Wegen Totalverweigerung der umfangreichen Dämmarbeiten kündigte das Land Sachsen-Anhalt den Bauvertrag fristlos. Der Auftragnehmer forderte trotzdem Abschlagszahlungen und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht. Steht dem Unternehmer nach dieser extremen Vertragsverletzung überhaupt noch Vergütung zu?
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Fristlose Kündigung am Bau: Wann verliert eine Firma ihren Anspruch auf die volle Vergütung?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann ist eine fristlose Kündigung meines Bauvertrags wegen Arbeitsverweigerung rechtlich möglich?
- Darf ein Bauunternehmer die Arbeit wegen einbehaltener Abschlagszahlungen einfach einstellen?
- Welche Fristen und Formalitäten muss ich für ein wirksames Abhilfeverlangen nach VOB/B beachten?
- Muss ich dem Bauunternehmen nach der fristlosen Kündigung noch eine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen zahlen?
- Wann gilt die vollständige Räumung der Baustelle als unentschuldbarer Vertragsbruch?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 U 53/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 04.03.2025
- Aktenzeichen: 2 U 53/24
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Bauvertragsrecht, Kündigungsrecht
- Das Problem: Ein Bauunternehmen stoppte die Putzarbeiten komplett, nachdem der Auftraggeber wegen Mängeln einen Teil der Abschlagszahlung einbehielt. Der Auftraggeber kündigte daraufhin den Gesamtvertrag fristlos.
- Die Rechtsfrage: War die fristlose Kündigung des Bauvertrags durch den Auftraggeber wegen der vollständigen Arbeitsverweigerung des Unternehmens rechtmäßig?
- Die Antwort: Ja. Die Kündigung war wirksam, da das Unternehmen die Baustelle über Wochen vollständig unbesetzt ließ und die Wiederaufnahme der Arbeit unmissverständlich verweigerte. Eine weitere Fristsetzung war dem Auftraggeber daher nicht mehr zuzumuten.
- Die Bedeutung: Stellt ein Auftragnehmer Arbeiten wegen eines Zahlungsstreits über Mängel komplett ein, riskiert er eine wirksame fristlose Kündigung. Er verliert in diesem Fall den Anspruch auf Bezahlung für die nicht erbrachten Restleistungen.
Fristlose Kündigung am Bau: Wann verliert eine Firma ihren Anspruch auf die volle Vergütung?
Eine verlassene Baustelle ist der Albtraum jedes Bauherrn. Werkzeuge sind verschwunden, Personal ist abgezogen und der Zeitplan gerät ins Wanken. Doch was passiert, wenn ein Bauunternehmen nicht einfach nur in Verzug ist, sondern die Arbeit komplett einstellt und die Baustelle räumt? Kann der Auftraggeber dann den Vertrag fristlos kündigen und muss er trotzdem für Leistungen zahlen, die nie erbracht wurden?

Genau diese hochkonfliktreiche Situation landete vor dem Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt, das in seinem Urteil vom 4. März 2025 (Az. 2 U 53/24) eine grundlegende Entscheidung über die Rechte und Pflichten bei einer Eskalation am Bau traf. Der Fall zeigt eindrücklich, wie eine Kette von Versäumnissen, Mängeln und rechtlichen Fehleinschätzungen zu einem vollständigen Vertragsbruch führen kann – und wer am Ende die Kosten dafür trägt.
Was war auf der Baustelle genau geschehen?
Im April 2015 beauftragte das Land Sachsen-Anhalt eine Baufirma mit umfangreichen Putz- und Dämmarbeiten an einem großen, dreiflügeligen Bestandsgebäude. Der Auftrag, der auf Basis der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B) geschlossen wurde, hatte ein Volumen von knapp 450.000 Euro. Doch von Beginn an lief das Projekt nicht rund.
Die Baufirma versäumte es zunächst, den vertraglich vereinbarten Bauzeitenplan fristgerecht vorzulegen. Als die Arbeiten im Juni 2015 schließlich begannen, war die Baustelle nur mit zwei Arbeitskräften besetzt, was aus Sicht des Landes für ein Projekt dieser Größenordnung bei Weitem nicht ausreichte. Die Bauleitung des Landes mahnte wiederholt den unzureichenden Personaleinsatz und die daraus resultierenden Verzögerungen an. Die Baufirma wiederum meldete Behinderungen an, die das Land jedoch zurückwies.
