Ein Bauunternehmen forderte die volle Vergütung für Stadion-Fassadenarbeiten, obwohl der Auftraggeber die Bauleistung selbst erbrachte. Der theoretisch mögliche Anspruch scheiterte am unerwartet strengen Nachweis zur Anrechnung des anderweitigen Erwerbs.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Bezahlung ohne Leistung: Wann muss ein Auftragnehmer nachweisen, was er durch einen Ersatzauftrag verdient hat?
- Was genau war passiert?
- Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
- Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?
- Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was steht mir als Auftragnehmer zu, wenn mein Kunde den Werkvertrag vereitelt?
- Muss ich meine Einnahmen aus Ersatzaufträgen detailliert offenlegen?
- Was passiert, wenn ich meine Gewinne aus anderen Aufträgen nicht belegen kann?
- Wie weise ich nach, welche Kosten ich durch den geplatzten Auftrag gespart habe?
- Erhalte ich meinen kalkulierten Gewinn und die Gemeinkosten trotzdem?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 O 53/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Freiburg (Breisgau)
- Datum: 08.08.2025
- Aktenzeichen: 6 O 53/22
- Verfahren: Zivilprozess/Werklohnklage
- Rechtsbereiche: Werkvertragsrecht, Anspruch bei Unmöglichkeit der Leistung
- Das Problem: Eine Baufirma sollte Fassadenarbeiten für einen Stadionbau ausführen. Die Auftraggeberin rief die Leistung jedoch nicht ab und führte die Arbeiten stattdessen selbst durch. Die Baufirma forderte daraufhin fast die gesamte vereinbarte Vergütung für die nicht geleistete Arbeit.
- Die Rechtsfrage: Muss eine Firma bezahlt werden, wenn die Leistungserbringung vom Kunden vereitelt wird? Und muss die Firma sich Gewinne anrechnen lassen, die sie mit den dadurch frei gewordenen Mitarbeitern auf anderen Baustellen erzielt hat?
- Die Antwort: Ja, ein Anspruch auf Vergütung bleibt grundsätzlich bestehen, wird aber stark gekürzt. Die Baufirma musste sich den Großteil des Betrags anrechnen lassen, weil sie nicht detailliert nachweisen konnte, welche Einnahmen sie stattdessen mit den freien Arbeitskräften erzielt hatte.
- Die Bedeutung: Wird eine vertraglich vereinbarte Bauleistung vom Auftraggeber verhindert, muss der Auftragnehmer genau belegen, dass ihm durch den anderweitigen Einsatz seiner Mitarbeiter keine Gewinne entstanden sind. Gelingt dieser Nachweis nicht, werden die Ansprüche auf die nicht beeinflussbaren Kostenanteile wie Gemeinkosten und Gewinn begrenzt.
Bezahlung ohne Leistung: Wann muss ein Auftragnehmer nachweisen, was er durch einen Ersatzauftrag verdient hat?
Ein Bauvertrag ist geschlossen, die Pläne sind gemacht, die Mitarbeiter stehen bereit – doch dann kommt alles anders. Die Auftraggeberin führt die vereinbarten Arbeiten kurzerhand selbst aus und der Auftragnehmer steht mit leeren Händen da. Ihm entgeht nicht nur der Auftrag, sondern auch der kalkulierte Gewinn. Dass ihm in einem solchen Fall eine Entschädigung zusteht, scheint naheliegend. Doch wie hoch darf diese sein?

Und was passiert, wenn die frei gewordenen Mitarbeiter auf anderen Baustellen eingesetzt werden konnten? Muss der Auftragnehmer dann detailliert offenlegen, was er dort verdient hat, um seinen Schaden zu belegen? Genau diese Kernfragen des Werkvertragsrechts musste das Landgericht Freiburg (Breisgau) in seinem Urteil vom 08. August 2025 (Az.: 6 O 53/22) klären und schuf damit eine wichtige Orientierung für die Verteilung der Beweislast bei geplatzten Bauvorhaben.
Was genau war passiert?
