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Zur Einhaltung von Abstandsflächen im unbeplanten Innenbereich

Baugenehmigung für Terrassenüberdachung gekippt

In der Welt des Baurechts spielen Abstandsflächen eine wesentliche Rolle. Sie sind ein elementarer Bestandteil der baurechtlichen Vorschriften und dienen dazu, ein angemessenes Maß an Licht, Luft und Privatsphäre zwischen benachbarten Gebäuden sicherzustellen. Die Regelungen zu Abstandsflächen finden sich sowohl im Bauplanungsrecht als auch im Bauordnungsrecht und haben zum Ziel, eine harmonische und gesundheitsförderliche Bebauung zu gewährleisten.

Ein zentraler Aspekt in diesem Bereich ist die Frage, inwieweit Baugenehmigungen die Einhaltung von Abstandsflächen voraussetzen oder Ausnahmen zulassen. Hierbei kommt es häufig zu Konflikten zwischen Bauherren, die ihre Bauprojekte realisieren möchten, und Nachbarn, die ihre Rechte und Interessen gewahrt wissen wollen. Das Abstandsflächenrecht bildet somit einen Schnittpunkt, an dem individuelle Bauwünsche und nachbarschaftliche Rücksichtnahme aufeinandertreffen.

Dieses Spannungsfeld zwischen der Durchsetzung von Bauprojekten und der Wahrung nachbarschaftlicher Interessen ist oft Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Die Gerichte sind dann gefordert, eine Auslegung der relevanten gesetzlichen Bestimmungen vorzunehmen, die sowohl den Interessen der Bauherren als auch den Schutzbedürfnissen der Nachbarn gerecht wird. Entscheidungen in diesem Kontext erfordern eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen Einzelfallumstände sowie eine abgewogene Anwendung der rechtlichen Vorgaben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 LB 467/20 OVG   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass die erteilte Baugenehmigung für eine Terrassenüberdachung rechtswidrig ist, da sie gegen die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften verstößt, selbst wenn bauplanungsrechtlich zulässig.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit: Trotz bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB entfällt nicht die Notwendigkeit einer Abstandsfläche gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V.
  2. Steuernde Wirkung der Umgebung: Die nähere Umgebung muss eine steuernde Wirkung auf die Gebäudeabstände haben, sodass sie eine Ordnung für diese prägt.
  3. Kostenverteilung: Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte.
  4. Vorhabenscharakter: Die geplante Terrassenüberdachung ist abstandsflächenpflichtig, da sie zu einer Vergrößerung des vorhandenen Gebäudes führt.
  5. Abstandsflächenrecht: Das Vorhaben verstößt gegen die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben, da die Mindestabstandsfläche von 3 m teilweise auf dem Nachbargrundstück liegt.
  6. Prägende Wirkung der Bebauung: Die Bebauung in der Umgebung prägt keinen einheitlichen abweichenden Gebäudeabstand, der für das Vorhaben relevant wäre.
  7. Revisionszulassung: Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.
  8. Grundsatz von Treu und Glauben: Das Aufhebungsbegehren der Klägerin verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, obwohl auch ihr Gebäude die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben nicht einhält.

Streit um Baugenehmigung: Der Fall einer Terrassenüberdachung

Im Zentrum des vorliegenden Rechtsstreits stand die Auseinandersetzung um eine erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Terrassenüberdachung. Die Klägerin, Eigentümerin eines angrenzenden Grundstücks, fühlte sich durch das Bauvorhaben der Beigeladenen beeinträchtigt und strebte deshalb dessen Aufhebung an. Die Kernproblematik dieses Falles drehte sich um die Einhaltung der Abstandsflächen gemäß den bauordnungsrechtlichen Vorschriften. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte in seinem Urteil vom 11. April 2023 zu entscheiden, ob die erteilte Baugenehmigung rechtens war.

Bauplanungsrecht und Abstandsflächen: Kern des Konflikts

Der Fall war durch verschiedene Anträge und Entscheidungen geprägt. Die Beigeladene hatte zunächst eine Befreiung von der Einhaltung von Abstandsflächen beantragt, was sowohl vom Beklagten als auch im Widerspruchsverfahren abgelehnt wurde. In einem erneuten Anlauf im vereinfachten Verfahren wurde die Baugenehmigung unter Auflagen erteilt, was jedoch die Klägerin zum rechtlichen Vorgehen veranlasste.

Das rechtliche Problem lag in der Auslegung und Anwendung des § 6 LBauO M-V (Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern), der die Abstandsflächen regelt. Diese Abstandsflächen dienen dem Schutz der Nachbarn, insbesondere hinsichtlich Belichtung, Belüftung und der Wahrung der Privatsphäre. Die Klägerin argumentierte, dass die geplante Überdachung zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen würde, indem sie den Abstand zur Grundstücksgrenze unterschreitet und somit die Mindestabstandsfläche nicht eingehalten wird.

Gerichtsentscheidung: Analyse und Auswirkungen

Das Gericht stützte sich in seiner Entscheidung auf die Interpretation des Abstandsflächenrechts und dessen Anwendung im konkreten Fall. Es analysierte die umgebende Bebauung und berücksichtigte die Einfügenskriterien nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Entscheidend war hierbei, ob die nähere Umgebung eine steuernde Wirkung auf die zu wahrenden Gebäudeabstände ausübte und somit eine Ausnahme von der Regelung der Abstandsfläche rechtfertigte.

Baurechtliche Konsequenzen: Schutz der Nachbarn im Fokus

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die erteilte Baugenehmigung rechtswidrig sei, da sie gegen das nachbarschützende Abstandsflächenrecht verstößt. Es stellte fest, dass die Terrassenüberdachung die erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 Metern nicht einhielt und die genehmigte Überdachung über die Eigenart der näheren Umgebung hinausging. Ebenso war das Argument des Beklagten, die Garage mit der Terrasse stelle eine Einheit dar und bewirke keinen größeren Abstandsflächenverstoß als bereits vorhanden, nicht stichhaltig.

Die Entscheidung zeigt die Komplexität des Baurechts und die Bedeutung des Abstandsflächenrechts für den Schutz der Nachbarn. Sie betont die Notwendigkeit einer genauen Prüfung der örtlichen Gegebenheiten und der Auswirkungen von Baumaßnahmen auf die umliegenden Grundstücke. Das Urteil stellt klar, dass Baugenehmigungen sorgfältig im Hinblick auf bestehende Rechtsvorschriften und die Rechte der Nachbarn geprüft werden müssen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Rolle spielt § 34 Abs. 1 BauGB in der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Bauvorhabens?

Der § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) spielt eine entscheidende Rolle bei der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Bauvorhabens. Dieser Paragraph regelt die Zulässigkeit von Bauvorhaben in sogenannten „im Zusammenhang bebauten Ortsteilen“. Ein Bauvorhaben ist in einem solchen Ortsteil zulässig, wenn es sich nach Art, Maß, Bauweise und hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen in die nähere Umgebung einfügt.

