigung nach § 8 Abs. 1 VOB/B, wie es die Klägerin vorträgt, sondern eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B vor. Damit steht der Klägerin nur eine Vergütung für bereits erbrachte Leistungen zu; diese macht sie jedoch nicht geltend und es ist auch unstreitig, dass die Klägerin bis zur Kündigung keine Leistungen bezüglich des Auftrages erbracht hat.
a) Es liegt eine wirksame Kündigung der Beklagten nach § 8 Abs. 3 VOB/B vor.
Mit Schreiben vom ##.##.2018 (Anlage K12) forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Arbeiten unter Bezugnahme auf diese Norm unverzüglich aufzunehmen und drohte andernfalls Schadensersatzansprüche an. Sie ging auf die Behinderungsanzeige der Klägerin vom ##.##.2018 ein und stellte dar, warum aus ihrer Sicht keine Behinderung vorlag. Eine Fristsetzung („unverzüglich“) ist dem Schreiben daher zu entnehmen. Die hier unbestimmte Frist kann in eine angemessen lange umgedeutet werden; zumindest sind bis zur Kündigungserklärung zwei Wochen vergangen, in denen die Klägerin die Möglichkeit hatte, die Arbeiten aufzunehmen.
Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert auch nicht an einer fehlenden zuvor erklärten Kündigungsandrohung. Eine solche ist dem Schreiben vom ##.##.2018 nicht zu entnehmen, da dort als Folge nur Schadensersatzansprüche angedroht werden. Zwar kann die Kündigungsandrohung nicht allein aus der Fristsetzung geschlossen worden, sie ist schon dem Wortlaut nach deutlich zu erklären und kann nur entbehrlich sein, wenn hierzu besondere Umstände vorliegen (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Sacher, 6. Aufl. 2017, VOB/B § 5 Rn. 132). Diese sind hier dadurch gegeben, dass die Kündigung vom ##.##.2018 einen Tag vor dem avisierten Endtermin ausgesprochen wurde und zu diesem Zeitpunkt die Arbeiten noch gar nicht begonnen wurden. Eine (weitere) Fristsetzung oder Androhung der Kündigung ist daher unter diesem Aspekt als Förmelei anzusehen, da mit einer fristgerechten Fertigstellung nicht mehr zu rechnen war. Unter diesem Aspekt ist eine Kündigungsandrohung am ##.##.2018 nach erfolgloser Leistungsaufforderung zuvor und angesichts dem unmittelbar bevorstehenden Fertigstellungstermin in einer Gesamtschau als überflüssig anzusehen. Dies benachteiligt die Klägerin auch nicht unangemessen. Denn auch wenn das Schreiben vom ##.##.2018 keine explizite Kündigungsandrohung enthält, so enthält es doch eine direkte Leistungsaufforderung, die auch bereits mit der Androhung ernster Konsequenzen und der Einleitung juristischer Schritte – dort in Form des Schadensersatzes benannt – einher geht. Die Klägerin war daher durch dieses Schreiben hinreichend vorgewarnt und musste den „Ernst der Lage“ erkennen und konnte ihr Verhalten daher bereits aufgrund des Schreibens vom ##.##.2018 entsprechend ausrichten. Auch ihr war der vereinbarte Fertigstellungstermin bekannt und die Schwierigkeit, die Arbeiten bis zu diesem fertigzustellen, wuchs für sie mit jedem weiteren Tag an. Damit musste sie auch die stetig steigende Gefahr erkennen, die Vertragspflichten nicht erfüllen zu können und musste als Folge dessen auch mit einer Kündigung rechnen.
Das Argument der Klägerin, durch den Termin vom ##.##.2018 sei das Schreiben vom ##.##.2018 gegenstandslos geworden, da sie davon ausgehen durfte, dass hierdurch die Beklagte ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit gezeigt hat, ist hingegen nicht durchgreifend. Denn die Beklagte hat im Schreiben vom ##.##.2018 Konsequenzen für eine Nichtausführung benannt, die Klägerin hat aber nach dem unstreitigen Vortrag Arbeiten nicht unmittelbar im Anschluss an diesen Termin bis zur Kündigungserklärung vom ##.##.2018 aufgenommen.
b) Es liegt zudem auch ein Grund für die Kündigung aus wichtigem Grund vor.