Die Situation spitzte sich im Juli 2015 weiter zu, als bei einer Baustellenbegehung erhebliche Mängel an den bereits erbrachten Putzarbeiten festgestellt wurden. Das Land forderte die Firma schriftlich und mit Fotodokumentation zur Nachbesserung auf und setzte hierfür mehrere Fristen, die allesamt fruchtlos verstrichen. Parallel dazu reichte die Baufirma eine Abschlagsrechnung ein. Das Land prüfte diese, behielt aber aufgrund der Mängel und der verweigerten Nachbesserung einen erheblichen Teil der Summe – über 25.000 Euro – als Sicherheit ein.
Die Eskalation erreichte ihren ersten Höhepunkt im August 2015. Das Land erklärte eine „Teil-Kündigung“ für die mangelhaften Leistungen. Die Reaktion der Baufirma war drastisch: Sie wertete diese Teil-Kündigung als unzulässig, stellte daraufhin sämtliche Arbeiten auf der Baustelle ein, zog ihr gesamtes Personal sowie alle Geräte ab und entfernte ihr Material. Der Geschäftsführer erklärte unmissverständlich, dass keine weiteren Arbeiten mehr ausgeführt würden.
Nach wochenlangem Stillstand unternahm das Land einen letzten Versuch, das Projekt zu retten. Mit einem Schreiben vom 8. Oktober 2015 forderte es die Baufirma auf, die Arbeiten an den nicht von der Teil-Kündigung betroffenen Vertragsteilen wieder aufzunehmen. Es setzte eine Frist von zwölf Werktagen für die „Wiederbestückung“ der Baustelle mit Personal und Material. Für den Fall, dass die Firma dieser Aufforderung nicht nachkommen sollte, drohte das Land ausdrücklich die Kündigung des gesamten Auftrags an. Die Baufirma wies dies zurück und bekräftigte schriftlich ihre Weigerung, weiterzuarbeiten, solange das Land nicht die Teil-Kündigung zurücknehme und die einbehaltene Zahlung vollständig leiste. Daraufhin kündigte das Land am 27. Oktober 2015 den gesamten Bauvertrag fristlos.
Die Baufirma klagte anschließend auf die Vergütung für die Leistungen, die sie aufgrund der Kündigung nicht mehr erbringen konnte. Das Land wehrte sich nicht nur dagegen, sondern forderte seinerseits im Wege einer Widerklage Schadensersatz für die Mehrkosten, die durch die Beauftragung neuer Firmen zur Fertigstellung des Bauvorhabens entstanden waren.
Welche Regeln der VOB/B sind für die Kündigung entscheidend?
Das gesamte Geschehen spielte sich im Rahmen eines VOB/B-Vertrags ab. Dieses spezielle Regelwerk für Bauverträge enthält präzise Vorschriften für den Fall, dass ein Vertragspartner seinen Pflichten nicht nachkommt.
Ein zentrales Instrument für den Auftraggeber ist das sogenannte Abhilfeverlangen nach § 5 Abs. 3 VOB/B. Stellt der Auftraggeber fest, dass der Auftragnehmer mit der Arbeit so sehr in Verzug ist, dass die vereinbarten Fristen offensichtlich nicht eingehalten werden können, kann er eingreifen. Er kann vom Auftragnehmer verlangen, unverzüglich für Abhilfe zu sorgen, also beispielsweise mehr Personal oder Geräte einzusetzen. Dieses Recht greift in die unternehmerische Freiheit des Auftragnehmers ein, ist aber zum Schutz des Auftraggebers vor erheblichen Verzögerungen notwendig.
Die schärfste Waffe des Auftraggebers ist die Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B. Diese Vorschrift erlaubt dem Auftraggeber, den Vertrag zu kündigen, wenn der Auftragnehmer mit der Erfüllung seiner Pflichten in Verzug gerät und eine vom Auftraggeber gesetzte angemessene Frist zur Vertragserfüllung nicht einhält. Die Kündigung kann sich auch direkt auf das Abhilfeverlangen aus § 5 VOB/B stützen: Kommt der Auftragnehmer der Aufforderung zur Abhilfe nicht nach, kann der Auftraggeber nach Fristablauf den Vertrag kündigen (§ 5 Abs. 4 VOB/B).