Die Beurteilung eines Bauvorhabens nach § 34 BauGB erfolgt ausschließlich am Maßstab des tatsächlich Vorhandenen. Das bedeutet, dass die tatsächlich vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung des geplanten Bauvorhabens ausschlaggebend ist. Ob die bestehende Bebauung genehmigt oder lediglich geduldet wird, ist für die Frage der Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach § 34 BauGB irrelevant.

Die Beurteilung erstreckt sich auf vier bauplanungsrechtliche Kriterien: Art, Maß, Bauweise und überbaubare Grundstücksflächen. Für diese Kriterien ist ausschließlich § 34 Abs. 1 BauGB die Beurteilungsgrundlage. Die BauNVO kann für diese Kriterien nicht unmittelbar/direkt herangezogen werden, sie kann jedoch als Auslegungshilfe dienen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das Bauvorhaben im Innenbereich des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB bedarf. Wird dieses rechtswidrig von Seiten der Gemeinde verweigert, kann das Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB, Art. 67 Abs. 1 S.1 Hs. 2 BayBO von der Bauaufsichtsbehörde ersetzt werden, sofern das Bauvorhaben nach § 34 BauGB planungsrechtlich zulässig ist.

Es ist auch zu beachten, dass nicht jede Baulücke in einem „im Zusammenhang bebauten Ortsteil“ nach § 34 BauGB liegt. Vor dem Erwerb eines Grundstücks sollten daher bestimmte Fragen geklärt sein, wie zum Beispiel, ob das Grundstück tatsächlich in einem „im Zusammenhang bebauten Ortsteil“ liegt oder ob es Teil einer Splittersiedlung ist.

Zusätzlich ist zu erwähnen, dass ein nachträglicher Dachgeschossausbau dem Einfügen nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht entgegensteht. Dieses Bauvorhaben wäre im Rahmen des § 34 BauGB auch dann zulässig, wenn das Gebäude dadurch mehr Vollgeschosse erhalten würde als die Gebäude in der näheren Umgebung.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 3 LB 467/20 OVG – Urteil vom 11.04.2023

Leitsatz

1. Dass ein Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig ist, lässt nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V (juris: BauO MV 2015) die Erforderlichkeit einer Abstandsfläche entfallen.

2. § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V (juris: BauO MV 2015) erfordert, dass der näheren Umgebung nach Maßgabe der Einfügenskriterien eine steuernde Wirkung auf die zu wahrenden Gebäudeabstände dergestalt zukommt, dass sie eine Ordnung für die zu wahrenden Gebäudeabstände prägt.


Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie selbst tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung einer Terrassenüberdachung.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Flurstück 480, Flur 11, Gemarkung A. (postalische Anschrift B-Straße). Die Beigeladene ist Eigentümerin des östlich angrenzenden Grundstücks Flurstück 479, Flur 11, Gemarkung A (postalische Anschrift B-Straße). Die Grundstücke sind jeweils mit einem Wohngebäude bebaut, an dessen Westseite sich eine kellergeschossige Garage befindet, die ca. 60 cm über die Geländeoberfläche hinausragt. Auf den Garagen befindet sich jeweils eine Terrasse. Die Umfassung der Terrasse weist jeweils eine Höhe von ca. 1,50 m über der Geländeoberfläche auf. Das Wohnhaus der Klägerin hat in östlicher Richtung (zum Grundstück der Beigeladenen) einen Seitenabstand zur Grundstücksgrenze von ca. 1 m. Die Grundstücke werden durch den B-weg erschlossen.

Für den Ortsbereich ist zu DDR-Zeiten (1972/74) eine Baugenehmigung für 55 Eigenheime vom Typ E 4/S und E 5/S erteilt worden. Für den B-Weg liegt ein Prüfbescheid des Rates der Stadt Schwerin vor. Dieser enthält als Prüfergebnis u.a.: „Die Terrasse einschl. Geländer ist fertigzustellen.“

Im Oktober 2008 beantragte die Beigeladene eine Befreiung nach § 6 LBauO M-V für die Errichtung einer Terrassenüberdachung. Mit Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin und ihr Ehemann mitgeteilt hätten, dass sie durch die Überdachung der Terrasse erheblich beeinträchtigt würden. Im Januar 2014 beantragte die Beigeladene erneut eine Abweichung von der Einhaltung von Abstandsflächen zur Errichtung der Trassenüberdachung. Der Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2014 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2015 zurück. Die hiergegen erhobene Versagungsgegenklage (Az. 2 A 1230/15 SN) endete durch Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2016.

Die Beigeladene beantragte mit Bauantrag vom 20. September 2016 im vereinfachten Verfahren die Erteilung einer Baugenehmigung für die Überdachung der vorhandenen Terrasse des Einfamilienhauses. Nach der Baubeschreibung soll die Terrasse mit einem auf einem Ständerwerk ruhenden Glasdach versehen werden, das die Terrasse in seitlicher Richtung vollständig überdeckt. Die Erteilung von Befreiungen beantragte sie dabei nicht. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. November 2016 ab. Die Beigeladene legte mit Schreiben vom 22. März 2017, zugegangen am 23. März 2017, Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2017 hob der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 30. November 2016 auf und erteilte die Baugenehmigung unter der Auflage, die zu überdachende Terrasse zum Grundstück B-Weg mit einem ausreichenden Sichtschutz zu versehen. Als weitere Auflage legte der Beklagte fest, dass spätestens mit Baubeginnanzeige die Erklärung des Tragwerkplaners einzureichen ist, dass der Standsicherheitsnachweis bei Vorhaben entsprechend § 66 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 Nr. 2 LBauO M-V (Kriterienkatalog) nicht bauaufsichtlich geprüft werden muss (§ 14 Abs. 2 BauVorlVO M-V). Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Die Terrasse einschließlich ihrer Umwehrung befinde sich gemäß der Bauvorlage „Ostansicht“ vom 14. September 2016 etwa 1,8 m über der natürlichen Geländeoberfläche. Die Überdachung sei ab der Brüstung gemessen weitere 1,3 m hoch. Die Überdachung solle über eine Fläche von etwa 32 m² (4,7 m x 3,3 m) der Terrasse erfolgen. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V sei eine Abstandsfläche nicht erforderlich. Das Vorhaben sei planungsrechtlich zulässig im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Keiner Prüfung bedürften die Art der baulichen Nutzung und die Bauweise, die durch das Vorhaben nicht verändert würden. Klärungsbedürftig sei, ob sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, und dem Maß der baulichen Nutzung einfüge. Die nähere Umgebung für diese Kriterien dürften sich vorliegend kaum unterscheiden. Zur näheren Umgebung sei mindestens die Bebauung der kleinen Wohnstraße B-weg beidseitig sowie die Bebauung im Bereich der Einmündung in den C-weg und in die Straße D. zu zählen. Bei näherer Betrachtung sei festzustellen, dass die Wohngebäude auf den allermeisten Grundstücken keine seitlichen Mindestgrenzabstände einhielten, wobei die meist an die Wohngebäude angebauten, tieferliegenden Garage mit Terrassen, Überdachungen oder geschlossener Überbauung abstandsflächenrechtlich nicht privilegiert seien und damit eine grenzabstandsüberschreitende Bebauung darstellten. Es fänden sich regelmäßig lediglich Grenzabstände der Gebäude von 0,5 m bis 2,5 m. Von den insoweit 12 näher zu betrachtenden Grundstücken (C-weg 18, 20 und 22, B-weg 11 bis 18, D 48 und 50) seien davon alle Grundstücke bis auf das Grundstück D 50 betroffen. Es komme bei dieser Betrachtung nicht darauf an, ob ein Grundstück mit grenznaher Bebauung an eine öffentliche Verkehrsfläche grenze. Die prägende Wirkung entstehe aufgrund der Bebauung des Baugrundstücks selbst und nicht aufgrund der Qualität der angrenzenden Grundstücke. Es falle zudem innerhalb der näheren Umgebung auf, dass die einen Grenzabstand von 2,5 m unterschreitende Bebauung meist keine Brandwände aufweise. Dies betreffe vor allen die Wohngebäude, welche weitgehend keine Grenzabstände einhielten. Lediglich auf den Grundstücken C-weg 18, B-weg 11, 12, 13, 14 und D 50 befinde sich keine Garage mit Terrasse, die überdacht oder eingehaust sei, wobei sich jedenfalls grenznahe Garagen mit Terrassennutzung auf den Grundstücken C-weg 18 sowie B-weg 11, 12, 13 und 14 befänden.