Ein Bauunternehmen erhielt den Zuschlag für umfangreiche Fassadenarbeiten am Neubau des Freiburger Fußballstadions. Im August 2019 schlossen die Parteien einen sogenannten Einheitspreis-Werkvertrag. Bei dieser Vertragsform wird nicht eine pauschale Gesamtsumme vereinbart, sondern der Preis pro Leistungseinheit, hier also pro Quadratmeter Fassade. Das Leistungsverzeichnis ging von einer Fläche von 5.500 m² aus, woraus sich eine vorläufige Auftragssumme von netto 143.000 € ergab.
Doch die vertraglich vereinbarten Leistungen wurden von der Auftraggeberin nie abgerufen. Stattdessen führte sie die Arbeiten im Laufe des Jahres 2020 selbst oder durch Dritte aus. Das Bauunternehmen, das nach eigenen Angaben bereits zwölf Mitarbeiter für das Projekt eingeplant hatte, sah sich um den Auftrag und den erwarteten Gewinn gebracht. Es klagte auf Zahlung des vereinbarten Werklohns abzüglich der Kosten, die es durch die Nichtausführung des Auftrags gespart hatte. Diese Ersparnis bezifferte es auf knapp 18.000 €, sodass eine Forderung von über 125.000 € im Raum stand.
Die Auftraggeberin wehrte sich vehement gegen die Klage. Ihr zentrales Argument: Der Vertrag sei nie ernst gemeint gewesen, sondern habe lediglich als Vorwand gedient, um Einreisegenehmigungen für serbische Arbeiter zu beschaffen. Ein wirklicher Wille, das Unternehmen zu binden, habe nie bestanden. Zudem sei der Umfang der Arbeiten ohnehin geringer ausgefallen; sie selbst habe gegenüber dem Generalunternehmer lediglich 4.057 m² abgerechnet. Schließlich sei davon auszugehen, dass das Bauunternehmen seine Mitarbeiter längst auf anderen Baustellen gewinnbringend eingesetzt habe. Diese Einnahmen müsse es sich vollständig anrechnen lassen, sodass allenfalls ein minimaler Schaden verbleibe.
Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?
Den rechtlichen Rahmen für diesen Konflikt bilden zwei zentrale Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Die Grundlage jedes Werkvertrags ist § 631 BGB. Er regelt das simple Prinzip: Der Auftragnehmer verpflichtet sich zur Herstellung des versprochenen Werks, der Auftraggeber zur Zahlung der vereinbarten Vergütung.
Komplizierter wird es, wenn das Werk nicht wie geplant hergestellt werden kann. Hier kommt § 326 Abs. 2 BGB ins Spiel, eine Norm, die das Schicksal des Vergütungsanspruchs bei sogenannter Unmöglichkeit regelt. Wenn die Leistungserbringung für den Auftragnehmer unmöglich wird, weil der Auftraggeber dies zu verantworten hat – zum Beispiel, indem er die Baustelle nicht zugänglich macht oder die Arbeit selbst erledigt –, bestimmt der Paragraph einen fairen Interessenausgleich:
- Satz 1 schützt den Auftragnehmer: Er behält grundsätzlich seinen Anspruch auf die Vergütung, obwohl er die Leistung nicht erbracht hat. Er soll nicht dafür bestraft werden, dass die andere Seite den Vertrag vereitelt.
- Satz 2 schützt den Auftraggeber vor einer ungerechtfertigten Bereicherung des Auftragnehmers: Dieser muss sich alles anrechnen lassen, was er durch die Befreiung von der Leistung an Aufwendungen erspart hat (z. B. Materialkosten oder Löhne) oder was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Er darf am Ende nicht besser dastehen, als er bei reibungsloser Vertragsdurchführung gestanden hätte.
Die entscheidende Frage, die das Gericht zu klären hatte, war, wie diese Anrechnung in der Praxis funktioniert und wer die entsprechenden Fakten beweisen muss.
Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?
Das Gericht gab der Klage nur in sehr geringem Umfang statt und verurteilte die Auftraggeberin zur Zahlung von lediglich 10.548 €. Die restliche Forderung von über 114.000 € wurde abgewiesen. Die richterliche Logik folgte einer klaren, schrittweisen Prüfung, die die Argumente beider Seiten sorgfältig abwog.
War der Vertrag überhaupt gültig?