Auf der anderen Seite hat auch der Auftragnehmer ein Druckmittel. Nach § 16 Abs. 5 Nr. 4 VOB/B kann er die Arbeiten einstellen, wenn der Auftraggeber eine fällige Zahlung nicht leistet. Dieses Zurückbehaltungsrecht soll ihn davor schützen, in Vorleistung zu treten, ohne dafür bezahlt zu werden.
Der vorliegende Fall bewegte sich genau im Spannungsfeld dieser Regelungen: Das Land stützte seine Kündigung auf die §§ 5 und 8 VOB/B, weil die Baufirma die Arbeit verweigerte. Die Baufirma wiederum rechtfertigte ihre Arbeitsverweigerung mit ihrem Zurückbehaltungsrecht aus § 16 VOB/B, weil das Land einen Teil der Abschlagszahlung einbehalten hatte.
Warum war die Kündigung des Landes wirksam?
Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies die Berufung der Baufirma vollumfänglich zurück. Die Richter kamen zu dem klaren Ergebnis, dass die Kündigung des Landes vom 27. Oktober 2015 rechtmäßig war. Folglich hatte die Baufirma keinen Anspruch auf Vergütung für nicht erbrachte Leistungen und musste zudem für die Mehrkosten der Ersatzvornahme aufkommen. Die Argumentation des Gerichts folgte einer klaren juristischen Linie.
Die Weigerung zur Weiterarbeit als entscheidender Vertragsbruch
Den Kern der richterlichen Entscheidung bildete die Bewertung der Totalverweigerung der Baufirma. Nachdem das Land die Teil-Kündigung ausgesprochen hatte, stellte die Firma nicht nur die bemängelten Arbeiten ein, sondern stoppte das gesamte Projekt, räumte die Baustelle komplett und erklärte unmissverständlich, nicht mehr weiterarbeiten zu wollen. Das Gericht stufte dieses Verhalten als eine schwerwiegende Vertragsverletzung ein. Mit der vollständigen Einstellung der Arbeiten und dem Abzug sämtlicher Ressourcen habe die Firma signalisiert, dass sie nicht mehr willens war, ihren vertraglichen Pflichten nachzukommen. Dieses Verhalten ging weit über eine bloße Unterbrechung der Arbeiten hinaus und stellte eine endgültige Erfüllungsverweigerung dar.
War das Abhilfeverlangen des Landes rechtmäßig?
Die Baufirma argumentierte, das Schreiben des Landes vom 8. Oktober 2015 sei kein wirksames Abhilfeverlangen gewesen. Die Aufforderung, mit den Arbeiten zu „beginnen“, sei missverständlich, da die Arbeiten ja bereits begonnen hatten. Diesem Argument folgte das Gericht nicht. Es stellte klar, dass der Inhalt eines Schreibens aus der Perspektive eines objektiven Empfängers zu verstehen ist. Angesichts der Tatsache, dass die Baustelle seit über sechs Wochen komplett verlassen war, konnte die Aufforderung vernünftigerweise nur als Verlangen zur Wiederaufnahme der Arbeiten verstanden werden. Das Schreiben erfüllte alle Anforderungen eines Abhilfeverlangens nach § 5 Abs. 3 VOB/B: Es benannte den Missstand (die verlassene Baustelle), forderte konkrete Maßnahmen (die Wiederbestückung mit Personal und Material), setzte eine klare Frist und drohte die Kündigung als Konsequenz an. Damit war der formale Weg für eine Kündigung geebnet.
Durfte die Baufirma die Arbeit wegen offener Zahlungen einstellen?