Der Abstand der hier streitgegenständlichen überdachten Terrasse würde ca. 2 m zum Nachbargrundstück B-weg betragen. Dieser Abstand liege innerhalb des Rahmens, der von vorhandenen, den Grenzabstand von 3 m nicht einhaltenden Bebauungen vorgegeben werde. Das Bauvorhaben dürfe sich an den Abständen orientieren, die in der das Baugrundstück planungsrechtlichen prägenden Nachbarschaft bestünden. Die im Vergleich zur nicht überdachten Terrasse vermehrte Nutzung – weil die Terrasse mit Überdachung auch bei regnerischem Wetter genutzt werden könne – lasse einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht erkennen. Auch Besonnung und Belichtung für das Nachbargrundstück würden nicht beeinträchtigt, da es sich bei der geplanten Überdachung um ein Glasdach handle. Unabhängig von einer nicht erkennbaren Verletzung des Rücksichtnahmegebotes für das Nachbargrundstück B-weg werde die Auflage zur Anbringung eines ausreichenden Sichtschutzes erteilt. Aufgrund der Nähe der Bebauungen werde der Schutz der Privatsphäre auf diese Weise gefördert.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 22. September 2017 zugestellt.

Die Klägerin hat am 5. Oktober 2017 Klage erhoben. Dem am gleichen Tag gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2017 (2 B 3908/17 SN) entsprochen und die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen ausgeführt: Durch das genehmigte Vorhaben werde sie stark beeinträchtigt werden. Es treffe schon nicht zu, dass der Abstand der Terrasse zur Grundstückgrenze 2 m betrage. Er sei deutlich geringer. Es treffe weiter nicht zu, dass sich die planungsrechtliche Zulässigkeit aus dem Vorhandensein von Terrassen in der Nachbarschaft ergebe. Benachbarte Terrassen seien nicht überdacht. Zumindest sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Genehmigt sei eine Terrassenüberdachung und die Herstellung eines Sichtschutzes. Dieser Sichtschutz stehe schon teilweise. Es sei davon auszugehen, dass er undurchsichtig hergestellt werden solle, während er momentan noch transparent sei. Durch die Überdachung mit Sichtschutz werde quasi ein Wintergarten hergestellt. Es sei zu erwarten, dass die Nutzung dieses Raumes erheblich zunehme. Durch die Enge der Bebauung und die Nähe zu ihren Wohnräumen, die nahezu auf gleicher Ebene lägen, habe die Terrasse/Wintergarten eine erdrückende Wirkung, zumal sich der Baukörper entlang der gesamten Traufseite ihres Gebäudes erstrecke.

Die Klägerin hat beantragt, die der Beigeladenen auf der Grundlage des Bauantrages vom 19. September 2016 mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2017, zugestellt an die Klägerin am 22. September 2017, erteilte Baugenehmigung zum Aktenzeichen 61-27-02423/16 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen: Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren nachbarlichen Rechten. Der Vorwurf, er habe sich widersprüchlich verhalten, weil er nach den im Eilverfahren (2 B 3908/17 SN) getroffenen Feststellungen gegen vergleichbare Fälle in der näheren Umgebung nicht bauaufsichtlich vorgehe, treffe nicht zu. Eine nochmalige Prüfung habe ergeben, dass es einzig zum Grundstück B-weg 16 ein bauaufsichtliches Verfahren gebe. Der im Eilverfahren vorgelegte Verwaltungsvorgang sei fehlerhaft gewesen. Das Verfahren zum B-weg 16 werde aller Voraussicht nach eingestellt werden, so dass ein einheitlicher Umgang mit den Terrassenüberdachungen in dem Bereich gewährleistet sei. Mit Blick auf § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V werde das Vorhaben für genehmigungsfähig gehalten und auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie verteidigt die erteilte Baugenehmigung und hat hierzu ausgeführt: In dem streitgegenständlichen Wohngebiet liege eine Prägung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V vor. In der näheren Umgebung ihres Wohnhauses befänden sich diverse vergleichbare Haustypen, bei welchen auf der Garage ein Wintergarten, eine Überdachung oder Ähnliches errichtet worden sei. Auf dem Wohnhaus C-weg/Ecke B-weg sei eine fest gemauerte Wohnraumvergrößerung vorhanden. Das Wohnhaus B-weg 16 verfüge über eine feste Überdachung mit Markise. Das Wohnhaus C-weg 22 verfüge über eine Überdachung/Wintergarten. Das Wohnhaus C-weg 24 verfüge über einen gemauerten Wohnraum. Im C-weg 27 befinde sich ein tiefer gelegter Anbau. Im C-weg 14 befinde sich eine Terrasse. Das Gebäude E./Ecke C-weg habe einen Wintergarten auf tiefergelegter Garage In der Straße E. befinde sich auf dem Nachbargelände zu dem vorstehenden Gebäude rechts ebenfalls ein Wintergarten auf der tiefer gelegenen Garage direkt an der Grundstücksgrenze. Auch auf dem Haus E. 11 befinde sich ein ummauerter Raum auf der tiefer gelegenen Garage direkt an der Grundstücksgrenze.

Mit Urteil vom 27. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht die der Beigeladenen mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2017 erteilte Baugenehmigung aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Die erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig. Es könne offenbleiben, ob das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sei und ob die Bauantragsunterlagen, die keinen Lageplan und keine Bemaßung (Höhe) der geplanten Terrassenüberdachung enthielten, ausreichend seien. Das Vorhaben verstoße jedenfalls gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht. Die Terrassenüberdachung dürfte maximal 2 m vom Grundstück der Klägerin entfernt sein und halte damit die nach § 6 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 m nicht ein. Das Vorhaben sei eine Anlage mit gebäudegleicher Wirkung (§ 6 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V). Es handle sich nicht um vortretende Bauteile oder Vorbauten i.S.d. § 6 Abs. 6 LBauO M-V. Eine Abstandsfläche sei nicht § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LBauO M-V entbehrlich, da nicht nach planungsrechtlichen Vorschriften an der Grenze gebaut werden müsse oder dürfe.