Zuerst musste das Gericht die Behauptung der Auftraggeberin prüfen, der Vertrag sei nur ein Scheingeschäft gewesen. Dieser Einwand scheiterte jedoch kläglich. Ein schriftlich fixierter und von beiden Seiten unterzeichneter Vertrag erzeugt eine starke Vermutung für seine Gültigkeit. Wer behauptet, das schriftlich Vereinbarte sei nicht ernst gemeint gewesen, trägt dafür die volle Darlegungs- und Beweislast. Die Auftraggeberin konnte hierfür jedoch keine stichhaltigen Beweise vorlegen und zog sogar eigene Beweisangebote zurück. Damit stand für das Gericht fest: Ein wirksamer Werkvertrag nach § 631 BGB war zustande gekommen.
Auf welcher Grundlage wird der Werklohn berechnet?
Der nächste Schritt war die Bestimmung der Berechnungsgrundlage. Das Bauunternehmen forderte eine Vergütung auf Basis der ursprünglich geschätzten 5.500 m². Das Gericht folgte dem nicht. Maßgeblich für den Anspruch nach § 326 Abs. 2 BGB ist nur der Teil der Leistung, der für den Auftragnehmer tatsächlich unmöglich geworden ist. Unmöglich wurde die Leistung aber nur in dem Umfang, in dem die Auftraggeberin die Fassadenarbeiten selbst ausführte. Nach deren eigenem, unbestrittenem Vortrag waren dies 4.057 m². Nur für diese Fläche konnte das Bauunternehmen also einen Vergütungsanspruch geltend machen. Anhand der im Einheitspreisvertrag vereinbarten Preise pro Quadratmeter errechnete das Gericht eine Brutto-Vergütungssumme von 105.482 €.
Die entscheidende Hürde: Wer muss was beweisen?
Dies war der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Falles. Gemäß § 326 Abs. 2 Satz 2 BGB musste sich das Bauunternehmen die Einnahmen anrechnen lassen, die es durch den Einsatz seiner frei gewordenen Mitarbeiter auf anderen Baustellen erzielt hatte. Die Auftraggeberin konnte aber unmöglich wissen, auf welchen Baustellen die Mitarbeiter des Klägers eingesetzt wurden und welche Umsätze dort erzielt wurden. Diese Informationen liegen allein in der Sphäre des Auftragnehmers.
Für solche Konstellationen hat die Rechtsprechung die sogenannte Sekundäre Darlegungslast entwickelt. Das bedeutet: Zwar muss grundsätzlich die Auftraggeberin beweisen, dass der Auftragnehmer anderweitig Geld verdient hat. Weil sie aber keinen Einblick in dessen Geschäftsbetrieb hat, muss der Auftragnehmer ihr zunächst alle notwendigen Informationen liefern, damit sie ihren Beweis überhaupt führen kann. Er muss also substantiiert und nachvollziehbar darlegen, was mit den frei gewordenen Kapazitäten geschehen ist.
Warum scheiterte das Bauunternehmen an dieser Beweislast?
Das klagende Bauunternehmen hatte zwar behauptet, die Mitarbeiter auf anderen Baustellen eingesetzt zu haben, diese seien aber nur „Füllaufträge“ gewesen, die keinen zusätzlichen Gewinn erbracht hätten. Diesen pauschalen Vortrag ließ das Gericht nicht gelten. Es forderte konkrete Angaben: Welche Leistungen wurden auf den anderen Baustellen genau erbracht? Wie wurden diese abgerechnet? Welche Werklohnansprüche sind dort entstanden?
Da das Bauunternehmen diese detaillierten Informationen nicht lieferte, verletzte es seine sekundäre Darlegungslast. Die Folge dieser Verletzung ist weitreichend: Das Gericht ging nun davon aus, dass das Unternehmen seine Arbeitskräfte vollständig und gewinnbringend anderweitig einsetzen konnte. Damit wurde der Lohnanteil des ursprünglichen Auftrags als vollständig durch anderweitigen Erwerb kompensiert angesehen. Eine doppelte Vergütung – einmal durch den Ersatzauftrag und einmal durch die Klage – wollte das Gericht unter allen Umständen verhindern. Der Anspruch auf den leistungsbezogenen Teil der Vergütung war damit vom Tisch.