Eines der zentralen Argumente der Baufirma war, sie habe die Arbeit zu Recht eingestellt, da das Land einen Teil der Abschlagsrechnung einbehalten hatte. Das Gericht prüfte diesen Punkt genau und kam zu einem für die Firma negativen Ergebnis. Ein Zurückbehaltungsrecht nach § 16 Abs. 5 Nr. 4 VOB/B besteht nur, wenn eine Zahlung zu Unrecht verweigert wird. Hier hatte das Land jedoch nachweislich erhebliche Mängel an der Arbeit der Firma festgestellt und diese mehrfach zur Nachbesserung aufgefordert – ohne Erfolg. Der Einbehalt eines Teils der Abschlagszahlung war daher gerechtfertigt, um die voraussichtlichen Kosten der Mängelbeseitigung abzusichern. Da der Einbehalt rechtmäßig war, konnte die Baufirma daraus kein Recht ableiten, ihrerseits die gesamte Arbeit einzustellen. Ihr Verschulden an der Verzögerung wurde dadurch nicht ausgeschlossen.
Machte die unklare Teil-Kündigung die Arbeitseinstellung rechtmäßig?
Das Gericht räumte zwar ein, dass die ursprüngliche Teil-Kündigung des Landes vom August 2015 möglicherweise unklar formuliert und damit rechtlich angreifbar war. Dies gab der Baufirma jedoch nicht das Recht, den Vertrag ihrerseits komplett platzen zu lassen. Eine unverhältnismäßige Reaktion wie die vollständige und endgültige Einstellung aller Arbeiten sei dadurch nicht gerechtfertigt. Stattdessen hätte die Firma rechtliche Klärung suchen oder das Land zur Präzisierung der Kündigung auffordern müssen. Ihre Reaktion war aus Sicht des Gerichts eine unangemessene Selbstjustiz, die eine eigenständige, schwere Vertragsverletzung darstellte.
Warum war keine weitere Nachfrist mehr nötig?
Normalerweise muss einer Kündigung aus wichtigem Grund eine Fristsetzung mit Kündigungsandrohung vorausgehen. Dies war mit dem Schreiben vom 8. Oktober 2015 geschehen. Die Baufirma hatte jedoch mit ihrem Antwortschreiben vom 15. Oktober 2015 noch einmal ausdrücklich und unmissverständlich erklärt, dass sie die Arbeit unter den gegebenen Umständen nicht wieder aufnehmen werde. Damit hatte sie, so das Gericht, ernsthaft und endgültig die Erfüllung des Vertrages verweigert. In einem solchen Fall ist eine weitere Fristsetzung entbehrlich, da sie offensichtlich sinnlos wäre. Dem Land war ein weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten, weshalb die Kündigung vom 27. Oktober 2015 ohne weitere Fristsetzung wirksam war.
Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil für Bauprojekte ziehen?
Das Urteil des OLG Sachsen-Anhalt ist weit mehr als eine Einzelfallentscheidung. Es verdeutlicht grundlegende Prinzipien der Zusammenarbeit am Bau, deren Missachtung für beide Seiten teuer werden kann.
Die vielleicht wichtigste Lehre ist die der Verhältnismäßigkeit. Ein Bauvertrag ist auf Kooperation ausgelegt. Selbst wenn eine Partei einen Fehler macht – wie hier das Land mit einer unklaren Teil-Kündigung –, berechtigt dies die andere Seite nicht zu einer maximalen Eskalation. Eine Totalverweigerung, also die komplette Einstellung aller Arbeiten und das Räumen der Baustelle, ist ein extrem riskanter Schritt. Er ist nur in den seltensten Fällen gerechtfertigt und wird von den Gerichten oft als eigenständiger, schwerwiegender Vertragsbruch gewertet, der den ursprünglichen Konflikt in den Schatten stellt.
Zweitens zeigt der Fall die immense Bedeutung einer lückenlosen und rechtssicheren Dokumentation. Das Land konnte sich am Ende durchsetzen, weil es die Mängel detailliert dokumentiert, wiederholt und nachweisbar Fristen zur Nachbesserung gesetzt und schließlich ein formal korrektes Abhilfeverlangen mit Kündigungsandrohung formuliert hatte. Die Baufirma hingegen konnte ihre Rechtfertigungsgründe, insbesondere das angebliche Zurückbehaltungsrecht, nicht ausreichend untermauern, da der Zahlungseinbehalt des Landes aufgrund der dokumentierten Mängel als berechtigt eingestuft wurde.