Eine Abstandsfläche sei nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V entbehrlich. Soweit diese Vorschrift auf die umgebende Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abstelle, sei die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gemeint. Aus dem danach veranlassten Rückgriff auf § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB folge, dass aus der vorhandenen Gebäudesituation sich nur dann geringere als die regelhaften Abstandsflächen bzw. Grenzabstände ergäben, wenn sich die Abstände der vorhandenen, auf benachbarten Grundstücken befindlichen Gebäude zueinander als eine Eigenart der näheren Umgebung darstellten. Dies setze voraus, dass die Abstände für die nähere Umgebung bestimmend seien bzw. auf sie prägend im Sinne einer (von der offenen oder geschlossenen Bauweise) abweichenden Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO) wirkten. Daran fehle es. In der maßgebenden näheren Umgebung komme Gebäudeaufstockungen, die auf grenznah stehenden Garagen errichtet seien und einen geringeren Mindestabstand als den des § 6 Abs. 5 LBauO M-V aufwiesen, keine prägende Wirkung zu.

Das Kriterium der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sei nicht betroffen, da die durch das Vorhaben betroffene Fläche bereits durch die Garage eingeschossig überbaut sei.

Die nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezüglich des Kriterium der Bauweise umfasse die Bebauung beiderseits der Straße B-weg (B-weg 11 bis 16 und 18 sowie D 48 und 50).

Für die Bauweise komme es im Hinblick auf die Eigenart der näheren Umgebung darauf an, inwieweit sich in der näheren Umgebung überhaupt eine hinreichende Einheitlichkeit entwickelt habe. Eine diffuse Umgebungsbebauung genüge nicht, um die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V anzuwenden, auch wenn eine zentimetergenaue Übereinstimmung der Gebäude- und Grenzabstände nicht erforderlich sei. Auch könnten markante Unterschiede in der Bauweise dagegen sprechen, die Schlussfolgerung abweichender Gebäudeabstände zu ziehen. Bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V sei zu berücksichtigen, dass sie eine Ausnahmevorschrift sei, weshalb sich eine weitreichende Auslegung verbiete.

Hiervon ausgehend lasse sich in der näheren Umgebung zwar eine hinreichende Einheitlichkeit im Hinblick auf grenznahe Garagen feststellen, auf denen sich Terrassen befänden. Nicht feststellen lasse sich eine gewisse Einheitlichkeit auch im Hinblick auf Garagenaufstockungen in Gestalt von überdachten Terrassen oder Einhausungen. Die genehmigte Terrassenüberdachung liege jenseits der Eigenart der näheren Umgebung und des damit vorgegebenen Rahmens.

Auf vier von neun Häusern seien die Garagen überbaut, eingehaust oder mit Überdachungen versehen (B-weg 15, 16 und 18 sowie D-weg 48). Auf weiteren Häusern würden die Garagendächer lediglich ohne Einhausung oder Überdachung als Terrassen genutzt (B-weg 11 bis 14).

Die eingehausten Objekte im B-weg 15 und 18 bestimmten die Eigenart der näheren Umgebung in Bezug auf abweichende Gebäudeabstände für Terrassenüberdachungen nicht mit. Abstandsflächenrechtliche Fragen bezüglich der Westwand stellten sich zum einen schon mit Blick auf § 6 Abs. 2 Satz 2 LBauO M-V nicht. Zum anderen gebe es auch keinen abweichenden Gebäudeabstand, da das nächste Gebäude sich auf der anderen Straßenseite des C-wegs befinde und damit der Gebäudeabstand größer sei als 3 m.

Die verbliebenen zwei Vergleichsobjekte (B-weg 16 und D. 48) hätten nicht die Kraft, die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB entscheidend zu bestimmen.

Maßgeblich für die Eigenart der näheren Umgebung dürften unzweifelhaft abweichende Gebäudeabstände insoweit sein, als die Garagen selbst und die darauf errichteten Terrassen abweichende seitliche Gebäudeabstände aufwiesen. Anders sei dies indessen im Hinblick auf Aufstockungen in Gestalt von Überdachungen oder Einhausungen der Terrassen.

Maßgeblich sei, ob und inwieweit sich in der näheren Umgebung überhaupt eine hinreichende Einheitlichkeit entwickelt habe. Dies gelte insbesondere – wegen der Relation der Abstandsfläche zur Wandhöhe (§ 6 Abs. 4 LBauO M-V) – mit Blick auf die Einheitlichkeit der Höhe. Davon könne vorliegend keine Rede sein.

Eine Reihe nicht überdachter Terrassen in der näheren Umgebung wiesen eine andere Höhe auf als das Vorhaben der Beigeladenen oder die Terrassenüberdachung B-weg 16 und die Einhausung D. 48. Auch von einer gewissen Einheitlichkeit der Gebäudeabstände sei – jedenfalls was Terrassenüberdachungen oder Einhausungen angehe – nicht auszugehen. Es seien keine – wenn auch nur grob – einheitlich (abweichenden) Gebäudeabstände der Terrassenüberdachungen oder Einhausungen erkennbar. Dagegen spreche bereits, dass es vollständige Einhausungen innerhalb eines Drei-Meter-Grenzabstands gebe (B-weg 15 und 18) bzw. solche, die geradezu grenzständig seien (D. 48). Hinzu komme, dass eine diffuse Umgebungsbebauung allein nicht genüge, um die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V anzuwenden.

An diesem Ergebnis änderte sich nichts, wenn man weitere Grundstücke westlich und östlich des Einmündungsbereichs des B-wegs in die Beurteilung einbeziehe.

Gegen das dem Beklagten am 22. April 2020 zugestellte Urteil, das die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hat, hat der Beklagte am 12. Mai 2020 Berufung eingelegt und diese am 17. Juni 2020 begründet.

Der Beklagte trägt zur Begründung seiner Berufung im Wesentlichen vor:

Die Garage mit Dachterrasse und das Wohngebäude beruhten auf einer gemeinsamen Planung, seien im selben Zuge errichtet worden, bildeten baulich und funktional eine Einheit und stellten somit gemeinsam das Hauptgebäude dar. Auch optisch wirke dieses als ein einheitliches Bauwerk. Die Terrasse stelle eine Erweiterung der Wohnnutzung im Obergeschoss eines Einfamilienhauses dar. Somit bedürfe es nicht erst der Terrassenüberdachung, damit vom Baukörper in seinen bestehenden Ausmaßen Wirkungen wie von einem Gebäude ausgingen. Insofern bewirke die Terrassenüberdachung keinen größeren Abstandsflächenverstoß als den, der bereits gegeben sei.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei eine Abstandsfläche nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V entbehrlich. Die umgebende Bebauung sei durch eine offene Bauweise geprägt, denn die Gebäude seien nicht ohne seitlichen Grenzabstand errichtet. Das Urteil verkenne, dass die seitlichen Grenzabstände nicht den Anforderungen des § 6 LBauO M-V genügten. Es handle sich daher um abweichende Gebäudeabstände i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V, die einer Abweichung im Hinblick auf das Einfügensmerkmal der überbauten Grundstücksfläche gleichkämen. Daraus ergebe sich für die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabens, dass in der Nachbarschaft geringere Grenz- und Abstandsflächen charakteristisch seien.

