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Bauträgervertrag – Feststellung Bestehen Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung

OLG Köln – Az.: 19 U 5/20 – Urteil vom 21.08.2020

Auf die Berufung der Klägerin wird in Abänderung des Urteils der 18. Zivilkammer Landgerichts Köln vom 11.12.2019 (Az. 18 O 218/19) das Versäumnisurteil des Landgerichts Köln vom 09.07.2019 (Az. 18 O 218/19) aufrechterhalten.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die weiteren Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung  in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur nach Maßgabe vorstehender Anordnungen fortgesetzt werden.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 50.000 EUR festgesetzt. (Berufung: bis 49.000 EUR; Anschlussberufung: bis 1.000 EUR).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ließ als Bauträgerin 2005/2006 eine Anlage in der A Straße 120-124 in B errichten, die aus 9 Einfamilienhäusern, 3 Mehrfamilienhäusern mit 25 Wohnungen und aus einer Tiefgarage mit 34 Stellplätzen besteht. Die Beklagte ist die Gemeinschaft aller Miteigentümer der Gesamtanlage. Hinsichtlich der Einfamilienhäuser machen die jeweiligen Eigentümer Mängel geltend, die Gegenstand der Berufungsverfahren 17 U 49, 50, 51 und 52/18 sind. Im vorliegenden Rechtsstreit stehen etwaige Ansprüche wegen Mängeln im Bereich des Mehrfamilienhauses und der Tiefgarage in Rede.

Die Wohnungen wurden durch notarielle Kaufverträge verkauft, in denen jeweils eine Gewährleistungsfrist von 5 Jahren vereinbart wurde (S. 3 der Klageschrift, Bl. 3 d. A.). Zif. V.3 sah eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Wohnungseigentümergemeinschaft vertreten durch den Verwalter und einen hinzuzuziehenden Sachverständigen vor. Am 30.05.2006 wurde ein Abnahmeprotokoll errichtet (Anlage K 3, Bl. 42-49 Anlagenheft), wobei für die Beklagte der Sachverständige C unterzeichnete. Unter dem 27.06.2006 stellte der Sachverständige C die Beseitigung sämtlicher im Abnahmeprotokoll genannter Mängel fest (Anlage K 4, Bl. 50 f. Anlagenheft).

Am 27.05.2011 hat die Beklagte ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet (LG Köln 14 OH 12/11). 2012 reichte die Beklagte eine Klageschrift wegen derselben Mängel ein (Zahlung Kostenvorschuss u. a., LG Köln, 18 O 445/12). Mit Urteil vom 13.01.2017 (19 U 92/17, Anlage K 5, Bl. 52 ff. Anlagenheft) hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen.

In der Eigentümerversammlung vom 26.06.2017 (Anlage K 6, Bl. 73 f. Anlagenheft) fassten die Miteigentümer den Beschluss, der Wohnungseigentümergemeinschaft werde auch wegen solcher Mängel, die (noch) nicht Gegenstand des Klageverfahrens 18 O 445/12 seien (insbesondere mangelhafte Dämmung EG-Wohnungen und Tiefgarage gemäß Feststellungen Ingenieurbüro Dr. D GmbH) die  Geltendmachung der Gewährleistungsrechte übertragen. Unter dem 24.10.2017 (Anlage K 7, Bl. 77 f. Anlagenheft) wurde die Klägerin diesbezüglich in Anspruch genommen. Nachdem die Beklagte die Ansprüche mit Anwaltsschreiben vom 21.11.2017 (Anlage K 7a, Bl. 80 Anlagenheft) unter Verweis auf Verjährung zurückweisen ließ, leitete die Beklagte ein weiteres selbständiges Beweisverfahren ein (LG Köln 37 OH 22/18, später Übernahme durch die 18. Zivilkammer, neues Az. 18 OH 10/19; Beschluss über Beweiserhebung vom 27.02.2019, Bl. 84 -88 Anlagenheft).