Schließlich macht das Urteil den schmalen Grat deutlich, auf dem sich ein Bauunternehmer bei Zahlungsverzug des Auftraggebers bewegt. Das Recht, die Arbeit einzustellen, ist kein Freibrief. Es besteht nur, wenn Zahlungen tatsächlich unberechtigt zurückgehalten werden. Liegt dem Einbehalt jedoch eine berechtigte Gegenforderung zugrunde, etwa wegen Mängeln, kann die Arbeitseinstellung selbst zur vertragswidrigen Handlung werden – mit der fatalen Konsequenz, nicht nur den restlichen Werklohnanspruch, sondern auch den gesamten Auftrag zu verlieren und obendrein schadensersatzpflichtig zu werden.
Die Urteilslogik
Eine unangemessene Totalverweigerung der Bauleistung bricht das Vertrauensverhältnis fundamental und rechtfertigt die fristlose Kündigung durch den Auftraggeber.
- [Rechtmäßiger Einbehalt bricht Zurückbehaltungsrecht]: Das Recht des Auftragnehmers, die Arbeit wegen ausstehender Zahlungen einzustellen, entfällt, wenn der Auftraggeber Abschlagszahlungen rechtmäßig einbehält, um die Kosten für nachgewiesene Mängel abzusichern.
- [Totalverweigerung ersetzt Fristsetzung]: Erklärt ein Auftragnehmer unmissverständlich und endgültig, die Vertragserfüllung unter keinen Umständen fortsetzen zu wollen, erübrigt sich jede weitere Nachfristsetzung vor der fristlosen Kündigung.
- [Disproportionale Eskalation verwirkt Vergütung]: Eine vollständige und nicht gerechtfertigte Einstellung aller Arbeiten stellt eine so schwerwiegende Vertragsverletzung dar, dass der Auftragnehmer den Anspruch auf die Vergütung für alle nicht erbrachten Restleistungen verliert und schadensersatzpflichtig wird.
Die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der lückenlosen Dokumentation bestimmen das finanzielle Risiko bei jeder Eskalation im Bauvertrag.
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Experten Kommentar
Wenn der Bauherr die Rechnung kürzt, weil er Mängel sieht, fühlt sich das für das Bauunternehmen sofort wie eine Provokation an. Doch genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Wer als Auftragnehmer bei einem berechtigten Einbehalt von Abschlagszahlungen als Reaktion einfach die gesamte Baustelle räumt, betreibt eine riskante Form der Selbstjustiz. Die Gerichte werten solch eine Totalverweigerung als eigenen, schwerwiegenden Vertragsbruch, der dem Auftraggeber die fristlose Kündigung ermöglicht. Der Preis ist dabei fatal: Man verliert nicht nur den Anspruch auf die Vergütung für alle Restleistungen, sondern muss am Ende auch noch die Mehrkosten der Ersatzvornahme tragen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann ist eine fristlose Kündigung meines Bauvertrags wegen Arbeitsverweigerung rechtlich möglich?
Die fristlose Kündigung Ihres Bauvertrags wegen totaler Arbeitsverweigerung ist nur nach strikter Einhaltung formaler Schritte möglich. Die Regel ist: Zuerst müssen Sie dem Auftragnehmer eine letzte Chance zur Abhilfe einräumen. Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B) wird erst wirksam, wenn die Arbeitsniederlegung als endgültige Erfüllungsverweigerung gilt.
Selbst wenn die Baustelle komplett verlassen wurde, dürfen Sie den Vertrag nicht sofort kündigen, um keine Haftungsrisiken einzugehen. Zwingend erforderlich ist ein formell korrektes Abhilfeverlangen gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B. Dieses Schreiben muss den Auftragnehmer auffordern, die Baustelle unverzüglich wieder mit Personal und Material zu bestücken (Wiederbestückung). Zusätzlich müssen Sie eine angemessene Frist setzen (oft 10 bis 14 Werktage) und explizit die Kündigung des Gesamtvertrags androhen, falls die Frist fruchtlos verstreicht.