Weder dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V noch der Gesetzesbegründung lasse sich entnehmen, dass eine Mehrzahl (vergleichbarer) Gebäudeabstände oder gar eine Typik im Hinblick auf abweichende Gebäudeabstände in der näheren Umgebung vorzufinden sein müsse. Es genüge vielmehr, dass in der näheren Umgebung ein Rahmen vorzufinden sei, innerhalb dessen sich das neu hinzukommende Vorhaben einfüge. Diesen Rahmen abweichender Gebäudeabstände gebe die maßgebliche nähere Umgebung des Vorhabens her. Vorliegend könne der näheren Umgebung nicht nur ein Rahmen entnommen werden, sondern die größtenteils bestehenden Abweichungen der Gebäudeabstände seien geradezu charakteristisch in der näheren und weiteren Umgebung.

Eine zusätzliche transparente Überdachung der vorhandenen Terrasse würde die Abstandsflächen nicht tiefgreifender als bisher verletzen.

Außerdem gebe es in der maßgeblichen näheren Umgebung mehrere Überbauungen der Tiefgaragen mit Dachterrassen (B-weg 16, C-weg 20, D. 48). Für das Einfügensmerkmal dürfte es unerheblich sein, ob die Überbauung mit einer Überdachung, einem Wintergarten oder einem massiven Anbau mit abgeschlepptem Dach erfolgt sei.

Zu berücksichtigen sei, dass das Gebäude der Klägerin viel dichter an der gemeinsamen Grundstücksgrenze stehe. Insofern wiege die mit dem Gebäude der Klägerin einhergehende Abstandsflächenverletzung schwerer als die Unterschreitung des Grenzabstands durch das Vorhaben der Beigeladenen. Aus dem System der nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folge, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht wahre, dies billigerweise nicht vom Nachbarn verlangen könne.

Gründe des Brandschutzes sprächen nicht gegen das Vorhaben. Der Gebäudeabstand zwischen der hier streitgegenständlichen Terrasse B-weg 12 und dem Gebäude B-weg 14 betrage ca. 3 m. Der Abstand zwischen den Wohnhäusern betrage ca. 6,5 m. Die Feuerwehr habe mit Stellungnahme vom 29. November 2014 im Rahmen des damaligen Widerspruchsverfahren ausgeführt, dass sie der Überdachung der Terrasse mit einer offenen Glaskonstruktion zustimme.

Die Überdachung der Terrasse sei auch nicht rücksichtslos. Bloße Lästigkeiten genügten für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht. Erforderlich sei eine qualifizierte Störung im Sinne einer Unzumutbarkeit. Hierzu habe die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen. Es sei davon auszugehen, dass das Vorhaben höchsten zu geringfügigen Beeinträchtigungen führe, die noch als sozialadäquat anzusehen seien. Von einer unzumutbaren Störung könne angesichts der Lage und der Größe des Vorhabens keine Rede sein. Dies gelte auch hinsichtlich potentieller Einschränkungen der Belichtung und Belüftung sowie des Sozialabstands. Es sei nicht erkennbar, dass den von der transparenten Terrassenüberdachung betroffenen Fenstern im Gebäude der Klägerin nach Verwirklichung des Vorhabens nicht mehr ausreichend Licht und Luft zugeführt werde.

Mit Blick auf das Rücksichtnahmegebot verkenne das Verwaltungsgericht, dass die Klägerin ihre eigene Terrasse durch die vorhandene Überdachung mit einer Markise ebenso nutzen könne, wie es die Beigeladene mit einer Überdachung durch eine transparente Glaskonstruktion vorhabe.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 27. Februar 2020, Aktenzeichen: 2 A 3907/21 SN, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Es sei unklar, ob die Garage, deren Terrasse überdacht werden solle, sich weniger als 3 m oder sogar weniger als 2 m von ihrem Grundstück entfernt befinde, weil die Bauvorlagen unzureichend seien. Es fehle ein Lageplan mit der Darstellung der Grenzabstände.

Das Vorhaben sei nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V von Abstandsflächen befreit. Sie bestreite, dass mit dem Prüfbescheid Nr. 75/74 vom 25. August 1974 die Garage, die als Terrasse genutzt werde, genehmigt worden sei. Der Einfamilienhaustyp EW 58 sehe standmäßig keinen Garagenbau vor. Sie wisse auch nicht, ob die Garagen mit Dachterrasse und Wohngebäude auf einer gemeinsamen Planung beruhten. Solange nicht feststehe, dass dies alles genehmigt worden sei, sei die Frage irrelevant.

Die Terrassenüberdachung führe zu einer Verschärfung des Abstandsflächenverstoßes durch die größere Höhe und Baumasse. Hinzu komme, dass durch die Nutzungsintensivierung, die wegen der Überdachung eintrete, eine erhebliche Vergrößerung der Störung des Wohnfriedens auf ihrem Grundstück eintrete.

Der Beklagte sei der Meinung, dass eine prägende umgebende Bebauung vorliege, die durch eine offene Bauweise bei Unterschreitung der Abstandsflächen gekennzeichnet sei. Er lasse aber offen, in welcher Größenordnung die Abstandsflächen unterschritten würden, und verkenne, dass das Verwaltungsgericht keine Einheitlichkeit im Hinblick auf die Abstandsflächenunterschreitung bei überbauten Garagen in der näheren Umgebung festgestellt habe.

Selbst wenn eine genügende Anzahl an überdachten Garagen vorhanden wären, die die Abstandsflächen nicht einhielten, wären die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seien nur Hauptanlagen, nicht aber Nebenanlagen geeignet, ein Gebiet als einen Ortsteil mit bestimmten Charakter zu prägen.

Die Argumentation des Beklagten sei wenig nachvollziehbar. Er argumentiere, es müsse in der Umgebung weder eine Mehrzahl abweichender (vergleichbarer) Gebäudeabstände noch eine Typik im Hinblick auf abweichende Gebäudeabstände geben; vielmehr genüge ein Rahmen, innerhalb dessen sich neu hinzukommende Vorhaben einfügten. Es habe den Anschein, als wolle der Beklagte sagen, dass es auf die Prägung durch abweichende Grenzabstände in der näheren Umgebung nicht ankomme. Dies sei aber der entscheidende Punkt.

Der Grundsatz von Treu und Glauben könne ihr nicht entgegengehalten werden. Die Grundstücke am B-weg seien dadurch geprägt, dass die Häuser jeweils mit relativ geringem Grenzabstand zur östlichen Grenze errichtet seien. An der westlichen Seite stehe jeweils mit größerem Abstand zur westlichen Grenze die Garage einschließlich Terrasse, die nur im Ausnahmefall überdacht sei.

Der Beklagte spreche von einer transparenten Terrassenüberdachung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sei aber erörtert worden, dass die Terrassenüberdachung mit einem Sichtschutz zugunsten der Klägerin geplant sei. Von einer transparenten Gestaltung könne daher keine Rede sein. Sie habe vielmehr genau dieselbe erdrückende Wirkung wie eine Wand in voller Breite des Hauses. Ihre Wohnräume grenzten unmittelbar an die geplante Nachbarbebauung.