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrages und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage im schriftlichen Vorverfahren durch Versäumnisurteil vom 09.07.2019 (Bl. 16, 16 R d. A.) stattgegeben. Nach Einspruch der Beklagten hat es die Klage mit dem angefochtenen Urteil als unzulässig bewertet und unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, während eines noch laufenden selbständigen Beweisverfahrens fehle das Feststellunginteresse für eine gegenläufige negative Feststellungsklage (S. 4 LGU, Bezugnahme auf LG Dresden, 9 O781/07 und OLG Düsseldorf 22 U 135/92), weil es dem Zweck des selbständigen Beweisverfahrens, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, zuwiderliefe, ließe man eine Feststellungsklage zu. Ferner laufe es auch der verjährungshemmenden Wirkung des selbständigen Beweisverfahrens zuwider. Das Gesetz schütze das Beweisinteresse des Beweisführers eines selbständigen Beweisverfahrens auch dann, wenn der Anspruch verjährt sei. Allein, dass die Klägerin im selbständigen Beweisverfahren mit der Verjährungseinrede nicht gehört werde, begründe kein Feststellungsinteresse. Ein rechtliches Interesse nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO fehle nur, wenn offensichtlich sei, dass Rechtsverhältnis, Gegner oder Anspruch nicht erkennbar seien – hiervon sei aber nicht auszugehen, weil auch im Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 13.01.2017 (Az. 19 U 92/16) der Verjährungsbeginn als problematisch behandelt worden sei.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Petitum weiterverfolgt. Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Landgerichts Dresden (Az. 9 O 781/07) betreffe eine andere Konstellation, da vorliegend zur Feststellungsklage keine Beweisaufnahme wegen der im selbständigen Beweisverfahren zu untersuchenden Mängel zu erfolgen habe (S. 3 f. der Berufungsbegründung, Bl. 86 f. d. A.). Das Vordergericht übersehe, dass das Verhältnis zwischen selbständigen Beweisverfahren und Klageverfahren durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.07.2004 (Az. VII ZB 3/03) geklärt sei – es gebe hier keine Sperrwirkung (S. 4-6 der Berufungsbegründung, Bl. 87-89 d. A.). Das Landgericht zitiere das Urteil des OLG Köln vom 13.01.2017 (Az. 19 U 92/16), übergehe aber die in dieser Entscheidung getroffene Wertung, wonach zum 27.07.2011 Verjährung eingetreten sei (S. 6 der Berufungsbegründung, Bl. 89 d.A.). Es entspreche zudem den übergeordneten Prinzipien der Prozessökonomie, der Waffengleichheit und letztlich der Billigkeit, über die Feststellungsklage zu entscheiden (S. 7-10 der Berufungsbegründung, Bl. 90-93 d. A.). Die etwaigen Ansprüche seien wegen § 199 Abs. 4 BGB spätestens seit dem 30.05.2016 verjährt (S. 10 der Berufungsbegründung, Bl. 93 d. A.).

Die Klägerin beantragt,

1.

das Urteil des Landgerichts Köln vom 20.12.2019, Az. 18 O 218/19 dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass Ansprüche auf mangelfreie Herstellung in Bezug auf das Gemeinschaftseigentum der WEG E Park, A Str. 120-124, B betreffend des Mehrfamilienhauses und der Tiefgarage, soweit sie nicht in den Verfahren LG Köln, Az.: 18 O 445/12, OLG Köln, Az.: 17 U 50/18, OLG Köln, Az.: 17 U 52/18, OLG Köln, Az.: 17 U 49/18 und OLG Köln, Az.: 17 U 51/18 rechtshängig sind, spätestens seit dem 31.05.2016 verjährt sind;

2.

hilfsweise, das Urteil des Landgerichts Köln vom 20.12.2019, Az. 18 O 218/19 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen;

3.

äußerst hilfsweise, die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt sie, das Urteil des Landgerichts Köln vom 20.12.2019, Az. 18 O 218/19 dahingehend abzuändern, dass die Klägerin die gesamten Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Säumnis trägt.