Dieser ergibt sich vorliegend aus § 5 Abs. 4 VOB/B, wonach eine verzögerte Aufnahme der Arbeiten nach angemessener Fristsetzung zur Kündigung berechtigt.
Eine verzögerte Aufnahme der Arbeiten liegt vor, da diese bis einen Tag vor dem avisierten Fertigstellungstermin noch nicht begonnen wurden. Diese Verzögerung ist auch weit überwiegend der Klägerin zuzurechnen.
aa) Zunächst einmal kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie aufgrund einer fehlenden Genehmigung der Pläne die Baumaßnahme schon aus formalen Gründen nicht hätte beginnen dürfen. Die Klägerin trägt hierzu vor, dass eine Übergabe der Pläne durch die Beklagte nicht ausreichend sei, die Beklagte diese vielmehr auch deutlich als genehmigte Pläne kennzeichnen müsse. Dies verfängt jedoch nicht. Der Passus „als zur Ausführung bestimmt gekennzeichnet“ in den ZVB spricht dem Wortlaut nach zwar für eine formale Sicht, also für eine explizite Kennzeichnung. Allerdings ist der Zweck dieser Regelung, dass nur nach autorisierten Plänen gearbeitet werden soll, was genauso bei einer Herausgabe durch die Beklagte selbst der Fall ist. Dadurch, dass ihr die Pläne von der Beklagten selbst zur Verfügung gestellt worden sind, und auch auf ihre Nachfrage hin von der Beklagten keine Zweifel an der Wirksamkeit der Pläne geäußert wurden, konnte und musste die Klägerin schließen, dass die Pläne von der Beklagten als verbindlich angesehen wurden. Die Herausgabe durch die Beklagte stellt dabei eine faktische Autorisierung dar. Sie erfolgte vorliegend durch den Zeugen E mit Mail vom ##.##.2018 (Anlage K6) und ##.##.2018 (Anlage K8), wobei der Zeuge in der Mail ausdrücklich für die Beklagte handelt, indem er in der Signatur deren Logo verwendet sowie eine dienstliche Adresse angibt und „im Auftrag“ unterzeichnet. Auch § 3 Abs. 1 VOB/B spricht nur davon, dass die Unterlagen zu übergeben sind, regelt aber nicht genauer in welcher Form. Hiernach genügt also die von der Beklagten gewählte Form der Übergabe ebenfalls.
bb) Auch war es für ein Fachunternehmen wie die Klägerin möglich, nach den von der Beklagten überlassenen Unterlagen das Bauvorhaben zu beginnen und auszuführen.
Dabei folgt das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen F. Dieser hat sein Gutachten widerspruchsfrei, klar verständlich und sachlich erstattet. Er hat sich im Detail mit dem vorgelegten Bauplan auseinandergesetzt und seine im Einzelnen gefundenen Ergebnisse jeweils individuell begründet.