Die Beigeladene hat sich dem Antrag des Beklagten angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Dem Senat haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig. Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ist vom Beklagten fristgemäß eingelegt (§ 124a Abs. 2 VwGO) und unter Antragstellung fristgemäß begründet worden (§ 124a Abs. 3 VwGO).

II. Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Baugenehmigung zu Recht aufgehoben, da die zulässige Anfechtungsklage der Klägerin begründet ist. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verstößt gegen die drittschützende Vorgabe des § 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V, da die Abstandsfläche der westlichen Außenwand des Vorhabens nicht vollständig auf dem Grundstück der Beigeladenen, sondern teilweise auf dem Grundstück der Klägerin liegt.

a. Die Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorgaben des § 6 LBauO M-V gehört auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 LBauO M-V zum behördlichen und damit gerichtlichen Prüfungsumfang (vgl. § 72 Abs. 1 i.Vm. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBauO M-V).

b. Das Vorhaben ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 LBauO M-V abstandsflächenpflichtig. Vor den Außenwänden von Gebäuden sind Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V). Dies gilt entsprechend auch für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V).Die geplante Terrassenüberdachung führt zu einer Vergrößerung des vorhandenen Gebäudes, dessen seitlicher Raumabschluss dadurch auf der Ebene des – erhöhten – Erdgeschosses näher an die Grundstücksgrenze heranrückt. Dies begründet die Abstandsflächenpflicht des Vorhabens nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V. Dass geschlossene Außenwände nicht vorgesehen ist, steht dieser Bewertung nicht entgegen, denn solche sind nach § 2 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V nicht Voraussetzung für die Begründung der Gebäudeeigenschaft. Unabhängig davon wäre die Abstandsflächenpflicht für die vorgesehene Terrassenüberdachung jedenfalls nach § 6 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V wegen gebäudegleicher Wirkung zu bejahen.

c. Die Erforderlichkeit einer Abstandsfläche vor der westlichen Außenwand – also in Richtung auf das Grundstück der Klägerin – ist nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V ausgeschlossen.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, soweit nach der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Absatz 1 Satz 1 des Baugesetzbuches abweichende Gebäudeabstände zulässig sind.

Die Vorschrift ist mit der Neufassung des § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Ersten Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Oktober 2015 (GVOBl. M-V S. 334, berichtigt in GVOBl. M-V 2016 S. 28) eingefügt worden. Sie übernimmt die entsprechende Änderung des § 6 der Musterbauordnung durch den Beschluss der Bauministerkonferenz vom 21. September 2012 um (vgl. LT-Drs. 6/3839 S. 1; siehe auch Otto, ZfBR 2014, 24 ff.).

aa. Die Vorschrift setzt tatbestandlich voraus, dass „nach der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Absatz 1 Satz 1 des Baugesetzbuches abweichende Gebäudeabstände zulässig“ sind. Diese Anforderung ist nicht schon dann erfüllt, wenn das Vorhaben nach § 34 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig ist (a.A. VGH Kassel, Beschluss vom 17. November 2021 – 3 B 233/21 –, Rn. 22, juris: zu § 6 Abs. 11 Nr. 2 LBauO HE; ebenso VG Frankfurt, Beschluss vom 29. November 2021 – 8 L 2530/21.F –, juris Rn. 36; OVG Weimar, Beschluss vom 18. Februar 2019 – 1 EO 622/18 –, juris Rn. 32 und 33: zu § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO TH). Zwar wird ein solches Verständnis durch die Gesetzesbegründung nahegelegt (LT-Drs. 6/3830 S. 34 f.), jedoch gelangt der Senat unter maßgeblicher Berücksichtigung der übrigen Auslegungskriterien zu einem anderen Verständnis der Vorschrift.

Die Zurückdrängung des Abstandsflächenrechts knüpft nach dem Wortlaut an die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB an, ohne sich darin jedoch zu erschöpfen. Denn der Normtext stellt nicht darauf ab, dass das Vorhaben nach § 34 BauGB zulässig ist, sondern darauf, dass nach der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abweichende Gebäudeabstände zulässig sind. Die gesetzliche Anforderung, dass „abweichende Gebäudeabstände zulässig“ sind, liefe andernfalls leer. Schon nach dem natürlichen Wortsinn verlangt die Anforderung, dass „abweichende Gebäudeabstände zulässig“ sind, mehr, als dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist.

Eine Anknüpfung an bauplanungsrechtlich zulässige Gebäudeabstände leistet das Prüfprogramm des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht unmittelbar, da der Gebäudeabstand kein Parameter der Einfügensprüfung ist. Es ist lediglich eine mittelbare Steuerung über die Einfügenskriterien möglich, die aber typischerweise nicht gegeben ist. Das Kriterium der Bauweise (vgl. § 22 BauNVO), das sich mit dem Erfordernis eines seitlichen Abstandes zur Grundstücksgrenze befasst, ist für § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LBauO M-V relevant, ist für dessen Nr. 2 aber regelmäßig nicht erheblich. Das Einfügen nach dem Kriterium der überbaubaren Grundstücksfläche, auf das die Gesetzesbegründung hinweist (vgl. LT-Drs. 6/3830, S. 35), hat nur begrenzte Steuerungswirkung für Gebäudeabstände. Es setzt voraus, dass sich aus der vorhandenen Bebauung zumindest eine faktische Baugrenze entnehmen lässt. Hierfür bedarf es hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation; die tatsächlich vorhandene Bebauung darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein (vgl. VGH München, Beschluss vom 19. Oktober 2020 – 15 ZB 20.280 –, juris Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Oktober 2020 – OVG 10 B 8.18 –, juris Rn. 42, OVG Schleswig, Urteil vom 19. Februar 2015 – 1 LB 5/14 –, juris Rn. 31). Eine höchst unterschiedliche Bebauung kann die Annahme einer Baugrenze ausschließen (vgl. VGH München, Beschluss vom 19. Oktober 2020 – 15 ZB 20.280 –, juris Rn. 8). Darüber hinaus werden insbesondere seitliche Baugrenzen in der Örtlichkeit regelmäßig schwer ablesbar sein.

Soweit § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Gebäudeabstände nicht mittelbar steuert, ist das Abstandsflächenrecht nicht suspendiert; die bloße bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens reicht für die Suspendierung nicht aus. Denn insoweit fehlt eine bauplanungsrechtliche Bewertung des zulässigen Gebäudeabstandes, die einen Vorrang des Bauplanungsrecht gegenüber dem Abstandsflächenrecht rechtfertigt. Wenn aber § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ausnahmsweise steuert, soll diese Steuerung Vorrang haben und insoweit ist das Abstandsflächenrecht – in diesem Umfang (Größe der Abstände) bzw. in dieser räumlichen Hinsicht (bzgl. Teilflächen des Baufensters, bestimmten Geschossen o.ä.) – suspendiert.