Die Klägerin beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung gegenüber den Angriffen der Berufung. Sie meint, der Klageantrag sei zu unbestimmt, weil lediglich ausgeführt werde, um welche Mängel es nicht gehe, ohne die Mängel näher einzugrenzen (S. 2 f. der Berufungserwiderung, Bl. 112 f. d. A.). Die Klägerin könne ihr Feststellungsinteresse nicht daraus herleiten, dass sie im selbständigen Beweisverfahren mit der Verjährungseinrede nicht gehört werde (S. 3 der Berufungserwiderung, Bl. 113 d. A.). Das Landgericht habe den Antrag der Klägerin, das selbständige Beweisverfahren wegen des vorliegenden Klageverfahrens auszusetzen, zutreffend abgelehnt (S. 4 f. der Berufungserwiderung, Bl. 114 d. A.; Beschluss des Landgerichts Köln vom 01.08.2019, Anlage BB 1, Bl. 120-122 d. A.). Die Ansprüche seien auch nicht verjährt, zumal der Senat im Verfahren 19 U 92/16 zutreffend festgestellt habe, dass keine Abnahme des Gemeinschaftseigentums erfolgt sei; die Verjährungsfrist sei dort nur hypothetisch dargestellt worden (S. 5 f. der Berufungserwiderung, Bl. 115 f. d. A.). Es widerspreche dem Prinzip des selbständigen Beweisverfahrens, wenn die Beklagte in ein Hauptsacheverfahren gezwungen werden könnte; es sei der Klägerin zuzumuten, eine Leistungsklage der Beklagten abzuwarten (S. 7 der Berufungserwiderung, Bl. 117 d. A.). Sie meint, der Beklagten fehle die Passivlegitimation (S. 8 der Berufungserwiderung, Bl. 118 d. A.).

Zur Anschlussberufung vertritt sie die Ansicht, die Klägerin müsse auch die Kosten der Säumnis der Beklagten tragen, weil das Versäumnisurteil nicht habe ergehen dürfen (S. 1, 8 f. der Berufungserwiderung, Bl. 111, 118 f. d. A.)

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg, wogegen die zulässige Anschlussberufung unbegründet ist.

1. Berufung

Die Berufung führt zur Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils (§ 343 ZPO), weil die Klage zulässig und begründet ist. Der Antrag der Klägerin war dahin auszulegen, dass die Aufrechterhaltung des ihrem Feststellungsbegehren stattgebenden Versäumnisurteils begehrt wird.

a) Zulässigkeit der Klage

aa)

Die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft ist prozessführungsbefugt. Die Klägerin begehrt eine Feststellung, welche Ansprüche betrifft, die die Beklagte durch Leistungsklage im eigenen Namen geltend zu machen berechtigt wäre, weil ein Fall gesetzlicher Prozessstandschaft vorliegt. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann nämlich im Rahmen ordnungsgemäßen Verwaltung die Ausübung der den einzelnen Miteigentümern aus ihren jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer zustehenden Ansprüche auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – VII ZR 156/13 -, Rn. 17, juris). Insbesondere Ansprüche, die sich auf kauf- oder werkvertraglicher Grundlage auf die Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum richten, kann die Wohnungseigentümergemeinschaft an sich ziehen und deren gemeinschaftliche gerichtliche Durchsetzung beschließen, was zur Folge hat, dass der Wohnungseigentümergemeinschaft im Prozess die Stellung eines gesetzlichen Prozessstandschafters zukommt (BGH, a.a.O.). So liegt es hier. Die Klägerin nimmt auf den Beschluss der beklagten Wohnungseigentümergemeinschaft über deren Ermächtigung zur Anspruchsgeltendmachung vom 26.06.2017 (S. 4 der Klageschrift, Bl. 4 d. A.; Anlage K 6, Bl. 73 f. Anlagenheft) Bezug, was dahin auszulegen ist, dass die Klägerin deshalb gegen die Beklagte im Wege der Feststellungsklage vorgeht, weil hinsichtlich derjenigen Ansprüche, deretwegen eine Feststellung begehrt wird, zu erwarten wäre, dass eine etwaige Leistungsklage durch die Beklagte als gesetzliche Prozessstandschafterin erhoben würde. Dann aber muss die Beklagte auch für die gegenläufige Feststellungsklage als prozessführungsbefugt bewertet werden.

bb)