Was bleibt vom Anspruch übrig? Der Anspruch auf Gemeinkosten und Gewinn
Dennoch ging das Bauunternehmen nicht komplett leer aus. Das Gericht erkannte an, dass sich der Werklohn nicht nur aus den direkten Kosten für Lohn und Material zusammensetzt. Jeder Unternehmer kalkuliert auch Anteile für allgemeine Geschäftskosten (wie Miete, Verwaltung, Versicherungen) sowie einen Aufschlag für Wagnis und Gewinn ein. Im vorliegenden Fall waren dies pauschal 9 % für Geschäftskosten und 1 % für Wagnis und Gewinn, also insgesamt 10 % der Auftragssumme.
Diese Posten, so argumentierte das Gericht, fallen unabhängig vom konkreten Einsatz der Mitarbeiter an und wären dem Unternehmen auch bei Durchführung des Auftrags zugutegekommen. Die Auftraggeberin konnte nicht beweisen, dass das Bauunternehmen diese allgemeinen Kosten durch die Ersatzaufträge ebenfalls decken konnte oder hier anderweitige Ersparnisse hatte. Daher sprach das Gericht dem Kläger diese 10 % aus der berechneten Vergütungssumme von 105.482 € zu. Das Ergebnis war der zugesprochene Betrag von 10.548 €.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?
Dieses Urteil des Landgerichts Freiburg macht zwei grundlegende Prinzipien des Werkvertragsrechts greifbar, die für Auftragnehmer wie Auftraggeber von großer Bedeutung sind.
Die erste und wichtigste Lehre betrifft die Transparenz bei der Geltendmachung von entgangenem Gewinn. Ein Auftragnehmer, dessen Auftrag vereitelt wird, kann sich nicht einfach zurücklehnen und die volle Vergütung abzüglich pauschaler Ersparnisse fordern. Wenn er seine Mitarbeiter anderweitig einsetzen konnte, muss er auf Verlangen des Auftraggebers die Karten auf den Tisch legen. Er muss detailliert und nachvollziehbar darlegen, welche Einnahmen er durch Ersatzaufträge erzielt hat. Die bloße Behauptung, es habe sich um unrentable „Füllaufträge“ gehandelt, genügt den Gerichten nicht. Die Bereitschaft, die eigene Kalkulation und die Abrechnung von Ersatzaufträgen offenzulegen, wird zur entscheidenden Voraussetzung, um einen Anspruch auf entgangenen Gewinn erfolgreich durchzusetzen.
Die zweite Lehre unterstreicht die fundamentale Bedeutung des schriftlichen Vertrags. Die Behauptung der Auftraggeberin, der Vertrag sei nur ein „Scheingeschäft“ gewesen, prallte an der klaren schriftlichen Vereinbarung ab. Ein einmal unterschriebener Vertrag entfaltet eine enorme Bindungswirkung, die nur durch handfeste Beweise für das Gegenteil erschüttert werden kann. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie entscheidend die Vertragsart ist. Da ein Einheitspreisvertrag vorlag, wurde der Anspruch von vornherein auf die tatsächlich ausgeführte Menge begrenzt. Ein Pauschalpreisvertrag hätte möglicherweise zu einer anderen Berechnungsgrundlage und damit zu einem völlig anderen Ergebnis geführt. Die sorgfältige Gestaltung und das Verständnis des zugrundeliegenden Vertragstyps sind daher essenziell, um die eigenen Rechte und Pflichten im Konfliktfall richtig einschätzen zu können.
Die Urteilslogik
Wird ein Werkvertrag durch den Auftraggeber vereitelt, muss der Auftragnehmer lückenlos beweisen, wie er seine freigewordenen Kapazitäten verwertet hat, um seinen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung zu wahren.
- Nachweispflicht bei Ersatzaufträgen: Behauptet der Auftraggeber, der Auftragnehmer habe durch Ersatzaufträge Einnahmen erzielt, muss der Auftragnehmer detailliert und nachvollziehbar offenlegen, welche Leistungen er mit den freigewordenen Arbeitskräften erbracht und welche Werklohnansprüche er dadurch generiert hat.
- Kompensation des Lohnanteils: Liefert der Auftragnehmer keine konkreten Belege für die Erträge aus Ersatzaufträgen, geht das Gericht davon aus, dass er seine Arbeitskraft vollständig und gewinnbringend anderweitig einsetzen konnte, wodurch der Lohnanteil des ursprünglichen Auftrags als kompensiert gilt.