Eine Fristsetzung ist nur in Ausnahmefällen entbehrlich, wenn die Situation bereits unmissverständlich feststeht. Konkret: Falls der Auftragnehmer nach Erhalt Ihres Abhilfeverlangens schriftlich erklärt, dass er die Arbeit unter keinen Umständen wieder aufnehmen wird, liegt eine klare Erfüllungsverweigerung vor. Dieses Verhalten gilt als schwerwiegender Vertragsbruch. Gerichte werten die vollständige Räumung der Baustelle als unangemessene Selbstjustiz, die eine wirksame fristlose Kündigung durch den Auftraggeber ermöglicht.
Senden Sie das Abhilfeverlangen immer als Einschreiben, dokumentieren Sie den Missstand mit Fotos und nennen Sie ein konkretes Fristende.
Darf ein Bauunternehmer die Arbeit wegen einbehaltener Abschlagszahlungen einfach einstellen?
Nein, die vollständige Einstellung der Arbeit ist in dieser Situation extrem riskant und stellt häufig einen schweren Vertragsbruch dar. Ihr Recht, die Arbeiten wegen nicht geleisteter Abschlagszahlungen ruhen zu lassen (§ 16 Abs. 5 Nr. 4 VOB/B), entfällt, wenn der Auftraggeber den Betrag zu Recht zurückhält. Gerichte sehen diesen Einbehalt als gerechtfertigt an und bewerten Ihr Vorgehen dann als unverhältnismäßig.
Der Auftraggeber (AG) ist berechtigt, einen Teil der Abschlagszahlung einzubehalten, wenn nachweisliche Mängel an den bereits erbrachten Leistungen vorliegen. Dieser Einbehalt dient als Sicherheit und muss die voraussichtlichen Kosten der Mängelbeseitigung abdecken. Stellt der AG die Zahlung mit dieser Begründung zurück, entfällt Ihre Möglichkeit, daraus ein legitimes Zurückbehaltungsrecht zur Einstellung der gesamten Arbeiten abzuleiten.
Die komplette Räumung der Baustelle als Reaktion auf einen berechtigten Einbehalt wird als unverhältnismäßig und schwere Vertragspflichtverletzung angesehen. Dieses Verhalten geht über eine bloße Unterbrechung hinaus und kann dem Auftraggeber das Recht geben, den gesamten Auftrag fristlos zu kündigen. Sie verlieren dann nicht nur den Anspruch auf die restliche Vergütung, sondern können zusätzlich schadensersatzpflichtig für die Mehrkosten der Ersatzvornahme werden.
Prüfen Sie sofort die schriftliche Begründung des Auftraggebers und beginnen Sie umgehend mit der Beseitigung unstrittiger Mängel, statt die Arbeit vollständig einzustellen.
Welche Fristen und Formalitäten muss ich für ein wirksames Abhilfeverlangen nach VOB/B beachten?
Ein Abhilfeverlangen nach § 5 Abs. 3 VOB/B ist die notwendige formale Voraussetzung für eine spätere Kündigung. Um gerichtsfest zu sein, muss Ihr Schreiben vier zwingende Elemente enthalten, mit denen Sie den Auftragnehmer in die Pflicht nehmen. Sie sichern damit den formalen Weg ab, falls die Situation am Bau weiter eskaliert. Das Schreiben darf aus Sicht eines objektiven Empfängers keine Zweifel über die Schwere der Situation zulassen.
Sie müssen zunächst den Missstand klar benennen, beispielsweise eine unzureichende Besetzung oder die Räumung der Baustelle. Danach fordern Sie konkrete Abhilfemaßnahmen. Vermeiden Sie vage Formulierungen wie „Beginn der Arbeiten“ und verlangen Sie stattdessen spezifische Schritte, etwa die „Wiederbestückung der Baustelle mit mindestens vier zusätzlichen Arbeitskräften“. Diese Präzisierung ist entscheidend, um eine spätere Anfechtung wegen Missverständlichkeit zu verhindern.
Setzen Sie dem Auftragnehmer eine angemessene Frist zur Durchführung der geforderten Maßnahmen. Diese Frist muss ihm die Möglichkeit geben, die Abhilfe tatsächlich zu leisten, sie darf den Bauherrn aber nicht unnötig lange warten lassen; typischerweise sind hier 10 bis 14 Werktage üblich. Der vierte und wichtigste Punkt ist die klare Kündigungsandrohung. Die Konsequenz der Nichterfüllung muss unmissverständlich sein: die Androhung der Kündigung des gesamten Auftrags nach fruchtlosem Fristablauf.