Die Frage des Bestehens des Leistungsverweigerungsrechtes der Verjährung kann losgelöst von der Frage des Bestandes des Anspruchs Gegenstand einer Feststellungsklage sein, da sie ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis und nicht nur ein bloßes Element eines Rechtsverhältnisses darstellt (st. Rspr., vgl. RG, Urteil vom 19.10.1910, V. 6651/09, RGZ 74, 292, 294; BGH, Urteil vom 23.09.1968, II ZR 67/66, juris, Rn. 4 f.; Urteil vom 10.11.1982 – VIII ZR 156/81, juris, Rn. 20; Urteil vom 26.09.2012, VIII ZR 240/11, juris, Rn. 36; Urteil vom 26.09.2012, VIII ZR 279/11, juris, Rn. 39). Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass im Falle des Eintritts der Verjährung ein dieses Leistungsverweigerungsrecht umfassendes besonderes Rechtsverhältnis entsteht, auch wenn es sich dabei nur um den Ausfluss eines weitergehenden Rechtsverhältnisses handelt (RG, Urteil vom 19.10.1910, V. 6651/09, RGZ 74, 292, 294).

cc)

Die Antragstellung genügt dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 ZPO. Die Klägerin begehrt eine Feststellung hinsichtlich jedweder denkbaren Ansprüche auf mangelfreie Herstellung des Objektes der Beklagten, was sie notwendigerweise nur negativ eingrenzen kann, indem sie die bereits rechtshängig gemachten Ansprüche hiervon ausnimmt. Im Übrigen ist die Eingrenzung durch Bezeichnung des maßgeblichen (in der Verantwortung der Klägerin als Bauträgerin errichteten) Objekts ausreichend.

dd)

Der Zulässigkeit der Klage steht auch nicht das parallel anhängige selbständige Beweisverfahren LG Köln, Az. 18 OH 10/19, entgegen.

Ein Klageverfahren, welches Ansprüche zum Gegenstand hat, deren sachliche Voraussetzungen Teilidentität zum Prüfgegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens aufweisen, kann neben ebenjenem selbständigen Beweisverfahren geführt werden. Selbständiges Beweisverfahren und Hauptsacheverfahren können im Grundsatz unabhängig voneinander und parallel betrieben werden, zumal das Gesetz diesbezüglich weder ausdrücklich eine Einschränkung normiert, noch sich diese aus Sinn und Zweck oder dem Schutzbedürfnis einer Partei herleiten ließe. Vielmehr geht aus der Formulierung des § 485 Abs. 1 ZPO („vor oder während“) hervor, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit gleichzeitigen Verfahrenslaufs ausgeht.

So kann das Gericht des Streitverfahrens das selbständige Beweisverfahren an sich ziehen, kann aber auch eine parallele Beweiserhebung anordnen (BGH, Beschluss vom 26.10.2006, VII ZB 39/06, juris, Rn. 9 – 11), zumal erst dann, wenn das Gericht der Hauptsache wegen der Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme die Akten des selbständigen Beweisverfahrens beizieht, die Zuständigkeit im Umfang der vom Gericht der Hauptsache für erforderlich gehaltenen Beweisaufnahme auf dieses übergeht (BGH, Beschluss vom 22.07.2004, VII ZB 3/03, juris, Rn. 9). Das Gericht des Streitverfahrens kann dieses auch im Hinblick auf das selbständige Beweisverfahren aussetzen (BGH, Beschluss vom 26.10.2006, VII ZB 39/06, juris, Rn. 9 – 11) – umgekehrt kommt eine Aussetzung des selbständigen Beweisverfahrens dagegen grundsätzlich nicht in Betracht, da Aussetzung und Unterbrechung (nach § 240 ZPO) dem selbständigen Beweisverfahren wesensfremd sind (BGH, Beschluss vom 11.12.2013, VII ZB 14/03, juris, Rn. 10).

Damit übereinstimmend hat der Bundesgerichtshof in der Konstellation einer während eines anhängigen selbständigen Beweisverfahrens eingeleiteten negativen Feststellungsklage die Frage von deren Zulässigkeit allein unter dem Aspekt erörtert, inwieweit das Anstrengen eines selbständigen Beweisverfahrens für sich genommen als „Berühmen“ bewertet werden kann (Feststellungsinteresse), ohne die grundsätzliche Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage trotz anhängigen selbständigen Beweisverfahrens in Zweifel zu ziehen (BGH, Urteil vom 02.10.2018, X ZR 62/16, juris, Rn. 16 – 23).

Der Ansicht des OLG Düsseldorf, das selbständige Beweisverfahren solle vornehmlich durch eine vorgelagerte Klärung von Streitfragen tatsächlicher Art Rechtsstreitigkeiten vermeiden, weshalb ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen, deren tatsächliche Voraussetzungen Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen selbständigen Beweisverfahrens sind, zu verneinen sei (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.1992, 22 U 135/92, juris), tritt der erkennende Senat nicht bei. Die vom OLG Düsseldorf in der genannten Entscheidung vom 13.11.1992 vertretene Ansicht ist als durch die vorzitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs überholt zu bewerten.