Hierfür spricht Sinn und Zweck der Vorschrift. Das Abstandsflächenrecht soll im unbeplanten Innenbereich nicht vollständig abgeschafft werden, sondern zurücktreten, wo eine andere, nämlich bauplanungsrechtliche Steuerung der Gebäudeabstände vorhanden ist. Dass das Bauplanungsrecht der Vorhabenrealisierung nicht entgegensteht, enthält noch keine Steuerung der Gebäudeabstände. Ein Zurücktreten des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts und der damit verfolgten Schutzziele gegenüber dem Bauplanungsrecht ist sachlich nur gerechtfertigt, wenn sich dem Bauplanungsrecht eine positive Vorgabe zu den zu wahrenden Gebäudeabständen entnehmen lässt. Dies zeigt auch ein Vergleich mit § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 LBauO M-V, wo eine positive bauplanungsrechtliche Aussage zur Grenzbebauung verlangt wird, sowie mit § 6 Abs. 5 Satz 4 LBauO M-V. Eine positive bauplanungsrechtliche Aussage zu den zu wahrenden Gebäudeabständen kann die Einfügensprüfung nach § 34 BauGB typischerweise jedoch nicht gewährleisten.

An einem sachlichen Grund für einen Dispens von der Einhaltung der Abstandsflächenrecht fehlt es, wenn dem Bauplanungsrecht keine Steuerungswirkung für die zu wahrenden Gebäudeabstände zukommt. Dies zeigt sich deutlich, wenn eine diffuse Umgebungsbebauung besteht, der keine städtebauliche Ordnung im Hinblick auf einzuhaltende Gebäudeabstände entnommen werden kann. Ließe man eine solche Sachlage genügen, um das Abstandsflächenrecht auszuschließen, ergäbe sich eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zu überplanten Gebieten, in denen das reguläre Abstandsflächenrecht gilt. Die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben bestimmen Inhalt und Schranken des Eigentums. Bei der Ausgestaltung des Eigentums ist der Gesetzgeber an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Das ordnungsrechtliche Steuerungsziel des Abstandsflächenrechts (Gewährleistung von angemessenen Verhältnissen hinsichtlich Licht, Luft und Sozialabstand) beansprucht in unbeplanten Gebieten nicht weniger Geltung als im beplanten Bereich. Den unbeplanten Innenbereich per se vom Abstandsflächenrecht freizustellen, ohne dass gewährleistet ist, dass die Zurückdrängung durch (städtebauliche) Gesichtspunkte gerechtfertigt ist, wäre willkürlich. Insoweit ist die Aussage in der Gesetzesbegründung, dass es sachgerecht sei, sich innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile im Sinne des § 34 BauGB nicht an den Abstandsflächentiefen des § 6 Abs. 5 LBauO M-V zu orientieren, sondern an den Abständen, die in planungsrechtlich prägenden Nachbarschaft bestehen (LT-Drs. 6/3839, S. 35), für sich genommen inhaltsleer. Warum dies sachgerecht ist, wird nicht gesagt. Eine Zurücknahme des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts kann nur insoweit sachlich begründet sein, als sich der vorfindlichen Situation eine ordnungsstiftende Aussage im Hinblick auf die zu wahrenden Gebäudeabstände entnehmen lässt. Besteht eine diffuse Bebauung, die gleichsam zu den zu wahrenden Gebäudeabständen schweigt, fehlt es an einem sachlichen Grund für eine Zurücknahme des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts im Hinblick auf das Bauplanungsrecht. Ein solches Schweigen kann durch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme nicht kompensiert werden, da der hierdurch gewährte Schutz deutlicher geringer ist als der, den das Abstandsflächenrecht gewährt.

Zudem wäre nicht verständlich, dass die Relativierung des Abstandsflächenrechts auf den unbeplanten Innenbereich beschränkt ist. In beplanten Gebieten wäre das Abstandsflächenrecht eher verzichtbar, da dort typischer Weise eine dichtere Steuerung der Bebauung besteht.

bb. Die von § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V aufgestellte Anforderung, dass „nach der umgebenden Bebauung im Sinne des § 34 Absatz 1 Satz 1 des Baugesetzbuches abweichende Gebäudeabstände zulässig“ sind, erfordert daher nach Auffassung des Senats, dass der näheren Umgebung nach Maßgabe der Einfügenskriterien eine steuernde Wirkung auf die zu wahrenden Gebäudeabstände zukommt. Der näheren Umgebung muss sich damit gleichsam eine positive Aussage zu den zu wahrenden Gebäudeabständen entnehmen lassen, sie muss eine Ordnung für die zu wahrenden Gebäudeabstände zu prägen. Dies erfordert sowohl eine gewisse Einheitlichkeit hinsichtlich der Gebäudeabstände als auch eine gewisse Einheitlichkeit der Baukörper im Hinblick auf deren abstandflächenrelevante Merkmale. Eine diffuse Bebauung erfüllt diese Anforderung nicht, da sie kein zu wahrendes Maß für den Gebäudeabstand prägen kann. Liegen markante Unterschiede in der Bauweise, der Lage der Baukörper oder der Gebäudehöhen in der maßgeblichen Umgebung vor, kann die Schlussfolgerung auf „abweichende Gebäudeabstände“ nicht gezogen werden (Sauthoff, NordÖR 2016, 177 [181]).Die geforderte gewisse Einheitlichkeit setzt jedoch nicht voraus, dass sich der näheren Umgebung eine abweichende Abstandsflächentiefe prägt (LT-Drs. 6/3830, S. 35). § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V bezieht sich auf (absolute) Gebäudeabstände und nicht auf (höhenrelative) Abstandsflächen.

cc. Als Rechtsfolge lässt § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-Vdie Erforderlichkeit einer Abstandsfläche vor Außenwänden entfallen, „soweit“ ein bauplanungsrechtlicher Vorrang im vorstehend aufgezeigten Sinne besteht. Die Geltung der Abstandsflächenvorschriften tritt damit nicht vollständig zurück, sondern nur in dem durch das Bauplanungsrecht geprägten Rahmen. Dieser Rahmen kann für unterschiedliche Höhenlagen bzw. Geschosse differieren und dementsprechend müssen für unterschiedliche Höhenlagen bzw. Geschosse unterschiedliche Gebäudeabstände eingehalten werden. Die Betrachtung, ob die nähere Umgebung abweichende Gebäudeabstände prägt, ist damit nicht auf die Verhältnisse in Höhe der Geländeoberfläche bzw. der Aufstandsfläche beschränkt. Ist die Bebauung etwa durch zurückspringende Außenwände in höheren Geschossen gekennzeichnet, kann dies einen höhendifferenzierten zulässigen Gebäudeabstand prägen. Dies zeigt sich beispielhaft, wenn die nähere Umgebung eine Bebauung mit Staffelgeschossen umfasst, bei der die Staffelgeschosse die abstandsflächenrechtlichen Anforderungen wahren, die darunterliegenden Geschosse jedoch einen abweichenden Gebäudeabstand hergeben. Wären allein die Verhältnisse auf Höhe der Aufstandsfläche maßgeblich, sodass ein abweichender Gebäudeabstand über die gesamte zulässige Gebäudehöhe in Anspruch genommen werden könnte, würde dies über die Anpassung an die bauplanungsrechtliche Situation hinaus zu einer Verschlechterung im Hinblick auf die abstandsflächenrechtlich verfolgten Schutzgüter führen, die von § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V nicht intendiert ist.

dd. Nach den vorstehenden Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBauO M-V für das Vorhaben nicht vor. Der die nähere Umgebung bildende räumliche Umgriff ist im Hinblick auf den Aspekt des Gebäudeabstandes grundsätzlich eher eng zu ziehen. Die nähere Umgebung wird hier bestimmt durch Bebauung entlang des B-wegs, da die hier in Frage stehende Zulässigkeit abweichender seitlicher Gebäudeabstände durch die Bebauung entlang des Finkenweges nicht geprägt wird. Die vorliegend gebotene höhendifferenzierte Betrachtung gibt keinen abweichenden seitlichen Gebäudeabstand für die geplante Überdachung der Terrasse her.