- Unabhängigkeit von Gemeinkosten und Gewinn: Der Anspruch auf die kalkulierten Anteile für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn bleibt bestehen, da diese Posten unabhängig vom direkten Mitarbeitereinsatz anfallen und nicht automatisch durch Ersatzaufträge gedeckt sind.
Die Geltendmachung eines Werklohns ohne Leistung verlangt vom Auftragnehmer daher maximale Transparenz über die internen Ersatzgeschäfte und eine präzise Trennung von direkten und allgemeinen Kosten.
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Experten Kommentar
Viele Bauunternehmen glauben, dass bei einem geplatzten Großauftrag der Restbetrag fast automatisch auf dem Konto landet, sobald die Ersparnisse abgezogen sind. Dieses Urteil des Landgerichts Freiburg macht deutlich: Wer vom Auftraggeber wegen entgangenem Werklohn Geld fordert, muss detailliert offenlegen, was die freigewordenen Arbeitskräfte in der Zwischenzeit an Ersatzaufträgen erwirtschaftet haben. Die pauschale Behauptung „unrentable Füllaufträge“ reicht nicht aus, um die Anrechnung des anderweitigen Erwerbs abzuwenden. Liegen diese genauen Zahlen nicht auf dem Tisch, geht das Gericht konsequent davon aus, dass der gesamte Lohnanteil des ursprünglichen Auftrags bereits vollständig kompensiert wurde.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was steht mir als Auftragnehmer zu, wenn mein Kunde den Werkvertrag vereitelt?
Wenn Ihr Auftraggeber die Durchführung eines Werkvertrags unmöglich macht, verlieren Sie Ihren Anspruch auf Bezahlung nicht. Sie behalten grundsätzlich den vollen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung nach § 326 Abs. 2 BGB. Dieses Gesetz verhindert, dass Sie bestraft werden, nur weil die andere Partei den Vertrag vereitelt. Sie müssen sich jedoch alles anrechnen lassen, was Sie durch die Nichtausführung gespart haben oder durch den Einsatz Ihrer Mitarbeiter anderweitig erwerben konnten.
Der Gesetzgeber sorgt für einen fairen Interessenausgleich, um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Auftragnehmers zu vermeiden. Deshalb müssen Sie alle variablen Kosten, die durch die Befreiung von der Leistung direkt entfallen sind, von Ihrer Forderung abziehen. Dazu zählen etwa die Kosten für nicht eingekauftes Material oder direkte, projektbezogene Lohnkosten, wenn die Mitarbeiter nicht auf Ersatzaufträgen eingesetzt wurden. Der Auftraggeber muss beweisen, dass Sie anderweitig Einnahmen erzielt haben, da diese Informationen in Ihrer Geschäftssphäre liegen.
Der wichtigste Punkt ist die klare Trennung der Kosten. Nicht alle Ihre Aufwendungen gelten als erspart. Der Anspruch auf Ihre fixen Gemeinkosten (Overhead für Miete oder Verwaltung) und der kalkulierte Gewinn bleiben fast immer bestehen. Diese Posten fallen unabhängig vom Einzelauftrag an und werden nicht automatisch als durch Ersatzaufträge kompensiert betrachtet. Gerichte sprechen diese festen Anteile oft zu, selbst wenn der Lohnanteil des ursprünglichen Auftrags vollständig entfällt.
Führen Sie sofort eine präzise Kalkulation Ihrer fixen Kosten und des Gewinns durch, da diese den gesicherten Mindestanspruch darstellen.
Muss ich meine Einnahmen aus Ersatzaufträgen detailliert offenlegen?
Ja, eine detaillierte Offenlegung Ihrer Einnahmen ist notwendig, um Ihren Anspruch zu sichern. Obwohl die primäre Beweislast, dass Sie anderweitig verdient haben, beim Auftraggeber liegt, trifft Sie die sogenannte sekundäre Darlegungslast. Diese Pflicht entsteht, weil alle entscheidenden Informationen über Ihre Ersatzaufträge ausschließlich in Ihrer geschäftlichen Sphäre liegen. Vage Aussagen, die Ersatzaufträge seien nur „Füllaufträge“ ohne Gewinn gewesen, genügen zur Sicherung Ihres Anspruchs nicht.