Auch die Ansicht des LG Dresden (LG Dresden, Urteil vom 25.07.2007, 9 O 781/07, juris, Rn. 21), welches ohne nähere Erläuterung und insbesondere ohne Befassung mit der vorzitierten BGH-Rechtsprechung der Düsseldorfer Entscheidung aus 1992 folgt, überzeugt aus diesem Grunde nicht.

Im Übrigen werden auch keine schützenswerten Belange der Beklagten dadurch beeinträchtigt, dass die Frage der Verjährung noch vor Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens einer gerichtlichen Klärung zugeführt wird, zumal eine Aussetzung des selbständigen Beweisverfahrens zutreffend abgelehnt worden ist. Umgekehrt erwächst auch der Klägerin aus der Zulassung der Feststellungsklage kein unbilliger Vorteil.

ee)

Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist in der Regel gegeben, wenn der Beklagte sich eines Anspruchs gegen den Kläger berühmt, wenn also die beklagte Partei geltend macht, aus dem bestehenden Rechtsverhältnis könne sich unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch gegen die auf negative Feststellung antragende Partei ergeben (BGH, Urteil vom 16.05.2017, XI ZR 586/15, juris, Rn. 15). Jedoch kann auch ohne ausdrückliches oder konkludentes „Berühmen“ ein Feststellungsinteresse bestehen, wenn nämlich der Kläger befürchten muss, dass ihm der Beklagte aufgrund seines vermeintlichen Rechts ernstliche Hindernisses entgegensetzen wird (BGH, Urteil vom 13.01.2010, VIII ZR 351/08, juris, Rn. 19).

Vorliegend hat die Klägerin eine als „Berühmen“ zu bewertende Bestandsbehauptung der von der von der Klägerin verneinten Rechtslage bereits mehrfach dadurch abgegeben, dass sie im vorliegenden Rechtsstreit durchweg den Rechtsstandpunkt eingenommen hat, die Ansprüche der WEG seien nicht verjährt.

Ferner besitzt vorliegend auch bereits die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens einen Erklärungswert dahin, dass die Beklagte das Leistungsverweigerungsrecht der Klägerin nicht anzuerkennen bereit ist. Denn auch wenn es rechtlich möglich ist, ein selbständiges Beweisverfahren über verjährte Ansprüche durchzuführen, spricht doch einiges dafür, dass eine Partei, die selbst der Ansicht ist, ihre Ansprüche seien verjährt, aus wirtschaftlichen Erwägungen regelmäßig eher davon absehen würde, diesbezüglich ein selbständiges Beweisverfahren einzuleiten. Besondere Umstände, die gleichwohl Veranlassung zur Beantragung eines selbständigen Beweisverfahrens geben könnten, ließen sich etwa daraus herleiten, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, der Gegner werde sich nicht auf Verjährung berufen oder dafür, dass der Beweisführung auch zur Wahrung nicht verjährter Rechtspositionen Bedeutung zukommen könnte.

Zwar kommt der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens für sich genommen kein Erklärungswert im Sinne einer Anspruchsberühmung zu, da das selbständige Beweisverfahren vorbereitenden Charakter hat und die Anspruchsweiterverfolgung regelmäßig von seinem Ergebnis abhängig gemacht wird (BGH, Urteil vom 02.10.2018, X ZR 62/16, juris, Rn. 21 f.). Dies steht der Annahme von Feststellungsinteresse vorliegend aber nicht entgegen, weil die Sachlage dadurch geprägt wird, dass die Klägerin gerade nicht – negativ – auf Feststellung des Nichtbestehens des Anspruchs anträgt, sondern – positiv – auf Feststellung des Bestehens eines besonderen, nämlich durch Bestehens des Leistungsverweigerungsrechtes der Verjährung gekennzeichneten Rechtsverhältnisses (vgl. RG, Urteil vom 19.10.1910, V. 6651/09, RGZ 74, 292, 294).

b) Begründetheit der Feststellungsklage

aa)