Die Bebauung entlang des B-wegs ist hinreichend einheitlich, um einen abweichenden Gebäudeabstand prägen zu können. Sie ist durch eine verdichtete Bebauung geprägt. Bei der Betrachtung der Gebäudeabstände auf Erdgeschossniveau ergeben sich im Wesentlichen vergleichbare Gebäudeabstände, die die geltenden abstandsflächenrechtlichen Anforderungen nicht erfüllen. Die vorhandene Bebauung prägt jedoch keinen einheitlich abweichenden Gebäudeabstand über die gesamte Baukörperhöhe; vielmehr ist eine höhendifferenzierte Betrachtung angezeigt. Die Baukörper weisen mehrheitlich hinsichtlich der seitlichen Gebäudeabstände – von der Erschließungsstraße aus betrachtet – eine höhendifferenzierte Binnengliederung auf. Sie gliedern sich in den Wohngebäude-Teil und den in seiner Höhe dahinter signifikant zurückbleibenden Garagen-/Terrassenteil. Dies führt zu einer staffelgeschossartigen Gebäudestruktur.Entlang der Straße folgen die gestaffelten Gebäude in der Weise aufeinander, dass jeweils benachbart zu dem grenznah angeordneten, hoch aufragenden Hauptteil des einen Gebäudes jenseits der Grenze der mit größerem Abstand zu dieser angeordnete niedrige Garagen- bzw. Terrassenteil des nächsten Gebäudes liegt. Trotz erheblicher Verdichtung der Gesamtbaukörper besteht ein größerer Abstand zwischen den Hauptteilen der Baukörper. Daraus ergibt sich eine im Sinne gegenseitiger Verträglichkeit wechselseitig abgestimmte Bebauungsstruktur. Dass der Garagenteil bei bestimmten Gebäuden in der näheren Umgebung überdacht oder ausgebaut ist, führt nicht dazu, dass ein einheitlich abweichender Gebäudeabstand über die gesamte Gebäudehöhe anzunehmen ist. Die Aufbauten auf dem Garagenteil des Gebäudes des B-weges 18 und 15 weisen einen größeren seitlichen Gebäudeabstand als 3 m zur nächsten, durch den C-weg getrennten Bebauung auf. Der Terrassenüberdachung des Gebäudes B-weg 16 kommt als Einzelfall keine prägende Kraft zu. Die Einhausung auf dem Grundstück D. 48 gibt für den seitlichen Gebäudeabstand aus der Perspektive des B-weges als Erschließungsstraße nichts her, da sie abstandsflächenrelevant nur den rückwärtigen Grundstücksteil betrifft.

d. Zugunsten des Vorhabens kann bei der Bemessung der Abstandsflächen nicht das Vorbautenprivileg des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBauO M-V berücksichtigt werden, da es mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand in Anspruch nimmt. Es unterfällt auch nicht der Privilegierung nach § 6 Abs. 8 Nr. 1 Var. 2 LBauO M-V. Bereits die Nutzung des Garagendaches als Terrasse – also eine Mischnutzung – lässt die privilegierte Garageneigenschaft entfallen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2009 – OVG 10 S 30.09 –, juris Rn. 12; VGH München, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 CS 22.1627 –, juris Rn. 16; Beschluss vom 21. November 2006 – 15 CS 06.2862 –, juris Rn. 13; VGH Mannheim, Urteil vom 20. September 2016 – 11 S 2070/14 –, juris Rn. 45; OVG Münster, Urteil vom 30. Oktober 1995 – 10 A 3096/91 –, juris Rn. 7; Busse/Kraus/Hahn, BayBO, 146. EL Mai 2022, Art. 6 Rn. 504). Das Vorhaben ist auch nicht § 6 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 LBauO M-V privilegiert, da es sich um einen Aufenthaltsraum im Sinne des § 2 Abs. 5 LBauO M-V handelt. Zudem handelt es sich nicht selbst um ein Gebäude im Sinne einer selbstständig benutzbaren baulichen Anlage, sondern um einen Bestandteil des (Haupt-)Gebäudes.

e. Das abstandsflächenpflichtige Vorhaben wahrt damit nicht die abstandsflächenrechtlichen Anforderungen, da die einzuhaltende Mindestabstandsfläche von 3 m teilweise auf dem Grundstück der Klägerin liegt (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V).

f. Das Aufhebungsbegehren der Klägerin verletzt nicht den Grundsatz von Treu und Glauben.

Grundsätzlich kann sich ein Nachbar gegen jede Unterschreitung der Mindestabstandsfläche zur Wehr setzen. Dieses Recht unterliegt mit Rücksicht auf den das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben jedoch Grenzen. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf den Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zu Gunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet. Aus diesem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billiger Weise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält. Damit kann ein Nachbar unter dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstandes zu rügen (OVG Greifswald, Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 M 69/05 –, juris Rn. 34).

Obwohl auch das Gebäude die Klägerin die geltenden abstandsflächenrechtlichen Vorgaben nicht wahrt, ist ihr Begehren auf Grundlage des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht treuwidrig. Die zur DDR-Zeiten legal realisierte Bebauung der Grundstücke war von vornherein durch eine Verdichtung der Baukörper geprägt, die durch die Binnengliederung der Baukörper verträglich gestaltet wurde. Dass die Klägerin die Wahrung dieses Zustandes begehrt, ist schutzwürdig. Die Klägerin will der Beigeladenen damit nichts vorenthalten, was sie selbst für sich in Anspruch nimmt. Dass die Terrasse der Klägerin über eine Markise verfügt, ist mit einer dauerhaften Terrassenüberdachung nicht zu vergleichen. Im Übrigen kann sich die Beigeladene insoweit von vornherein nicht darauf berufen, dass das Gebäude der Klägerin zu einer anderen als der ihrem Grundstück zugewandten Seite die vorgeschriebenen Abstandsflächen unterschreitet.

g. Der Senat hat nicht zu prüfen, ob ein Anspruch auf Abweichung nach § 67 LBauO M-V besteht, da mit dem Bauantrag keine Abweichung beantragt und begründet wurde. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 und § 67 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V müssen Abweichungen gesondert schriftlich beantragt und begründet werden (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 M 244/10 –, juris Rn. 13). Gegen eine Abweichungsmöglichkeit spricht aber schon die fehlende Atypik der Grundstückssituation (zu dieser Anforderung vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 29. Mai 2019 – 3 M 229/19 – juris Rn. 24 m.w.N.).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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