Der Sachverständige F kommt in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich ein Bauen nach dem Plan Anlage K29 möglich war. Dieser sei eine Modifizierung des Plans Anlage K28. Zwar kommt er bei seiner Analyse der einzelnen14 Bereiche des Plans dazu, dass bei den Bereichen 2, 6 und 7 eine Planausführung zum Teil, bei den Bereichen 3, 4, 11, 12 und 14 nicht möglich sei. Jedoch führt er in seinem Fazit (S. 9 f., 25 des Gutachtens) aus, dass es sich um ein äußerst schwieriges Vorhaben handele. In der Praxis sei daher „dauerhafte und qualifizierte Kommunikation der handelnden Baubeteiligten notwendig“. Es seien daher eine Baueinweisung sowie regelmäßige Treffen (Jour fixe) während der Bauausführung nötig. Bei diesen seien die örtlichen Gegebenheiten zu prüfen und offene Punkte der Pläne hieran auszurichten. Hierbei seien die fehlenden Angaben zu ermitteln und zu ergänzen (vor allem Ausbaulängen, topografische Besonderheiten im Bestand, Lage von Schächten). Im Rahmen seiner Tischvorlage für den Anhörungstermin (Bl. 311 ff. d.A.) bestätigte der Sachverständige seine Ausführungen. Zusammenfassend stellt er fest: „Spätestens nach der ersten Baubesprechung war den beteiligten Parteien nach Ansicht des Unterzeichners klar, welche Planänderungen zur Erstellung der neuen Verkehrsanlagen notwendig waren um mögliche Divergenzen zwischen Ausführungsplanung und örtlichen Gegebenheiten final zu klären.“
In der Anhörung in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige das von ihm gefundene Ergebnis auf Nachfragen der Klägerin hin bestätigt. Er hat dabei präzisiert, dass es bezüglich der Planungen in mehreren Bereichen notwendig war, dass die Klägerin als Auftragnehmerin Rücksprache mit der Beklagten als Auftraggeberin oder dem zuständigen Bauleiter hätte halten müssen.
Damit kommt der Sachverständige teilweise bereits zu dem Ergebnis, ein Bauen nach dem Plan sein ohne weiteres allein unter Zuhilfenahme des Plans möglich gewesen.
Soweit der Sachverständige betreffend viele einzelne Bereiche – gerade auch nach der Klarstellung im Rahmen seiner Anhörung im Termin vom ##.##.2021 – dazu kommt, dass eine Ausführung dann möglich gewesen wäre, wenn die Parteien zu diesen Punkten vor Ort ein Gespräch geführt und die Gegebenheiten näher ermittelt hätten, ist dieser Beurteilung des Sachverständigen auch rechtlich zu folgen. Denn es besteht eine Kooperationspflicht der Parteien eines Bauvertrages.
Die Kooperationspflicht folgt aus dem Wesen eines komplexen Langzeitvertrages. Dieser stellt erhöhte Anforderungen an das Zusammenwirken der Parteien zum Zwecke der Durchführbarkeit des Vertrages, insbesondere an die gegenseitigen Informations-, Mitwirkungs- und Verhandlungspflichten (BGH NJW 1996, 2158; 2000, 807; Messerschmidt/Voit/von Rintelen, 3. Aufl. 2018, BGB § 631 Rn. 114). Die Abwicklung eines Bauvertrages mit einem in der Regel vorhandenen Langzeitcharakter sowie seinen aus der Baupraxis zwangsläufig sich ergebenden komplexen organisatorischen, bautechnischen und bauablauftechnischen Verzahnungen und wechselseitigen Abhängigkeiten verlangt nach einer vertrauensvollen Kooperation der Vertragspartner. Aus dem Kooperationsverhältnis ergeben sich Obliegenheiten und Pflichten zur Mitwirkung und gegenseitigen Information. Die Kooperationspflichten sollen unter anderem gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung oder der Inhalt des Vertrags an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden muss, entstandene Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte nach Möglichkeit einvernehmlich beigelegt werden (BGH NJW 2000, 807). Unter Kooperation ist das Zusammenwirken der Vertragsparteien zur Erreichung des gemeinsam verfolgten Vertragszweckes zu verstehen, was (naturgemäß) die Mitwirkung beider Vertragsparteien voraussetzt (Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, Vorbemerkung § 3 Rn. 9). Dies bedingt in der Baupraxis ein „ständiges Kommunizieren“ zwischen den Vertragspartnern, das insbesondere dem Informationsaustausch (gegenseitige Hinweise), der Klärung der auftretenden Probleme und dem Treffen der notwendigen Entscheidungen (Anordnungen) dient und damit der Beherrschung und Bewältigung der vielfältigen Risiken. Hierher gehört auch die Notwendigkeit zur Durchführung gemeinsamer Befundaufnahmen und eigener, bauunternehmertypischer planlicher Arbeiten des Auftragnehmers (Ganten/Jansen/Voit, VOB/B, Vorbemerkung § 3 Rn. 11).