Dokumentieren Sie den aktuellen Zustand der Baustelle umgehend mit Fotos und senden Sie das Abhilfeverlangen als Einschreiben, wobei Sie das Fristende durch ein konkretes Datum festlegen.
Muss ich dem Bauunternehmen nach der fristlosen Kündigung noch eine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen zahlen?
Nein, Sie müssen dem Auftragnehmer nach einer wirksamen fristlosen Kündigung gemäß § 8 Abs. 3 VOB/B keine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen zahlen. Das Unternehmen verliert seinen Anspruch auf den restlichen Werklohn vollständig. Im Gegenteil: Der vertragsbrüchige Auftragnehmer wird selbst schadensersatzpflichtig für die Kosten, die Ihnen durch die Baufertigstellung entstehen. Sie müssen lediglich die Leistungen bezahlen, die bis zur Kündigung mängelfrei erbracht wurden.
Wenn der Auftragnehmer die Kündigung durch sein schuldhaftes Verhalten, wie etwa eine endgültige Erfüllungsverweigerung, selbst verursacht, entfällt der Anspruch auf den ursprünglich vereinbarten Werklohn vollständig. Dieses Prinzip dient dem Schutz des Auftraggebers, der nicht für einen Vertrag bezahlen soll, der aufgrund des Verhaltens der Gegenseite nicht erfüllt wurde. Die Abrechnung beschränkt sich nur noch auf die Leistungen, die bis zum Zeitpunkt der Kündigung mängelfrei erbracht wurden.
Als Auftraggeber haben Sie Anspruch auf Ersatz der sogenannten Mehrkosten der Ersatzvornahme. Diese Kosten entstehen, weil Sie notwendigerweise ein neues Unternehmen beauftragen müssen, das die Arbeiten oft zu höheren Preisen fertigstellt. Juristisch gesehen handelt es sich dabei um die Differenz zwischen dem ursprünglichen Vertragspreis und den nun anfallenden Gesamtkosten für die Fertigstellung. Sie können diese Forderung direkt gegen die Restvergütungsansprüche des gekündigten Unternehmens aufrechnen.
Beginnen Sie umgehend mit der Einholung detaillierter Angebote zur Ersatzvornahme, um die Ihnen entstandenen Mehrkosten gerichtsfest dokumentieren zu können.
Wann gilt die vollständige Räumung der Baustelle als unentschuldbarer Vertragsbruch?
Die vollständige und endgültige Räumung der Baustelle ist fast immer ein unentschuldbarer Vertragsbruch. Gerichte werten dieses Vorgehen als unverhältnismäßige „Selbstjustiz“ und als endgültige Erfüllungsverweigerung des gesamten Vertrags. Selbst formelle Fehler des Auftraggebers, etwa eine unklare Teil-Kündigung oder ein Zahlungseinbehalt, rechtfertigen diesen maximalen Eskalationsschritt nicht. Sie signalisieren damit klar, dass Sie nicht mehr bereit sind, die vertraglichen Pflichten zu erfüllen.
Ihr Handeln muss stets verhältnismäßig sein, um eine fristlose Kündigung zu vermeiden. Wenn der Auftraggeber lediglich einen Teil der Arbeiten kündigt oder eine Abschlagszahlung aufgrund berechtigter, dokumentierter Mängel zurückhält, berechtigt das Sie nicht zur kompletten Einstellung aller Arbeiten. Die Einstellung sämtlicher Ressourcen und das Abziehen aller Mitarbeiter geht weit über eine bloße Arbeitsunterbrechung hinaus. Dieses Verhalten wird als schwerwiegendste Form der Vertragspflichtverletzung angesehen und stellt den Kern der Auseinandersetzung dar.
Statt die Baustelle abrupt zu räumen, hätten Sie auf die unklare Kündigung reagieren und eine Präzisierung vom Auftraggeber verlangen müssen. Hätten Sie die Arbeit nur an den direkt strittigen Teilen ruhen lassen, wäre Ihre Kooperationsbereitschaft belegt gewesen. Wer hingegen unmissverständlich erklärt, nicht mehr weiterarbeiten zu wollen, liefert dem Auftraggeber sofort den wichtigen Grund für die wirksame Kündigung des Gesamtvertrags nach VOB/B.