Die Beklagte ist passivlegitimiert. Durch Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 26.06.2017 hat diese durch Mehrheitsbeschluss die Geltendmachung von (Nach-) Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüchen am Gemeinschaftseigentum an sich gezogen. Darin liegt nicht lediglich eine Ermächtigung der Verwalterin zur Prozessführung, sondern eine Übernahme der (gerichtlichen und außergerichtlichen) Geltendmachung von Ansprüchen der Wohnungseigentümer wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums. Diese Wertung entspricht der Rechtsprechung des Senats (OLG Köln, Urteil vom 13.01.2017, 19 U 92/16, juris, Rn. 41 – 44) und des BGH (Urteile vom 10.07.2015, V ZR 169/14, juris, Rn. 5; vom 25.02.2016, VII ZR 156/13, juris, Rn. 17). Soweit Pastor (in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 16. Auflage, Rn. 471) betont, dass die einzelnen Miteigentümer Anspruchsinhaber bleiben, begibt er sich zu dieser Rechtsprechung in keinerlei Widerspruch, da es dem Wesen der Prozessstandschaft entspricht, dass fremde Rechte geltend gemacht werden (vgl. Pastor a.a.O., Rn. 479).

bb)

Die Klägerin ist gemäß § 214 BGB zur Leistungsverweigerung berechtigt, weil die Erfüllungsansprüche der Miteigentümer aus den Bauträgerverträgen, die der Errichtung des Objektes der Beklagten zugrundeliegen, soweit sie nicht anderweit rechtshängig sind, mittlerweile verjährt sind.

Hierfür kann offenbleiben, inwieweit der vermeintlichen Abnahme vom 30.05./27.06.2006 als Abnahmefiktion eine verjährungsfristauslösende Wirkung beizumessen ist. In diesem Fall wäre die vertraglich vereinbarte 5-jährige Verjährungsfrist (vgl. § 634a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BGB) bereits 2011 abgelaufen.

Dies kann jedoch deshalb dahinstehen, weil auch der bei nicht erfolgter Abnahme anzunehmende Primärleistungsanspruch mittlerweile verjährt ist.

Das ergibt sich daraus, dass die „Ultimo“-Regelung des § 199 Abs. 4 BGB (10-jährige Verjährungshöchstfrist), die insbesondere auch für vertragliche Primärleistungsansprüche anwendbar ist (Peters/Jacoby in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearbeitung 2019, § 199 BGB, Rn. 106; Grothe in: Münchener Kommentar zum BGB, Band I, 8. Auflage 2018,  § 199 BGB, Rn. 55; Piekenbrock in: BeckOGK-BGB, Stand 01.05.2020, § 199 BGB, Rn. 173; Henrich in: BeckOK BGB, 53. Edition 01.02.2020, § 199 BGB, Rn. 59), vorliegend zur Annahme von Verjährung führt.

Entstanden ist der Erfüllungsanspruch der Miteigentümer bereits mit Vertragsschluss. Insoweit ist in Ermangelung anderweitiger Angaben davon auszugehen, dass die Bauträgerverträge vor Errichtung des Bauwerks, in jedem Fall aber vor den vermeintlichen Abnahmeterminen vom 30.05./26.06.2006 abgeschlossen worden sind. Die Frist des § 199 Abs. 4 BGB ist damit im Verlauf des Jahres 2016 hinsichtlich aller Miteigentümer abgelaufen, so dass die im Jahr 2017 erfolgte Beantragung eines selbständigen Beweisverfahrens eine Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB nicht mehr hat auslösen können.

2.

Die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet. Inwieweit es bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Landgerichts, die Klage sei unbegründet, gerechtfertigt gewesen wäre, der Klägerin die Kosten der Säumnis aufzuerlegen, kann dahinstehen, weil der Kostenentscheidung die Bewertung der Sach- und Rechtslage durch das Berufungsgericht zugrundezulegen ist. Der Beklagten fallen danach gemäß § 344 ZPO auch die Kosten der Säumnis zur Last, weil das Versäumnisurteil formell und materiell rechtmäßig ergangen ist. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Berufung Bezug genommen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91, 344 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO.

IV.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Bislang nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen grundsätzlicher Natur, die über den vorliegenden Fall hinaus von Interesse sein könnten, haben sich nicht gestellt und waren nicht zu entscheiden.

 

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