Diese Kooperationspflicht führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Klägerin sich nicht auf den Standpunkt stellen durfte, sie könne allein nach dem vorgelegten Plan nicht bauen und sei daher nicht verpflichtet, die Arbeiten aufzunehmen. Vielmehr hätte sie, nachdem sie nach ihrem Verständnis bestehende Abweichungen zwischen dem Plan und den vor Ort vorgefundenen Gegebenheiten bzw. Widersprüchen von Plan und sonstigem beschriebenen Leistungsinhalt entdeckt hatte, das Gespräch mit der Beklagten suchen müssen und hätte versuchen müssen, diese Detailpunkte im Einzelnen zu klären. Dies wäre etwa – wie auch am ##.##.2018 geschehen – in einem Termin vor Ort möglich gewesen. Dies gilt vorliegend insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Bauvorhaben handelt, das keine komplette Neugestaltung, sondern ein Bauen im vorhandenen Bestand betrifft und zudem aufgrund der Verkehrsbedeutung des Ortes als einem zentralen Platz der Stadt G insbesondere mit Bedeutung für den öffentlichen Nahverkehr ein Bauen mit aufwändiger Koordination der bestehenden Infrastruktur mit der neuen sowie der Baumaßnahme mit dem Straßenverkehr notwendig war.
Spätestens nach Erhalt des Schreibens der Beklagten vom ##.##.2018 (Anlage K12), das auf die Möglichkeit und Gebotenheit der Abstimmung vor Ort im Detail betreffend verschiedener Punkte hinweist, hätte die Klägerin erneut das Gespräch mit der Beklagten suchen müssen, um diese Punkte zu klären. Die Beklagte hingegen hat spätestens mit diesem Schreiben ihre Gesprächsbereitschaft deutlich erklärt und durfte daher darauf warten, dass die Klägerin das angebotene Gespräch auch sucht.
2.
Der Klageantrag zu 2) ist unbegründet.
Mit dem Klageantrag zu 2) begehrt die Klägerin Stillstandskosten vom ##.##. bis ##.##.2018 (Schlussrechnung Anlage K21). Eine Behinderungsanzeige liegt jedoch erst vom ##.##.2018 vor. Die Beklagte hat den Erhalt einer früheren Anzeige bestritten, für den Zugang (oder auch nur Versand) hat die Klägerin keinen Beweis angeboten. Diese ist jedoch nach § 6 Abs. 1 VOB/B nötig, da auf sie nur verzichtet werden kann, wenn die hindernden Umstände offenkundig sowie die Tatsache und deren hindernde Wirkung bekannt waren. Dies ist jedoch aufgrund ihrer Streitigkeit gerade nicht der Fall. Es können daher grundsätzlich schon nur Ansprüche ab Zugang der (zweiten) Behinderungsanzeige geltend gemacht werden.
Darauf kommt es letztlich jedoch nicht an, da ein Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B (i.V.m. § 642 BGB) schon dem Grunde nach ausscheidet. Er ist nur gegeben, wenn ein Vertretenmüssen der Beklagten vorliegt. Daran fehlt es vorliegend. Denn wie unter 1. ausgeführt, war es der Klägerin möglich, ab dem ##.##.2018 Bauarbeiten auszuführen, da dies aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Unterlagen möglich war. Dass sie die Arbeiten nicht ausführte und es daher zu Stillständen kam, ist daher von ihr selbst und nicht der Beklagten zu vertreten.
3.
Der Klageantrag zu 3) teilt als Nebenforderung das Schicksal der Hauptforderungen. Gleiches gilt für die geltend gemachten Zinsansprüche.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
Streitwert: 66.054,31 EUR.