Der Grund für diese strenge Anforderung liegt in der Notwendigkeit eines fairen Interessenausgleichs vor Gericht. Weil Ihr ehemaliger Vertragspartner keinen Einblick in Ihre neuen Baustellen oder die Buchhaltung hat, müssen Sie ihm alle notwendigen Daten liefern, damit er seinen Beweis überhaupt führen kann. Sie sind verpflichtet, substantiiert und nachvollziehbar darzulegen, welche Ersatzleistungen Sie mit den frei gewordenen Kapazitäten erbracht haben.
Konkret müssen Sie die Abrechnung der neuen Aufträge transparent machen. Gerichte verlangen die Angabe, welche Werklohnansprüche auf den Ersatzbaustellen entstanden sind und wie diese abgerechnet wurden. Verweigern Sie diesen detaillierten Vortrag, geht das Gericht davon aus, dass Sie Ihre Arbeitskräfte vollständig und gewinnbringend anderweitig eingesetzt haben. In diesem Fall verfällt der gesamte Lohnanteil des ursprünglichen Auftrags als kompensiert.
Erstellen Sie umgehend ein internes Protokoll, das alle Ersatzaufträge, auf denen das ursprünglich vorgesehene Personal eingesetzt wurde, inklusive des Bruttowerklohns und der direkten Kosten dokumentiert.
Was passiert, wenn ich meine Gewinne aus anderen Aufträgen nicht belegen kann?
Wenn Sie die Gewinne aus Ersatzaufträgen nicht detailliert offenlegen können, führt dies meist zum Totalverlust des leistungsbezogenen Anspruchs. Das Gericht nimmt dann an, dass Sie die frei gewordenen Arbeitskräfte gewinnbringend anderweitig eingesetzt haben. Diese Verletzung der sekundären Darlegungslast wird zu Ihren Ungunsten gewertet und kompensiert den Lohnanteil Ihrer ursprünglichen Forderung. Dadurch soll verhindert werden, dass Sie für ein und dieselbe Arbeitsleistung doppelt bezahlt werden.
Diese strenge Konsequenz dient der Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung. Da der Auftraggeber keinen Einblick in Ihre Geschäftsbücher hat, fordern Gerichte von Ihnen detaillierte Angaben zu den Ersatzprojekten. Weisen Sie die konkreten Werklohnansprüche und die Berechnung der Ersatzleistungen nicht nach, fehlt dem Gericht die notwendige Transparenz. Das Gericht muss dann eine Entscheidung treffen und tut dies zulasten des Auftragnehmers, der die geschäftlichen Informationen zurückhält oder pauschale Aussagen trifft.
Konkret bedeutet dies, dass der gesamte Anteil der ursprünglichen Vergütung, der Lohn und variables Material abdecken sollte, entfällt. Im Gegensatz dazu bleibt Ihr Anspruch auf die fixen Gemeinkosten und den kalkulierten Gewinn üblicherweise erhalten. Ein Beispiel: Das Landgericht Freiburg sprach einem Bauunternehmen nur 10 Prozent der Gesamtforderung zu, nachdem der gesamte Lohnanteil durch die unterstellte Kompensation gestrichen wurde. Die verbleibenden 10 Prozent deckten die allgemeinen Geschäftskosten und den Gewinnzuschlag ab.
Wenn eine detaillierte Offenlegung der Ersatzaufträge nicht möglich ist, konzentrieren Sie Ihre Klage primär auf diesen gesicherten Anspruchsteil.
Wie weise ich nach, welche Kosten ich durch den geplatzten Auftrag gespart habe?
Um Ihren Anspruch auf die volle Vergütung zu maximieren, müssen Sie nur jene Kosten als ersparte Kosten abziehen, die durch die Nichtausführung des Werkes direkt entfallen sind. Die entscheidende Trennung erfolgt zwischen variablen und fixen Aufwendungen. Gemäß § 326 Abs. 2 BGB müssen Sie belegen, welche Aufwendungen durch die Befreiung von der Leistung nicht angefallen sind. Fixe Gemeinkosten, die ohnehin weiterlaufen, bleiben in Ihrem Anspruch unberührt.