Setzen Sie bei Konflikten die Arbeiten an allen nicht strittigen und mängelfreien Teilen des Auftrags fort, um Ihre Vertragstreue zu demonstrieren.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Abhilfeverlangen
Ein Abhilfeverlangen ist die formelle Aufforderung des Auftraggebers (Bauherr) an das Bauunternehmen, eine unzureichende Leistung oder einen eingetretenen Verzug durch konkrete Maßnahmen unverzüglich zu beheben.
Diese juristische Vorstufe ist zwingend notwendig gemäß § 5 Abs. 3 VOB/B, um dem Auftragnehmer eine letzte Chance zur Korrektur zu geben, bevor der Vertrag aus wichtigem Grund gekündigt werden kann.
Beispiel: Das Land stellte in seinem Abhilfeverlangen klar, dass die Baufirma die Baustelle binnen zwölf Werktagen wieder mit ausreichend Personal und Material bestücken musste.
Erfüllungsverweigerung
Die Erfüllungsverweigerung liegt vor, wenn ein Vertragspartner unmissverständlich und endgültig signalisiert, dass er seinen vertraglichen Pflichten nicht nachkommen wird.
Wenn diese klare Weigerung feststeht, muss der andere Vertragspartner keine weiteren Fristen mehr setzen, da dies offensichtlich sinnlos wäre, was den Weg zur sofortigen fristlosen Kündigung ebnet.
Beispiel: Mit dem schriftlichen Bescheid, unter keinen Umständen weiterarbeiten zu wollen, lieferte die Baufirma dem Land eine klare Erfüllungsverweigerung, wodurch die Kündigung sofort wirksam wurde.
Mehrkosten der Ersatzvornahme
Als Mehrkosten der Ersatzvornahme bezeichnet man den finanziellen Schaden, der entsteht, wenn der Auftraggeber nach einer wirksamen Kündigung eine neue, meist teurere Firma beauftragen muss, um die ursprünglich vereinbarten Arbeiten fertigzustellen.
Das Gesetz stellt sicher, dass der vertragstreue Auftraggeber keinen finanziellen Nachteil erleidet, weil der ursprüngliche Auftragnehmer seinen Vertragspflichten nicht nachgekommen ist, und muss die Differenz zwischen den Preisen ersetzt bekommen.
Beispiel: Im Rahmen der Widerklage forderte das Land erfolgreich die Mehrkosten der Ersatzvornahme, weil die neuen Putz- und Dämmarbeiten durch das Ersatzunternehmen teurer waren als ursprünglich kalkuliert.
VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B)
Die VOB/B ist ein spezielles Regelwerk, das standardisierte Vertragsbedingungen für Bauaufträge zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen oder privaten Bauherren festlegt und im Bauwesen die Norm darstellt.
Dieses Regelwerk dient dazu, die komplexen Geschäftsbeziehungen am Bau zu regeln und enthält präzise Vorschriften für Mängel, Fristen, Kündigung und Abrechnung, um rechtliche Klarheit zu gewährleisten.
Beispiel: Der Bauvertrag zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der Baufirma wurde auf Basis der VOB/B geschlossen, weshalb die Regelungen zu Abschlagszahlungen und Abhilfeverlangen verbindlich waren.
Zurückbehaltungsrecht
Ein Zurückbehaltungsrecht ist das Recht eines Vertragspartners, die eigene Leistung vorübergehend zu verweigern – beispielsweise die Arbeit einzustellen –, bis der andere Vertragspartner eine fällige Gegenleistung erbracht hat.
Dieses Druckmittel soll verhindern, dass ein Auftragnehmer in erhebliche Vorleistung treten muss, ohne dass der Auftraggeber die vereinbarte Abschlagszahlung leistet.
Beispiel: Die Baufirma konnte sich nicht erfolgreich auf ihr Zurückbehaltungsrecht berufen, weil das Land die Abschlagszahlung aufgrund der nachweislichen Mängel zu Recht teilweise als Sicherheit einbehalten hatte.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 2 U 53/24 – Urteil vom 04.03.2025
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