Die Abzugspflicht beschränkt sich auf direkt projektbezogene, variable Aufwendungen. Dazu zählen beispielsweise der Materialeinkauf, den Sie stornieren konnten, oder Transportkosten, die nicht anfielen. Lohnkosten zählen nur dann zu den ersparten Aufwendungen, wenn das eingesparte Personal nicht sofort gewinnbringend auf Ersatzaufträgen eingesetzt werden konnte. Solche direkten Ersparnisse müssen Sie präzise belegen, da Sie den Auftraggeber nicht ungerechtfertigt bereichern dürfen.
Im Gegensatz dazu müssen Sie Ihre Fixkosten nicht vom Vergütungsanspruch abziehen. Gemeinkosten, wie Mieten für Büros, Gehälter der Verwaltungsmitarbeiter oder allgemeine Versicherungsbeiträge, laufen unabhängig von diesem Einzelauftrag weiter. Um die Höhe der Ersparnisse präzise nachzuweisen, nutzen Sie Stornierungsbestätigungen von Lieferanten oder Lagerbestandslisten für nicht benötigtes Material. Solche Dokumente dienen als direkter Beweis gegenüber dem Auftraggeber und sichern die verbleibende Vergütung.
Prüfen Sie stets Ihre ursprüngliche Kalkulation und trennen Sie strikt zwischen diesen variablen und den nicht abzugsfähigen Overhead-Kosten.
Erhalte ich meinen kalkulierten Gewinn und die Gemeinkosten trotzdem?
Ja, in den meisten Fällen erhalten Sie den Anspruch auf die Deckung der Gemeinkosten und den kalkulierten Gewinn. Diese Posten, die typischerweise 9 Prozent für Geschäftskosten und 1 Prozent für Wagnis/Gewinn ausmachen, gelten als ein gesicherter Mindestanspruch. Diese Beträge müssen Sie sich nicht automatisch auf Ersatzaufträge anrechnen lassen, selbst wenn Sie dort anderweitig Lohn erwirtschaftet haben.
Der Grund für diesen Mindestanspruch liegt in der Natur dieser Kostenpositionen. Gemeinkosten decken fixe Ausgaben wie Miete, Verwaltungsgehälter oder Versicherungen ab, die unabhängig von der Ausführung eines spezifischen Einzelauftrags im Unternehmen weiterlaufen. Daher fallen diese fixen Aufwendungen juristisch nicht unter die sogenannten „ersparten Aufwendungen“ im Sinne des § 326 Abs. 2 BGB. Weil diese Kosten weiterlaufen, wurden sie durch die Nichtausführung des ursprünglichen Vertrags nicht reduziert.
Der Auftraggeber trägt die Beweislast dafür, dass Ihre Ersatzaufträge die Deckung dieser spezifischen Fixkosten und den kalkulierten Gewinn vollständig kompensiert haben. Fehlt dieser Nachweis, bleiben diese Posten bestehen. Konkret sprach das Landgericht Freiburg einem Bauunternehmen pauschal 10 Prozent der vereinbarten Vergütung als sicheren Anspruch zu. Dieser Anspruch blieb bestehen, obwohl der gesamte Lohnanteil durch gewinnbringenden Einsatz der Mitarbeiter auf Ersatzbaustellen als kompensiert galt.
Verwenden Sie die branchenüblichen oder intern kalkulierten prozentualen Zuschläge für Gemeinkosten und Gewinn, um diesen nicht kompensierten Mindestschaden darzustellen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Anrechnung anderweitigen Erwerbs
Die Anrechnung anderweitigen Erwerbs ist die gesetzliche Pflicht des Auftragnehmers, sich Einnahmen, die er durch Ersatzaufträge erzielt, von seinem ursprünglichen Vergütungsanspruch abziehen zu lassen.
Das Gesetz (§ 326 Abs. 2 S. 2 BGB) soll verhindern, dass der Auftragnehmer durch die Vertragsvereitelung doppelt kassiert – einmal vom ursprünglichen Auftraggeber und einmal durch den Gewinn aus dem Ersatzauftrag.
Beispiel: Da der Auftragnehmer seine Mitarbeiter auf anderen Baustellen gewinnbringend einsetzen konnte, musste er sich diese Einnahmen anrechnen lassen, wodurch sein Anspruch auf den Lohnanteil des Fassadenprojekts entfiel.
Darlegungs- und Beweislast
Juristen nennen die Darlegungs- und Beweislast die Pflicht einer Partei, dem Gericht Tatsachen vorzutragen (Darlegung) und diese im Zweifel durch Beweismittel zu belegen (Beweis), damit das Gericht zu ihren Gunsten entscheidet.
Wer vor Gericht einen Anspruch geltend macht oder einen Einwand erhebt, muss die entsprechenden Tatsachen liefern; kann er das nicht, geht der Rechtsstreit zu seinen Ungunsten aus.
Beispiel: Die Auftraggeberin trug die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der schriftliche Einheitspreisvertrag lediglich ein Scheingeschäft gewesen sei, konnte diesen Vortrag aber nicht belegen.
Einheitspreis-Werkvertrag
Ein Einheitspreis-Werkvertrag ist eine Vertragsform im Baurecht, bei der die Parteien einen festen Preis pro Leistungseinheit (zum Beispiel pro Quadratmeter Fassade) vereinbaren, wobei die Gesamtsumme variabel bleibt und von der tatsächlich erbrachten Menge abhängt.
Diese Methode bietet Flexibilität bei Projekten, deren Umfang sich erst während der Bauphase exakt bestimmen lässt, und schützt beide Seiten vor unvorhergesehenen Mengenrisiken.
Beispiel: Im Freiburger Fall war der Anspruch des Bauunternehmens auf 4.057 m² Fassadenfläche begrenzt, da der Einheitspreis-Werkvertrag nur die tatsächlich unmöglich gewordene Leistung als Berechnungsgrundlage zuließ.
Gemeinkosten
Als Gemeinkosten oder Overhead bezeichnen Betriebswirte und Juristen jene fixen geschäftlichen Aufwendungen, wie Miete, Verwaltungslöhne oder Versicherungsprämien, die unabhängig von der Durchführung eines spezifischen Einzelauftrags anfallen.
Da diese Kosten ohnehin weiterlaufen, müssen sie im Falle einer Vertragsvereitelung nicht als „ersparte Aufwendungen“ abgezogen werden und bleiben dem Auftragnehmer als Mindestanspruch erhalten.
Beispiel: Das Gericht sprach dem klagenden Bauunternehmen die 9 Prozent Gemeinkosten und 1 Prozent Gewinn zu, da diese Posten auch bei Ersatzaufträgen zusätzlich angefallen und daher nicht als kompensiert galten.
Scheingeschäft
Ein Scheingeschäft liegt im juristischen Sinne vor, wenn die Vertragsparteien zwar äußerlich einen Vertrag schließen, intern aber einig sind, dass die damit verbundenen Rechtsfolgen gar nicht eintreten und die Vereinbarung nur zum Schein getroffen wird.
Gemäß § 117 BGB ist eine solche Vereinbarung, die nur auf dem Papier existiert, grundsätzlich nichtig, weil der tatsächliche Wille zur Bindung fehlt.
Beispiel: Die Auftraggeberin behauptete, der unterschriebene Bauvertrag sei ein Scheingeschäft gewesen, das lediglich der Beschaffung von Einreisegenehmigungen dienen sollte.
Sekundäre Darlegungslast
Die sekundäre Darlegungslast ist eine von der Rechtsprechung entwickelte Pflicht des Prozessgegners, detaillierte Informationen zu liefern, wenn die beweisbelastete Partei keinen Einblick in deren interne Geschäftssphäre hat.
Diese Pflicht soll einen fairen Interessenausgleich gewährleisten, indem sie verhindert, dass die primär beweisbelastete Partei ins Leere läuft, weil der Gegner die entscheidenden Fakten über den anderweitigen Erwerb zurückhält.
Beispiel: Das Bauunternehmen verletzte seine sekundäre Darlegungslast schwer, weil es dem Auftraggeber keine detaillierten Abrechnungen zu den Einnahmen aus den angeblichen „Füllaufträgen“ vorlegte.
Das vorliegende Urteil
LG Freiburg (Breisgau) – Az.: 6 O 53/22 – Urteil vom 08.08.2025
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